Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Bewegung | Juli 2013
Knopfreihe
von Glädja Skriva

Yeah! Deutschland sucht wieder einmal d e n Superknopf. Spotlight an!

Hereingestapft kommt unter Alphornfanfarenklängen unser Alois oder auch einfach „Loisl“ genannt. Jo mei, fesch sieht er wieder aus. Auf seinem strammen Hinterteil prangt eine „6“ für sechs Punkte und damit die Höchstnote, die er in der Vorrunde für seine Hornknöpfe erreicht hat. Seine roten Landluftbäckchen leuchten zufrieden und sein stolz geschwellter Bauch, den er über den Hosenlatz schwenkt, präsentiert die Spannkraft der Knöpfe, die alles fest zusammenhalten. Es ertönt Gejohle im Zuschauerraum. Die vorderen Bänke beginnen nach Brauhausmanier zu schunkeln, während unser Loisl, davon angefeuert, mit seinen Waderl in so herzigen Strümpfen mit so Puscherln dran an seinen Platz tänzelt.

Es folgt im Wettbewerb um den schönsten Knopf ... eine cool herabhängende Zigarette, die sich zunächst zwischen dem Bühnenvorhang herausschiebt. Dann folgen lässig in die Hosentaschen eingehängte Daumen, ein schlendernder Gang, abgewetzte Jeans. Es ist Dean, dem die Welt am Arsch vorbeigeht. Er braucht keine Knöpfe. Nein, nicht wie Sie meinen. Es ist – jede seiner Bewegungen, jede Mimik, jedes Räuspern ist Ausdruck seiner Lebensgeschichte. Als sich die Kamera auf sein gelangweiltes Gesicht richtet mit seinen Pupillen so groß wie Admiralsknöpfe, werden die ersten Transparente geschwenkt. „Dean“ ist auf einem großen Herz zu lesen. „Ich liebe dich.“ Auf Deans magerem Popo steht eine „5“ für fünf Punkte - auf die er scheißt? Zumindest die Schrift ist unter einem nassen Abdruck leicht verwischt. „Dean“ kreischen halb ohnmächtig einige halbverrückte Teenies und sie versuchen die Wunden seiner schweren Kindheit zu heilen, die sie hinter seiner Lässigkeit entdeckt zu haben meinen, indem sie kleine, plüschige Kuschelbärchen zu ihm auf die Bühne werfen.

Die einzige Frau in der Endrunde um den schönsten und besten Knopf des Monats war kurzzeitig aus dem Rennen gewesen, nachdem sie unter den Anfeindungen der Regenbogenpresse zusammengebrochen war und sich deshalb in eine kleine, versteckte Waldhütte fernab der Medienwelt zurückgezogen hatte. Leider konnte der Briefträger sie dort nicht aufspüren, um ihr die Massen der Fanpost zuzustellen, die fast alle denselben Wortlaut hatten: „Emma, wir bleiben dir treu und voten dennoch weiterhin für dich. Deine Knöpfe bleiben uns unvergesslich!“ Aber die Paparazzis rochen Lunte und blieben ihr auf der Spur, hungernd nach einer heißen Story, bis sie Emma endlich aufgespürt hatten. Nun richten sich die Kameras auf sie und per Fernübertragung können ihre Fans an dem großen Ereignis der Show teilnehmen. Die ganze Welt hält den Atem an: Mit einer Pinzette in ihren zittrigen, schmalen Händen setzt Emma endlich, endlich auf ihre dunkelgrauen Knöpfe einen klitzekleinen, edlen, smaragdgrünen Swarovskistein. Welch ein symbolträchtiges, hoffnungsvolles Zeichen in dieser grauen Welt!

