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Selbst gemacht | März 2013

Sie sind unter uns
von Wolf Awert

Der Himmel zeigte mir mit seinem öden Grau, dass er sich wieder nicht entscheiden konnte, ob er seine Nässe loslassen oder bei sich behalten wollte. Die Glocken von der Kirche gegenüber klangen so blechern, als hätten sie vergessen, warum sie läuten, und die Luft roch einfach nach nichts. Ich schloss das Fenster, weil es an der Haustür geläutet hatte.

„Herr Gerster? Herr Ferdinand Gerster? Ein Paket für Sie. Wenn Sie hier bitte unterschreiben möchten?“

Ich unterschrieb und starrte dann dem Postboten noch einige Momente hinterher, während ich in meinen Erinnerungen herumkramte, was ich denn bestellt haben könnte. Mir fiel nichts ein.

„Car-Tuning München“ las ich. Mehr stand da nicht.

Nein, das hatte ich nicht bestellt. Ich öffnete den Mund, um dem jungen Mann noch hinterher zu rufen, aber da hätte ich schneller sein müssen.

Car-Tuning München.

Doch gerade, als ich mich entschlossen hatte, das Paket zu dem kleinen Postschalter ins Seniorenheim zu bringen, fiel mir ein, dass heute Sonntag war. Da stand ich nun mit einem unverlangten Paket ohne vollständigen Absender, das von der Deutschen Bundespost an einem Sonntagvormittag ausgeliefert wurde. Das gefiel mir nicht. Das gefiel mir überhaupt nicht.

Ich würde sofort am Montagmorgen zur Bank zu gehen und darum bitten, jede Abbuchung von Car-Tuning sofort rückgängig zu machen. Bis dahin konnte das Paket meinetwegen hier überwintern. Ich schob es zwischen Stehlampe und Anrichte und zog mich mit einem Buch in meinen Lieblingssessel zurück. Da hatte ich das Paket nicht im Blick. Nur wenn ich den Kopf weit nach rechts drehte, konnte ich es sehen. Eine halbe Stunde später tat mir der Nacken weh.

Also schob ich es in den Flur. Dort stand es zwar im Weg, aber wer sollte mich um diese Zeit besuchen. Und wenn eine Bombe darin sein sollte, dann war ich jedenfalls durch eine Wand geschützt.

Während ich kleinere Angelegenheiten regelte, die mich vom Schrank zum Tisch, vom Tisch zur Fensterbank und von dort zu den Regalen führten, schaute ich immer wieder nach dem Paket und ob auch alles in Ordnung war. Mir fiel ein, es könnte ja auch ein Geschenk darin sein. Mein Schwager liebte Überraschungen.

Um vierzehn Uhr hob ich das Paket an und schüttelte es. Um fünfzehn Uhr drückte ich meinen Daumennagel ohne sichtbare Wirkung in das Klebeband und um fünfzehn Uhr dreißig schnitt ich die Verpackung auf.

Viel war nicht drin. Ein paar Plastikbeutel mit Kleinteilen und eine Gebrauchsanleitung mit vielen bunten Bildchen. Kein Anschreiben, keine Rechnung, nicht einmal ein Lieferschein.

Ich war kein Autobastler. Ich wusste grad mal, dass Tuning etwas mit mehr Motorleistung zu tun hatte, und dass vielleicht noch Bremsen und Aerodynamik verbessert wurden. Wie das mit Kleinteilen funktionieren sollte, war mir schleierhaft. Aber da war so ein Kribbeln unter meiner Haut, das ich nicht erklären konnte.

Wenn ich nach den Bildchen ging, brauchte ich nur zwei Dinge zu tun: Einmal das schwarze Kabel in den Zigarettenanzünder zu stecken und ihn mit dem kleinen schwarzen Kasten zu verbinden. Dann sollten da ein paar Lichter aufleuchten. Und dann noch im Motorraum zwei Krokodilklemmen an der Batterie zu befestigen und damit Strom zu einem Plastikfaden zu leiten, an dem einige silberglänzende Teile befestigt waren. Der Plastikfaden lag über dem Motorblock.

