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Selbst gemacht | März 2013

Geburtstagsessen
von Monika Heil

Isabell von Stetten führte ein sogenanntes privilegiertes Leben. Adalbert, ihr Mann, versuchte, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Vor zwei Jahren war sie volljährig geworden und seit einem Jahr waren sie verheiratet.

Seitdem wohnte sie in einer großen, weißen Villa in Blankenese, umgeben von Butler, Chauffeur und Köchin. Ihr Mann war selten zu Hause. Als Seniorchef einer weltweit agierenden Firma kümmerte er sich – trotz seines hohen Alters – noch immer um alle wichtigen Entscheidungen seines Unternehmens.
Zu Isabell kam zweimal die Woche der Masseur. Wenn es das Wetter zuließ, massierte er ihre zarten Glieder auf der Terrasse am Außenpool. Täglich schwamm sie ein paar Bahnen im Hallenbad, das in einem kleinen Anbau untergebracht war. Ein Fitnesstrainer überwachte ihre Yoga- und Pilatesübungen. Ihre übrige Freizeit verbrachte sie bei Cocktailpartys, Einkaufsbummel, Treffen mit Freundinnen ihres Alters, Golfspielen und ähnlichen Abwechslungen. Durch diese Vergnügungen blieb ihr nur wenig Gelegenheit, über sich und ihre Ehe nachzudenken.

Doch, einmal kurz vor jenem ersten April, Adalberts fünfundsiebzigsten Geburtstag, machte sie sich ernsthafte Gedanken. Intensiv überlegte sie, womit sie ihm, der sie derart verwöhnte, eine besondere Freude bereiten könnte. Finanzieller Natur durfte ihr Geschenk nicht sein, denn sie verdiente ja kein eigenes Geld. Sie musste sich also etwas ausdenken, das sie eigenhändig kreieren und ganz allein zustande bringen konnte. Nach langem Nachdenken kam ihr eine Idee.

Zu Adalberts Geburtstag gab sie Köchin, Gärtner und Chauffeur frei und stellte sich persönlich in die Küche, um ihrem Mann ganz allein ein köstliches Geburtstagsessen zu kochen. Das tat sie zum ersten Mal in ihrem Leben und es war damit - ohne Zweifel - etwas Besonderes. Ideen für die Menuefolge fand sie im Internet und Kochbücher aus dem Bestand der ersten Frau von Stetten in der Küche ganz oben auf einem kleinen Bord über dem Weinschrank. Erfreut stellte sie fest, dass sie nicht einmal zum Einkaufen in die Stadt fahren musste, denn Eis- und Kühlschränke waren gut gefüllt. Die Hühnchenbrust für die Vorspeise fand sie tiefgefroren, ebenso die Hummersuppe für den Zwischengang. Für den Hauptgang entschied sie sich für Karpfen asiatisch in Alufolie. Den Fisch angelte sie eigenhändig aus dem kleinen Teich mit der weißen zierlichen Brücke im japanischen Stil. Sie wählte zwei besonders schöne Exemplare mit auffallenden Farben und Mustern. Als Dessert sollte es einen exotischen Fruchtsalat mit einem guten Schuss Grand Manier geben. Die junge Frau deckte den Tisch mit weißer Damasttischwäsche und edlem Meißner Porzellan. Im Garten pflückte sie ausschließlich Blumen im gleichen Rot-Ton der Fische und dekorierte sie in zwei Vasen, die mit Tuschezeichnungen im passenden Motiv versehen waren. Showa stand unter der einen, GinRin unter der anderen Darstellung. Eigenhändig ausgeschnittene Papierherzen vervollständigten die Dekoration. Glücklich und zufrieden betrachtete Isabell ihr Werk und wartete gespannt auf Adalberts Erscheinen.

Wie gesagt, Adalbert liebte seine Frau. Seine wertvollen Kois liebte er offenbar noch mehr. Bevor er Isabell von Stetten eigenhändig erst erwürgte und dann im japanischen Teich ertränkte, hatte er offenbar die verbliebenen drei Paare Nishikigoi in den Swimmingpool umgesetzt. An dessen Beckenrand fand ihn der Gärtner am nächsten Morgen. Herzschlag diagnostizierte er ganz ohne Medizinstudium. Auch die sechs Kois waren tot. Hatten sie das Chlorwasser nicht vertragen? Schwer zu sagen, dachte er und beobachtete das Licht der aufgehenden Sonne, das der Szene eine exotische Lebendigkeit verlieh.

2. Version

Letzte Aktualisierung: 20.03.2013 - 18.06 Uhr
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