Das Publikum ist immer noch geflasht, als Wu, der nächste Knopfkandidat, eintritt. Mit ruhigen, gesetzten Schritten. Und einer kleinen Verbeugung. Einer Verbeugung, die nicht zu tief ist, da er sich seine Unabhängigkeit vom Publikum, das er gleichwohl achtet, bewahrt hat. Aber die auch nicht hochmütig wirkt. Weiß er doch um die Weisheit aller Weisheiten. Den Knopf hält er in seinen Händen, die nach oben zur großen Erleuchtung zeigen, weshalb die Zuschauer diesen nicht sehen können, dafür jedoch umso intensiver seine Schwingungen spüren. Es ist eine positive Energie, die sie wie eine La-Ola-Welle erreicht und ihrem erweiterten Bewusstsein versichert, dass das chinesische Zeichen auf Wu`s kleinem Hintern heute eine Sechs ist.

Es wird ein knappes Knopf-an-Knopf-Rennen geben.

Da Stimmen laut geworden waren, dass die Abstimmungsergebnisse manipuliert wurden, was einfach lächerlich war (das konnte nur dem Spatzenhirn dieser klugscheißerischen Arte Moderatorin eingefallen sein), hatte sich das Team der Produktionsleitung dazu entschlossen, eine ganz neue, überraschende Idee der Knopfwahl zu kreieren, um Schwung in die eingefahrene Punktebewertung zu bekommen. Und zwar mit dem Tanz- und Bewegungsspiel „die Knopfreise nach Jerusalem“.

Nun werden dafür samtüberzogene Throne unter dem Johlen der Zuschauer auf die Bühne geschoben. Wer würde aus dem Tanz um den Gewinnerstuhl als Sieger hervorgehen? Würde es Alois sein mit seinen Hornknöpfen, der bereits in den höchsten Tönen jodelt und einen ergreifenden Schuhplattler dazu hinlegt? Oder würde doch Wu`s Charisma und sein geheimnisumwitterter Knopf das Publikum in seinen Bann ziehen? Noch steht Wu versunken vor dem goldbestickten Damast des Thrones und vertraut sich meditierend seinem großen Meister an. Und wo war Emma? War sie etwa bereits auf dem Weg zur Knopfverleihung, da die Hoffnung sie doch noch beflügelt hat (die Übertragung war zur Zeit leider gestört, aber die Paparazzis waren sicher ganz nah an ihr dran)? Aber vielleicht hat auch Dean, just in diesem Moment, den Thron als seinen Siegerthron markiert, als er seine Zigarette wegschnippt und die Kippe im Thron ein tiefes Loch markiert, dessen fransig, dunkel verkohlter Rand eindeutig den Sieg über die verachtenswerte Bourgeoise zeigt!

Die Musik setzt ein: „We are the champions, the champions we are …” Transparente werden dazu geschwenkt.



Während auf der Erde die letzen Vorbereitungen zur Knopfwahl laufen, hat Petrus im Himmel die Knopfpforte geöffnet. Zuvor hat er fein säuberlich sein Vesper ausgepackt. Die Fleischwurst in Streifen geschnitten, diese tief in bayrischen Weißwurstsenf getaucht und dabei seinen Wecken gegessen. Er hat den feinen Bierschaum mit dem Handrücken von seinem Mund gewischt und danach säuberlich die Literaturpapstzeitung auseinandergefaltet und irgendwann die letzte Seite wieder säuberlich zugeklappt. Er gähnt. Immer noch hat niemand an seiner Knopfpforte angeklopft. „Ja, Herrgottsgruzitürken aber auch.“ Es grummelt im Himmel und Petrus bittet mit rollenden Augen um Verständnis: „So ein paar damische Leut aber auch da unten. Überall müssen ` s ihre Finger drin han.“ Er spricht wohl davon, dass die Knopfshow eben einen unvorhergesehenen Verlauf genommen hat. Bisher hatte Loisl stets alle Knopfwertungen gewonnen. Der Thron war quasi von ihm eingefurzt und eingesesssen. Schließlich konnte man mit ihm bei einem rechten Maß Bier auch so schön festeln und seine Knopffabrik im Bayrischen hatte auch immer so großzügig diese anspruchsvolle Show unterstützt. Wer konnte denn ahnen, dass heute, an diesem Abend, in diesem Moment der Endentscheidung zwischen Wu und Alois letzterem seine Puschel von den Wadenstrümpfen abreißen, er sich automatisch danach bückt, dabei die stramm sitzenden Hornknöpfe abknallen und sein Hosenlatz klafft.

