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Berge versetzen | Mai 2013

Dunkle Wolken über dem Mont Vanilla
von Robert Pfeffer

„... und so droht auch diese Sitzung des Umweltausschusses ergebnislos zu enden. Vor dem Saal steht Walter Weißmann. Walter, wird es so kommen, wie der Sitzungsleiter befürchtet?“
„Das letzte Wort scheint im Ausschuss noch nicht gesprochen, trotzdem sind am Himmel unseres Landes definitiv dunkle Wolken aufgezogen. Constanze Konstantin von der PCB reagiert auf keinen der Anträge, die von der oppositionellen Fortschrittlichen Divan Partei auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Das könnte man für das halten, was im Programm ihrer Partei steht, also couragiertes Bewahren. Als aber am Rande der Sitzung der Großindustrielle Gottfried Süßbarth auftauchte, ließ ein Sprecher der FDP verlauten, spätestens jetzt sei klar, hier gehe es nur noch um die Sicherung wirtschaftlicher Interessen der PCB. Interessanterweise hat Konstantin dem nicht einmal widersprochen. FDP-Chef Winkelzieher fordert derweil die Verschiebung des Berges um mehrere hundert Meter nach Norden. Damit ist endgültig unübersehbar, dass mitten in unserem Land der Mont Vanilla zum Problem-Berg geworden ist. Das war Walter Weißmann für Schlaraffia-News-24, ich gebe zurück ins Studio!“


***

„Es ist mir völlig egal, mein lieber Wendelin, wie du und deine ach so fortschrittliche Partei auf euren Divans darüber denken ... ich will auch weiterhin meine Täubchen!“
Else Winkelzieher warf den Kopf zur Seite, als käme es auf einen Halswirbel mehr oder weniger nicht an. ‚Mein lieber Wendelin’ war für den angesprochenen Gatten wie eine Drohung mit dem Scheidungsanwalt.
„Bitte, Else, hier geht es doch nicht bloß um deine Versorgung mit gebratenen Täubchen!“
„Was, werter Wendelin, könnte wohl wichtiger sein als meine Grundversorgung?“
Ihm blieb für einen Moment die Luft weg. Bei ‚werter Wendelin’ waren sie gefühlt bereits im Gerichtssaal und der Familienrichter im Begriff, im Namen des Volkes den Hammer zu senken.
„Es g..., nun, da ist ...“
„Ja, Wen-de-lin?“
Sie tippte rhythmisch mit dem rechten Fuß auf und sah aus dem Fenster. Er gab sich einen Ruck.
„Es geht um Klimaveränderung, Else. Um unsere Zukunft. Es geht um den Wohlstand im Schlaraffenland und die Versorgung aller. Wir haben es uns über Jahre viel zu gut gehen lassen.“
„Wir leben immer noch im Schlaraffenland, oder? Wenn ich dich daran erinnern darf: Der Name ist Programm, basta! Und was heißt das überhaupt: Ich habe es mir zu gut gehen lassen? Ich benutze morgens keinen Fön mehr, um weniger heiße Luft zu produzieren! Ich besuche zum Wohle unserer Ökobilanz meine Mutter nur vier Mal im Jahr und brauche dazu gerade mal drei deiner Dienstwagen! Aber ich habe es mir zu gut gehen lassen? Nein, werter Wen-de-lin, mein Beitrag gegen die Erwärmung ist schon geleistet. Jetzt sind andere dran. Und du wirst doch hinbekommen, dass deine dämliche Partei diesen Antrag zurückzieht!“
„Es ist nicht meine Schuld, dass die Flugrouten deiner gebratenen Leibspeise nun woanders verlaufen. Und ebenso wenig, dass plötzlich der Mont Vanilla im Weg steht. Der wächst vom neuen Klima halt auch stärker, ist einfach zu hoch. Und deshalb müssen wir etwas dagegen unternehmen! Wir setzen uns dafür ein, dass der Berg verschoben wird und dann fliegen die Täubchen dir wieder auf den Tisch.“
„Ich will aber die Tauben UND den Pudding an gewohnter Stelle, also lasst euch was Anderes einfallen. Sonst gehe ich zurück zu meiner Mutter!“

Wendelin Winkelzieher konnte sich über das attraktive Angebot nicht freuen. Selbst im Schlaraffenland hatten Eheverträge Einzug gehalten ... vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren.