Keine Ahnung, wozu das gut sein sollte, aber die paar Handgriffe waren schnell erledigt. Nachdem ich ein paar neugierige Momente gewartet hatte und nichts geschah, verließ ich die Garage und kehrte in meine Wohnung zurück.

In der Nacht schlief ich nicht gut. Da war so eine unterschwellige Angst, etwas falsch gemacht zu haben, sodass ich mich mehr von einer Seite auf die andere wälzte, als zu schlafen.

Am nächsten Morgen rannte ich noch vor dem Frühstück zu meinem Auto. Der kleine Kasten auf dem Sitz summte, und die Metallteile unter der Haube waren verschwunden. Bevor ich mir noch groß Gedanken darüber machen konnte, hörte ich die Türglocke läuten. Ich schoss aus der Garage und bekam vom Postboten ein weiteres Paket in die Hand gedrückt.

Dieses Mal riss ich es umgehend auf. Weitere Plastikbeutel und eine neue Gebrauchsanleitung. Wieder in bunten Bildern. Doch bevor ich mich darum kümmerte, wollte ich erst einmal schauen, was aus meinem Wagen geworden war. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und startete die Zündung. Der Motor gab ein lautes Gähnen von sich.

„Mist“, fluchte ich. „Jetzt hat die Bastelei die Batterie ruiniert.“
Entnervt unternahm ich einen zweiten Versuch. Der Motor hustete, sprang an und klang in meinen Ohren etwas leiser als sonst. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich leiser war oder ob ich es mir nur einbildete. Ich fuhr einmal um den Häuserblock herum und glaubte zu spüren, dass der Wagen besser beschleunigte. Sicher war ich mir da nicht. Aber auf keinen Fall fuhr er schlechter als vorher. Sehr beruhigend.

Von nun an verbaute ich jeden Morgen die von der Post gelieferten Teile, oder besser gesagt, ich ließ sie verbauen, denn das, was sich da unter der Motorhaube abspielte, entzog sich meiner Kontrolle.

Am Sonntag kam kein Paket mehr, nur noch ein Brief.
„Bitte Installiator entfernen. Wir kommen und holen ihn später ab. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern.“
Installiator? Das konnte nur der summende kleine Kasten sein. Ich zog das Kabel aus dem Zigarettenanzünder und deponierte den Kasten im Hausflur. Dann stieg ich in mein Auto zu einer abschließenden Probefahrt.

Ich fuhr raus auf die Stadtautobahn. Da ist sonntagmorgens kaum Verkehr, und ich wusste, wo die Radarfallen standen. Ein leichtes Antippen des Gaspedals und der Wagen ging ab wie nichts. Vor der Baustelle an der Abzweigung Richtung Ruhrgebiet nahm ich den Fuß vom Gas und streichelte die Bremse. Keine Reaktion. In meiner Panik haute ich den Fuß auf das Pedal, doch der Wagen beschleunigte weiter und raste auf die Absperrung zu. Zwei einsame Gestalten sprangen zur Seite. Ich sah noch ihre aufgerissenen Münder. Dann schlug ich die Hände vors Gesicht und wartete auf den Schlag der Absperrungsbaken.

Es knallte. Und der Wagen schwankte ein wenig.

Ich lebe noch, war mein erster Gedanke und nahm die Hände von meinem Gesicht. Durch die Seitenscheiben sah ich Flammen hochschlagen, und vor mit blinkte ein roter Leuchtknopf, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich drückte ihn so fest es ging. Der Ruck warf mich rückwärts in den Sitz und ich sah, wie mir die Motorhaube entgegenkam. Ich flog.

Das Atmen fiel mir schwer, und es wurde kalt, als mein Wagen und ich die Wolkendecke durchbrachen. Ich schloss die Augen, denn die Sonne in ihrem Glanz war unbarmherzig. Mein letzter Gedanke war noch, dass nun niemand da sein würde, wenn sie den Installiator abholen würden. Aber wahrscheinlich wurde ich dafür auch gar nicht mehr gebraucht.

Letzte Aktualisierung: 09.03.2013 - 21.28 Uhr
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