Aber zum Glück ist da ja noch für den seltenen Fall aller Fälle Toni von der Beleuchtung, den man vorsorglich instruiert hat, das Licht auszuknipsen, damit alle im Dunkeln tapsen.

Petrus hält sich im Himmel die Ohren zu: „Dieser damische Kerl hat das tatsächlich getan!“ Er stöhnt: „Dieser Lärm, der jetzt hochdröhnt. Das ist nicht mehr auszuhalten. Dieses Gegröle und Getrete, dieses Gerumple und Geschrei und Gerenne. Und das nur, wegen einem Knopf.“

„Haben die Deppen nichts anderes zu tun?“

„Drei Straßen weiter von dem Fernsehstudio heult sich ein Mädchen das Herz aus der Seele, weil es seinen Lieblingsknopf verloren hat und keinen Knopf kann ich losschicken, um sie zu trösten. Der Hornknopf vom Loisl ist doch tatsächlich in das Polsterloch geschnalzt, das Deans Kippe eingebrannt hat. Von Wu`s Knopf kann ich zwar die Energie spüren, aber der ist mit dem Meditieren erst auf der zweiten Ebene angekommen und Emmas Knopf, der schöne, grüne, den kann ich nicht stören, der ist in ein existenziell wichtiges, hochphilosophisches Gespräch über das Thema „Hoffnung, ein irrationales Gefühl für das es gute und rationale Gründe in unserer apokalyptischen Welt gibt“ mit der Arte-Moderatorin verwickelt. Mist. Da hilft alles nichts ...“

Petrus wendet sich um und donnert nach hinten in die große Himmelsbibliothek: „Marcel, ich habe da einen Eilauftrag für dich. Spute dich. Siehst du das Mädchen da unten ...? Und schwafle heute einmal nicht ganz so viel herum, wenn du unterwegs bist! Es reicht, wenn du den Knopf aus der Bibliothek ...“ – Stille. – „Ach so, Marcel ...“, Petrus klatscht sich gegen die Stirn. „Marcel ist ja heute in der Geheimmission „Knopffernsehpreis“ unterwegs.“ Er seufzt: „Dann muss ich wohl selbst ... Herrgottgruzi aber auch ... läuft heute denn alles schief?“ Es hört sich erneut wie ein von der Ferne anrollendes Gewitter an. Seine Stirn zieht sich in Falten, die sich bereits markiert haben. Es geht wohl kein Weg daran vorbei. Er würde selbst ins Feindesland müssen. In die Pampa. In der es kein dunkles Festbier gab! Petrus atmet schwer: „ Nur Gaffel Kölsch. Eine schwere Prüfung! Herrgott ...“

Das Grollen des Gewitters nähert sich. „Ja, ja, ich gehe ja schon ... ich weiß, mitnehmen soll ich ...“ und er fährt etwas gedehnter fort: „ die Schatulle ... aus der Himmelsbibliothek mit dem „Knopf für Notfälle“. Wenn der wenigstens grün wäre wie mein Weißwurstsenf oder einer von den billigen, aber schön bunten Knopferl, die der Marcel immer aus dem Automaten zieht. Aber nein, das Notfallknopferl, das besteht ja nur aus einigen kleinen, zusammengerollten Papierlen, auf die ein paar Worte gekritzelt sind. Das versteht wohl nur der Chef, warum gerade der „Tränen zum Versiegen und Tränen zum Weinen bringt“. Das müsste eigentlich eine Höchstpunktzahl geben, aber davon steht ja auf dem Knopferl auch nichts drauf. Tzz.“

„Na ja, Punkte zu verteilen, das ist ja auch nicht mein Job. Dafür ist die Knopfriege dort unten zuständig. Jo mei, stapfen die tatsächlich immer noch im Dunkeln da herunten herum?

„Toni, schalte doch endlich mal das Licht an!!“



© P.S./Glädja Skriva/ Juli 2013/ 3. Version

Letzte Aktualisierung: 23.07.2013 - 19.33 Uhr
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