***

Regierungschefin Constanze Konstantin ließ bitten. Ihr war ein wenig unwohl, als Süßbarth in der Pause der Sitzung um ein Gespräch am Abend bat. Das süffisante Lächeln des Magnaten zum Abschied glich einem Winken am Rande einer abgrundtiefen Schlucht. So, als ob man gutes Gelingen beim nächsten Schritt wünscht.
Gottfried Süßbarth kam dann auch sofort zur Sache.
„Verehrte Frau Konstantin, meine Familie besitzt diesen Berg seit vierzehn Generationen. Der Mont Vanilla ist der größte Vanillepudding, der je existierte. Millionen Menschen in diesem Land setzen seine unterirdischen Puddingquellen mit dem Wort Lebensqualität gleich. Und Sie wollen nun zulassen, dass er verschoben wird? Die freiliegende Quelle würde eintrocknen und die Versorgung aller wäre dahin! Das können Sie unmöglich verantworten.“
„Wie Sie wissen, mein lieber Herr Süßbarth, handelt es sich hier um eine Forderung der Opposition.“
„Der Sie bislang nicht widersprochen haben!“
„In diesem Fall war das ausnahmsweise nicht möglich. Die Sache ist, soweit ich das beurteilen kann, alternativlos. In Kreisen meiner Wissenschaftler wurde ausgiebig diskutiert. Alle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das die beste Lösung ist, wenn wir die Flugrouten der gebratenen Tauben auf Dauer sichern wollen.“
„Und deshalb einfach so meinen Berg opfern? Nun, verehrte Frau Konstantin, da bin ich aber ein klein wenig enttäuscht. Denkbar, dass ich zur Sicherung meines Unternehmens in der Zukunft einige Gelder für mich werde behalten müssen.“
Constanze Konstantin zuckte zusammen.
Die Stille im Raum war so laut, dass selbst der eingetretene Hausdiener nicht zu hören war, als er Getränke nachfüllte. Die Augen der Kanzlerin rollten hektisch auf der Suche nach einem Ausweg.
„Lieber Herr Süßbarth, ... vielleicht muss ich mit meinen Forschern noch einmal sprechen, um sicherzugehen, dass sie auch nichts übersehen haben.“
Der Unternehmer erhob sich von der Couch und rückte den Anzug zurecht.
„Vielleicht eine gute Idee. Ich empfehle mich.“
Der Abschied war kühl und förmlich. Ganz anders, als wenn man zum Beispiel einen Spendenscheck überreicht.

***

„Es sah im Umweltausschuss lange nicht danach aus, aber nun tauchen Lösungen für den Mont Vanilla wie ein Silberstreif am Horizont auf. Am traditionsreichen Puddingberg enden seit Monaten die Flüge hunderter gebratener Tauben, weil er gewachsen ist und sich gleichzeitig die Routen der Luxusvögel verschoben haben. Der Großunternehmer Gottfried Süßbarth ist im Hintergrund präsenter denn je und hat als Inhaber der Puddingquelle seine Interessen ins Spiel gebracht. Eine nicht unerhebliche Rolle scheint dabei seine bisherige Förderung der PCB mit Spenden zu spielen, denn mit einem Mal schießen hier die Ideen wie die Pilze aus dem Boden. Wie ungewöhnlich einige davon sein müssen, erkennt man am beinahe schon verdächtig geschlossenen Schweigen der Ausschussmitglieder, die vor der Sitzung zu keiner Stellungnahme bereit waren. Ob die gefundenen Lösungen mehr den Parteien oder doch den Bürgern des Schlaraffenlandes helfen, wird sich zeigen. Die Kanzlerin höchstselbst präsentiert die Resultate in rund einer Stunde. Dazu sind wir rechtzeitig wieder hier. Das war Walter Weißmann für Schlaraffia-News-24, ich gebe vorerst zurück ins Studio!“

