Schreib-Lust Print
Schreib-Lust Print
Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Robert Pfeffer IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Unsichtbar | April 2013
Emilio
von Robert Pfeffer

Der Emilio ist echt ein toller Junge. Gibt es ja nicht viele von. Ich kenn ihn, seit wir hier wohnen. Da haben wir uns an der Schaukel getroffen und seitdem sind wir Freunde. Bis vor ein paar Monaten ist er noch wie alle anderen geschaukelt. Wenn er heute drauf sitzt, dann meistens quer und ohne Festhalten. Ich wĂŒrd' da ja sofort runterplumpsen, aber der Emilio ist echt gut. Der bleibt oben. Und trotzdem glaub ich, dass sie ihn bald holen kommen.

Als wir in die Schule gekommen sind, da war alles noch ganz normal. Wir sind zusammen hingelaufen. Jeden Tag. Und zurĂŒck. Und nachmittags haben wir draußen gespielt. Einmal hat er mir im Sandkasten versprochen, dass er mich spĂ€ter mal heiratet, wenn wir groß sind. Das ist schon was her, aber ich erinnere ihn immer wieder dran. Und er sagt dann immer, dass er das schon nicht vergisst, weil es doch schön ist, wenn man eine Familie ist.

Seit wir in der dritten Klasse sind, mĂŒssen wir vorher dem Spielen immer noch Hausaufgaben machen. Find ich doof, es muss aber sein. Sagt Mama. Sagen auch die Lehrer. Ich find das unfair, weil Emilio nĂ€mlich schon ne ganze Weile keine Hausaufgaben mehr macht. Einfach so. Er macht sie nicht mehr und basta. Er geht jetzt auch nicht mehr zur Schule ... er fliegt. Jedenfalls sagt er das, auch wenn er neben mir lĂ€uft. Komisch ist das.

Aber wenigstens ist lustig, was er so spinnt. Einmal hat er mir von seinen kalten FĂŒĂŸen erzĂ€hlt. Und weil die so oft kalt sind, hat er sie in einem Lavasee gebadet. Keine Ahnung, was das fĂŒr ein See sein soll, aber so, wie er das erzĂ€hlt hat, muss der superheiß gewesen sein. Ein anderes Mal meinte er, wenn er nachts so richtig Durst hat, trinkt er den Dorfteich aus. Ich hab mir vorgestellt, wie dick sein Bauch davon wird und wie lange er danach wohl Pipi machen muss. Ich hab ihn das gefragt. Da hat er nur gelacht. Und BĂŒcher kann er ohne Aufklappen lesen! In ein paar Minuten! Das war das erste Mal, dass ich ihm gesagt hab, ich glaub das nicht. Ich heirate ihn trotzdem, denke ich.

Beamen schafft er noch nicht, hat er gestern erzĂ€hlt. Im Fernsehen sieht das immer so einfach aus, hat er gesagt. Ist es aber nicht. Trotzdem probiert er es immer wieder. WĂ€re doch cool, wenn er einfach so verschwinden könnte, findet er. Da hab ich ihn gefragt, warum er denn verschwinden will. Er hat nichts gesagt, nur aus dem Fenster geguckt. Am Anfang hab ich mit meiner Mama noch ĂŒber all sowas gesprochen. Mach ich jetzt besser nicht mehr. Mama sagt nĂ€mlich auch, dass sie ihn bestimmt bald holen kommen.

Emilio hat mir erzĂ€hlt, dass seine Eltern neulich einen Brief von der Schule gekriegt haben. Da stand drin, dass der Direktor sich Sorgen macht, weil ihr Sohn sich verĂ€ndert hat und dass er darĂŒber dringend mal mit seiner Mama sprechen will. Den Brief hat der Direktor geschrieben, weil er die Feuerwehr rufen musste, um Emilio von dem Baum herunterzubekommen. Mitten in der Biologie-Stunde ist er nĂ€mlich einfach so aus dem Fenster geklettert. Da saß er dann auf einem dicken Ast und meinte, er hört von dort aus weiter zu. Die Vögel im Baum bringen ihm alles das bei, was die Lehrerin eh nicht weiß. Da ist die Lehrerin zum Direktor gegangen und der hat die Feuerwehr angerufen. Sie haben Emilio dann mit einer Leiter geholt. Ich hab schon gedacht, dass sie ihn mitnehmen, aber sie haben ihn nur wieder nach Hause gebracht.

