Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Bewegung | Juli 2013
Haircut & Attitude
von Jochen Ruscheweyh

Babsi wedelt mit so 'nem Zettelabschnitt rum: „Ich wollt nur schon mal vorausschicken, dass ich nichts damit zu tun hab!“
Teschke stellt seinen Bass-Koffer ab und macht auf Nick-Dackel neben ihr. Auch wenn Teschke mein bester Kumpel und 'n super Freund is', frag ich mich manchmal, wer von den beiden die bessere Hälfte vom andern is'. Also jetzt bildlich.
„Ey, komm, gib ma her!“, setzt Pavarotti den ihm seiner Meinung nach zustehenden Informationsanspruch durch.
„Hä? 'ne Weibercombo, die Rock gegen Pflegenotstand macht? Hier im Bunker? Wat soll 'n die schwule Scheiße?“
„Das kann ich dir nicht sagen, Rene, nur, dass ich nichts damit zu tun hab.“
„Jaja, logo, schon klar, hmm, ja, du tust ja keinen Rock machen, du arbeitest ja ... im ...“
Pavarotti kann weder gut Text improvisieren, noch sich aus irgend 'ner Scheiße rausquasseln, in die er sich - wie jetzt gerade - reingeritten hat. 'n kleiner Schlag mit der flachen Hand auf 'n Hinterkopf, damit sein Groschen fällt, wär cool. Andererseits vermeid ich's so oft wie geht, seine Speck-Birne anzutouchen, weil er immer Haare wie einmal durch 'ne abkühlende Friteuse gezogen hat.
„Ja, weil du ja da arbeiten tust ... wo du eben arbeitest.“
Babsi sieht immer richtig süß aus, wenn sie die Hände in ihre - nennen wir's mal - gut gerundete Taille stützt. „Sag mal, Rene, hast du einen Schatten, oder was? Wo hab ich Teschke und euch denn kennengelernt?“
Pavarotti schabt sich die Rübe - wobei ich hoff', dass er gleich nich' mit seinen Margarine-Griffeln auf meine Charvel packt, weil ich hasse Fettfinger-Prints auf meinem Gitarrenbody - und meint: „Ja, äh, inner Straßenbahn doch, oder wat getz?“
Die pure Entrüstung trieft aus Teschkes Vorwurf: „Aber wir waren doch alle zusammen in der Königsborner Kurklinik, das kannst du doch nicht vergessen haben!“
„Ey, hömma, Bassfotze, ich arbeite inner technischen Entsorgungsbranche, da laufen dir jeden Tach Geschäftsleute mit voll abgefahrenen Lebensgeschichten über'n Weg. Also, mach hier nich' 'n Lauten, wenn ich dadrüber ma vergessen hab, dass deine Perle im Krankenhaus-Bistro arbeiten tut.“
„Find ich super, dass du das nochmal klargestellt hast, Pavarotti“, mischt sich Beckmann von hinter seinem Kit ein, „ich mein, du bist ja dann quasi sowas wie der Karl Heinz Böhm des Recyclings. Gebt dem Mann einen gestrandeten Frachter und zehn Inder, und die zerlegen das Teil binnen zwei Tagen so, dass nur noch kompostierbare Abfälle und 20 Barrel chemisch reines 10W40 übrig bleiben.“
Normalerweise tät ich ja meinen Senf dazugeben, aber ich hab irgendwie keinen Bock zu reden, weil Steffi is' schon das dritte Mal innerhalb von zwei Monaten auf 'nem BFA Seminar. Und ich stell akut fest: Ohne Freundin is' kacke! Also halt ich die Fresse und spiel mich lieber 'n bisschen warm. Und wenn Pavarotti von seinen verstrahlten Trafos, die die da auseinandernehmen, zu leuchten anfängt, werden wir's wohl mitkriegen, bevor er uns mitverseucht. Hoff' ich zumindest.