***

Die Presseplätze waren bei der Umweltausschusssitzung überfüllt. Für den Zuschauerraum galt dasselbe. Ganz links oben saß Else Winkelzieher und nahm mit einer für englische Pferderennen geeigneten Kopfbedeckung den beiden Reihen hinter ihr die Sicht. Immer wieder schaute sie hinunter zu Wendelin. Der erwiderte den Blick nur selten und wenn, dann so, als prüfe er aus dem Augenwinkel, ob ihn jemand verfolgt.
Vorne rechts verkreuzte Gottfried Süßbarth die Hände über dem stattlichen Bauch und gab sich Mühe, nicht übermäßig zufrieden zu erscheinen, als Constanze Konstantin ans Rednerpult trat.

„Meine Damen und Herren, ich eröffne die 14. Sitzung des Umweltausschusses in der laufenden Wahlperiode und darf Sie ganz herzlich begrüßen. Einziger Tagesordnungspunkt heute sind die Lösungsansätze für den Mont Vanilla, der – wie Sie wissen – den gebratenen Tauben im Weg ist, die aufgrund des Klimawandels ihre Flugrouten geändert haben. Ich danke insbesondere meinem Forscherteam und auch Herrn Winkelzieher von der FDP, der gemeinsam mit uns als PCB den gordischen Puddingknoten zerschlagen konnte.“

Kurzes Getuschel auf der Zuschauertribüne, die Fotografen luden die Blitze.

„Für die nächsten zehn Jahre erfolgt die Einführung eines Solidaritätspuddings und einer Dessertpflicht. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen eine wöchentliche Mindestmenge vom Quellausstoß des Mont Vanilla abnehmen. Dadurch wird möglich, quer durch das obere Drittel des Berges eine Schneise zu ziehen, die den gebratenen Tauben den unfallfreien Durchflug in die Gastronomiebetriebe und Haushalte ermöglicht. In zehn Jahren werden wir prüfen, ob sich die neue Verfahrensweise bewährt hat. Außerdem berufe ich eine Kommission ein, die weitere Verwendungsmöglichkeiten von Vanillepudding untersuchen soll, so etwa den Einsatz im Straßenbau.“

***

Else Winkelzieher strich ihrem Gatten über den Kopf.
„Brav, Wendelin. Es geht doch. Warum nicht gleich so?“
„Ach, Else, glaub mal nicht, dass das meine Zustimmung findet. Aber was sollte ich machen? Die Konstantin hat ja gar nicht alles erzählt. Die haben auch sämtliche Schulklassen im Land verpflichtet, jedes Jahr einen Ausflug zum Berg zu machen, um sich am Wegfuttern der Schneise zu beteiligen. Einwanderer erhalten eine Begrüßungsportion und Touristen werden an der Grenze mit einem Pflichtumtausch empfangen. Dafür sind viele echte Probleme vollkommen ausgeblendet worden. Milch wird wegen der Erwärmung früher sauer, Honig fließt schneller. Keine Diskussion darüber. Das Einzige, was wir hier geschafft haben, ist die Sicherung der Einnahmen von diesem Süßbarth.“
„Oh nein, mein Lieber. Erstens bekommt jetzt auch die FDP ein paar schöne Spenden und nebenbei hast du deine Ehe gerettet.“
Wendelin lächelte, als hätte er einen Schluck Problem-Milch getrunken.


Version 2

Letzte Aktualisierung: 26.05.2013 - 09.34 Uhr
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