Gar nicht lange danach haben wir in der Schule gezeichnet. Jeder sollte seine Familie malen. Auf meinem Bild war ein Haus mit einer Sonne drĂŒber, ein Garten. Dann noch meine Eltern und unser Hund. Sonst macht er ja oft lustige Sachen, der Emilio, aber diesmal ist mir ganz komisch geworden. Erst hat er ganz lang auf mein Bild geguckt und dann hat er eine riesige SĂ€ge gemalt und dann ein zersĂ€gtes Haus, eine zersĂ€gte Familie, sogar einen zersĂ€gten Hund, obwohl seine Familie gar keinen Hund hat. Alle Wolken und die Sonne 
 alles zersĂ€gt. Da hab ich ihn gefragt, warum er das so malt. Und er hat gesagt, weil sein Kopf auch so aussieht. Da wĂ€r eine SĂ€ge drin.

Ich hab Emilio danach ein paar Tage nicht gesehen. Bis er wieder zur Schule kam. Da hat er mir erzĂ€hlt, dass sie zu einem Doktor gegangen sind, nachdem das mit der SĂ€ge war. Seine Mama hat dem Emilios Bilder gezeigt. Da hat der Doktor sie gefragt, ob sich in letzter Zeit was in der Familie geĂ€ndert hat. Und seine Mama hat ganz doll angefangen zu weinen, weil sie von seinem Papa geredet haben und dass der jetzt weggezogen ist. Emilio musste vor dem Doktorzimmer warten, hat aber trotzdem alles gehört. Seine Mama hat ziemlich lange geweint. Zu Hause hat sie ihm gesagt, dass er demnĂ€chst zu einem anderen Doktor gehen soll. Mit dem kann er reden. WorĂŒber er will. Also, nicht der Doktor, sondern Emilio. Ich finde ja, das hört sich ganz gut an, aber Emilio will da nicht hin.

Seit Emilios Mama mit dem Schuldirektor geredet hat und sie beim Doktor waren, ist Emilio jedenfalls unsichtbar. Sagt er. Dass ich ihn noch sehen kann, das liegt bloß daran, dass er damit einverstanden ist. Weil wir ja mal heiraten wollen. Alle anderen können ihn nicht mehr sehen. Wenn wir in der Schule sind, bin ich mir da aber gar nicht so sicher. Die Lehrerin nimmt doch keinen dran, den sie nicht sehen kann, oder? Emilio sitzt dann da, macht keinen Mucks und guckt nur aus dem Fenster. Er sagt, das wĂ€r zu Hause ganz genauso. Und dass seine Mama total traurig ist, weil er jetzt unsichtbar ist. Aber da kann er leider nix machen. Er wĂ€r ja auch viel lieber noch sichtbar. Bloß mit zersĂ€gtem Kopf, da wĂŒrde er sich schĂ€men und deswegen ist er unsichtbar. Ich schau immer auf seinen Kopf, wenn wir zusammen sind. So zersĂ€gt sieht der gar nicht aus. Aber vielleicht ist das auch innen drin und fĂŒhlt sich nur so an, das weiß ich nicht. Ich glaub, jetzt dauert es wirklich nicht mehr lang und dann holen sie ihn.

***

In einem von diesen roten Notarztautos ist er weggebracht worden. Seine Mama hat die Feuerwehr gerufen, weil er schon wieder in einem Baum saß. Aber diesmal wirklich so weit oben, dass sie richtig Angst bekommen hat. Mit der Leiter ist ein Feuerwehrmann so gerade eben noch zu ihm hingekommen. Er ist am Abend nicht wieder nach Hause gekommen. Ich glaub, das dauert jetzt auch eine Weile, bis er wieder zurĂŒck ist. Vielleicht helfen sie ihm, dass er sich nicht komplett zersĂ€gt. Also innen drin. Und hoffentlich geht es ihm dann wieder besser. Das mit dem Lavasee, das muss er mir nĂ€mlich unbedingt noch mal genauer erklĂ€ren. Und heiraten wollen wir ja auch noch.

(Version 2)

Letzte Aktualisierung: 14.04.2013 - 22.01 Uhr
Dieser Text enthält 6536 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren
Copyright © 2006 - 2025 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.