„Ey, ich find das gar nich' so übel, so 'ne Bewegung, die sich gegen Pflegenotstand stark macht.“
„Du bist doch nur rattig, Schröder“, mutmaßt Beckmann.
Schrö schrubbt 'n paar Takte auf seiner Axt und leichtsinnt: „Ja, und wenn schon!
Ich mein, nix gegen dich, Babsi, aber 'ne steile Krankenschwester würd ich nich von 'ner Bettkante stoßen.“
„Hallo, geht's noch, Schröder? Ich BIN eine Krankenschwester.“
„Ja schon, aber ...“
„Nicht steil, meinst du?“
„Ey komm, Babsi, jetz' leg doch nich' jedes Wort auf die Goldwaage“, hängt jetzt auch Schrö in Babsis privatem Fegefeuer gefangen.
Das nervt alles. Extrem. Also schnall ich meine Charvel ab.
„Ey, wat bis' du 'n jetzt am machen dran?“, will Pavarotti wissen.
Ich sag: „Ich geh runter zu denen, sag „Hi!“ und check mal der ihr Equipment. Vielleicht brauchen die ja Hilfe.“
„Hilfe? Bei der ihrer Bewegung?“, grinst Pavarotti mich an.
„Nee, dabei, 'n sieben Liter-Kräuter-Einlauf für dich vorzubereiten, du Pissbirne!“
„Die Stimmung hier ist mir entschieden zu rektal!“, schlauscheißert mir Beckmann hinterher.

Eins muss man den Pflegemuttis lassen - Muttis passt echt, die sind wirklich alle über Vierzig -, die haben definitiv den trockeneren Raum. Oder einfach nur stärkere Duftbäume unter der Decke hängen, weil irgendwie fehlt dieses feine unterschwellige Aroma nach Schimmel und Fäulnis, was unserem Probe-Loft so 'nen extrem unsexy Touch verleiht.
„Eigentlich machen wir Folk-Rock, aber wir sind sehr wütend.“
Ich persönlich seh nich', dass sich die beiden Stimmungen grundsätzlich behindern, also feedback ich 'ne Mischung aus Nicken und Kopfschütteln.
„Wir spielen jetzt Hypokratischer Eid - Wir sind's leid! Ute, gibst du bitte mal vier Stampfer vor?“

Die Fünf rumpeln sich durch 'n C/F/G/a-moll Schema und Utes Breaks hören sich jedes Mal an, als wenn sie mit ihrem Drum-Kit die Treppe runterfällt.
„Wie gefällt's dir?“
„Klingt wirklich wütend ...“, diplomatier ich.
„Wir finden es wichtig, unsere politische Vision musikalisch zu transportieren“, erklärt mir Gisela, die falsch blond mit rot eingefärbten Strähnen trägt, „so wie das die Schtons gemacht haben.“
Ich sag: „Ja, coole Sache!“
Trotzdem tät ich gern noch auf die musikalischen Unzulänglichkeiten zu sprechen kommen, geht aber nich', weil die Proberaumtür aufgeht und Pavarotti the Kid mit der Restband plus Babsi reingestiefelt kommt, nur statt 'ner Knarre links und rechts hat er je 'n Kasten Stifts am Handgelenk hängen - Logo, wir würden nie 'n anderes Pils zu 'ner P-Raum-Warming-Party mitnehmen.
„Tach, Mädels! Die Party kann losgehn, wat, Quinton is' da!“

Schrö und ich versuchen sinnloser Weise, Karin und Doris auf ihren Strat-Kopien in Harmoniefolgen zu coachen. Irgendwann prollt Pavarotti, schon wieder gut im Fahrwasser, dazwischen: „Ey, dat is' doch bloß so'n Hype mit dem Rock gegen irgendwas. Ich mach getz 'ne Sache, die nenn ich Rock gegen Toastbrot mit rosa Verschlussclips! Dat is 'ne anständige Bewegung. Oder Rock für Hähnchen mit vier Beinen.“
„Yeah! And whole Kentucky cried Chicken!“, feedbackt Beckmann von unter Utes Kit, wo er grad die Fußmaschinen einstellt.
Babsi kackt los: „Du bist ja heute wieder ein ganz harter Hund, was Rene? Mach doch mal die Handschuh-Aufblas-Battle mit ihm, Ute!“
Ute, die falsch rot mit blond eingefärbten Strähnen trägt, klatscht Babsi ab, und ich befürchte, das geht nich' gut aus für Pavarotti.
Der muss natürlich 'n Kalauer reißen, der schon 'n längeren Bart hat als die Schambehaarung sämtlicher Drehpartner von Sarah Young zusammengeknotet, wobei die Vorstellung, wie das ziepen tät, schon monster abtörnt: „Blasen is' immer gut, wat?“

Pavarotti steht vor, Ute hinter Karins Fender Twin Reverb und die beiden battlen sich richtig battle-mäßig wie beim Armdrücken. Aber natürlich is' klar, dass 'n 1,5 Zentner Klotz wie Pavarotti mit Entsorgungsbetrieb geschädigter Lunge und 7 bis 11 Promille im Blut nicht mehr als vier, vielleicht fünf Handschuh zum Platzen bringt. Und yes, exakt nach dem Fünften entfleucht dem Maestro 'n mini "Ohhhhh" und er gleitet sanft auf den Teppichboden, der nich' nur keine Flecken hat, sondern auch noch deswegen minder-rock'n'rollig, weil top gesaugt is'.
Die Mädels nicken sich kurz zu und dann holt Doris - wie die vier anderen 'ne Ambulante - ihre Pflegetasche.
Babsi formt 'n Trichter über mein Segelohr und flüstert mir zu, dass sie sich gleich gedacht hat, dass die Tusen nich' alle stramm hätten, das wär immer so inner mobilen Pflege.
„Is' das nich' 'ne etwas pauschalierte Sicht, Babsi?“, hör ich nach.
Sie gibt mir 'n fetten Ellenbogen-Check gegen meinen Oberarm, genau da, wo's richtig wehtut, und farzt mich an: „Arbeite ich in der Pflege oder du, Wuttke?“

„Was is' n das?“, fragt Schrö, als Ute und Doris Pavarotti die Buchse runterziehen und ihm so 'n rotes Zeug aus 'nem viereckigen Fläschchen auf den Arsch pinseln, und der Maestro auf einmal ziemlich Pavianmäßig rüberkommt.
„Mercuchrom. Gegen Dekubitus.“
„Wundliegen“, dolmetscht Babsi, „soll ja bei den Ambulanten öfter mal vorkommen.“
„Is' das nich' schädlich, in so 'ner Menge?“, überlegt Schrö.
Ich sag: „Ach was! Wer wie der Pave-Man freiwillig diese Warschauer-Pakt-Trafos zerlegt, hat sein Recht auf Arbeitsschutz ja wohl lebenslänglich verwirkt!“
„Ich glaub, ich hätt' Bock, Blut abnehmen zu lernen. Könnt ihr mir das nicht zeigen und ich üb dann etwas an Pavarotti?“, schlägt Beckmann vor.
„Nee, komm, das is' asozial. Können wir ihn nich' pampern und vorher 'n bisschen Döner mit Jägersoße reinschmieren, dann denkt er, er hat sich inne Buchse gemetert“, schlägt Schrö vor.
„Wo willst du denn einen Döner mit Jägersoße herkriegen?“, relativiert Teschke.
„Ey, Teschke, ich freu mir grad 'n Arsch ab, dass auch mal jemand anders als ich umkippt und ich das auch noch mitkrieg, und du musst voll auf Spaßbremse machen!“
Das Argument is' genauso bescheuert wie nachvollziehbar, wenn man eben wie Schrö unter dieser Narcolepsie-Form leidet und immer wegnickt und dann angemalt wird oder Sachen in 'ne Fresse gesteckt kriegt, wie in diesem Film mit Fonda, wo die den toten Biker ausstaffieren.
Ich bin so am Rumdenken, dass fast alle Sachen in dieser Band damit enden, dass irgendwann einer am Boden liegt und dass mir die ganze Metal-Kacke manchmal ziemlich auf'n Sack geht, als sich Karin neben mich setzt und fragt: „Meinst du, wir machen uns lächerlich, wenn wir mit unseren Songs auf einer Demo auftreten?“
Ich zuck mit den Schultern: „Keine Ahnung, ich find, ihr kommt authentisch rüber, und ihr seht so aus, als ob ihr Bock auf eure Musik habt. Das ist doch das Wichtigste. OK, vielleicht fehlt noch 'n bisschen Feintuning an 'n paar Stellen. Aber guck mal, ihr könntet auch Turnen gehen oder Tennis spielen oder 'n Sparclub gründen oder euch Schrebergärten besorgen, oder was man in euerm Alter so macht, aber nee, ihr habt euch diese Hippie-Attitüde bewahrt und ihr habt coole Frisuren. Da zieh ich mal echt 'n Hut vor, ich mein, wenn ich einen tragen tät.“
„Und du lügst mich jetzt auch nicht an?“
Ich überleg 'n Moment und sag dann: „Doch.“

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Letzte Aktualisierung: 01.07.2013 - 20.39 Uhr
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