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Bewegung | Juli 2013

Landlust
von Martina Lange

Mit langen Strahlen schlüpfte die aufgehende Sonne zwischen die Blätter der Kastanie und glitzerte auf dem taufeuchten Gras. Ringsum roch der Morgen wie frisch gewaschen nach grünem Heu. Es war Sommer auf dem Land.
Ihr erster Sommer außerhalb von Beton und Glas und feinstauberstickten Rasenplatten.
Das Morgenlied der Vögel lockte die Unermüdlichen aus ihren Betten. Flora lehnte an der offenen Terrassentür, ihren dampfenden Becher in der Hand. Der Kaffee war noch zu heiß. Abwartend ließ sie den Blick über die Gartenwege wandern, am Rosenbeet vorüber und an der jungen Hecke entlang. Die Augen geschlossen, reckte sie ihr Gesicht den vorwitzigen Sonnenstrahlen entgegen.
Endlich gönnte sie sich den ersten Schluck. Ganz vorsichtig: Perfekt! Sie seufzte genüsslich. Wie von selbst folgten ihre Füße dem Weg, den ihre Augen zuvor eingeschlagen hatten. Sie schlenderte über die Terrasse, die neue Treppe hinab und über den Rasen zum Pavillon. Ihre Zehen wurden feucht. Der Rasenschnitt vom Vortag verzierte ihre helle Haut. Sie schmunzelte. Sie konnte beinah ihr Haus umrunden, ohne den Rasen zu verlassen. Ein prickelnder Luxus, den sie in vollen Zügen auskostete.

Flora setzte ihren Weg an der niedrigen Hecke entlang fort. Wie hoch sie wohl würde? Still und leise hatte sich ihr Mann zu ihr gesellt. Seine warme Stimme glitt ihr seidig über die Schulter.
„Guten Morgen.“
„Du bist früh auf.“ Sie lächelte verschwiegen.
„Du hast mir gefehlt.“
„So, hab ich das?“ Flora lehnte sich in seine warme Umarmung und genoss den sanften Kuss.

„DAS HAB` ICH GESEHEN!“
Flora und Robert zuckten zusammen. Ein eisiger Graupelschauer im August hätte die gleichen Auswirkungen auf ihre Stimmung gehabt. Abgekühlt und überaus widerwillig lösten sie sich von einander.
Flora verdrehte die Augen und stöhnte, während Robert den Kopf in Richtung des Störenfrieds wandte und ihm ein Lächeln schickte, welches an das spitzzahnige Grinsen einer Muräne erinnerte.
„Na, das ist aber wirklich schön. Da sind wir ganz stolz auf dich!“ Seine Worte ätzen eine Schneise zwischen die jungen Triebe des Hartriegels.
„Dieser Mann ist so peinlich!“, knurrte Flora zwischen zusammen gebissenen Zähnen und warf einen frostigen Blick hinüber zum Nachbargrundstück.
Ein geräumiges Einfamilienhaus, bodenständig verputzt, gab jedem Betrachter zu verstehen, dass hier der Hausherr selbst die Gestaltung übernommen hatte. Eben dieser stand auf seiner Frühstücksterrasse, reckte jeden Zentimeter seiner Körpergröße über die Brüstung und sah zu ihnen hinunter. Die Hände tief in den ausgebeulten Taschen seiner zementverstaubten Latzhose vergraben, wippte er auf den Zehenspitzen und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Das macht euch Spaß, oder? Sollen wir schon mal das alte Kinderbett unseres Jüngsten vom Boden holen? Vielleicht braucht ihr es ja bald.“ Über seinen eigenen Witz haltlos lachend schlug er sich auf die Schenkel, dass er daraufhin nicht gänzlich in einer Staubwolke verschwand war verwunderlich.
Flora wich vor dem derben Scherz zurück, doch Robert zog sie demonstrativ an sich. Auf ihren Befreiungsversuch reagierte er gar nicht, sondern richtete seinen Fokus nur auf den Nachbarn. Hinter dem Lächeln wurde sein Blick scharf wie eine Klinge.
„Das kann schon sein, danke sehr. Das ist nett von euch. Ihr werdet es wohl nicht mehr brauchen?!“
Dieser Hieb, wenn auch gut gezielt, prallte jedoch unverstanden an einer Rüstung aus kindlicher Einfalt ab. Das Lachen des Nachbarn steigerte sich noch. Flora schnappte nach Luft und vergrub schuldbewusst ihr Gesicht in Roberts Schulter.
„Ist doch wahr“, raunte er ihr ins Haar, „oder hast du schon einmal gesehen, dass er seine Frau küsst?“ Robert zog fragend die Augenbrauen hoch. Flora überlegte kurz.
„Nein, dazu brauchte er auch eine Leiter.“
Sie schlug sich die Hand auf den Mund, als könnte sie so die Gehässigkeiten wieder zurückschieben. „Oh, das war gemein.“
„Macht nichts, der merkt das wohl kaum! Außerdem hat er es gar nicht gehört.“
Floras wundervolle Stimmung hatte sich verflüchtigt, war abgestanden wie der kalt gewordene Kaffee in ihrer Tasse. Zerknirscht ließ sie ihren Daumen über den Tassenrand wandern und wischte einen angetrockneten Tropfen fort. Sie suchte nach den richtigen Worten, aber die schienen sich irgendwo in ihrem Kaffee ertränkt zu haben.
„Lass es gut sein“, raunte Robert seiner Frau zu und verabschiedete sich von dem selbsternannten Komiker.
Flora hob ebenfalls verlegen grüßend die Hand. Die Lust an ihrem Garten war ihnen vorläufig vergangen. Sie überließen ihr Paradies im Grünen dem glühenden Himmel, bis die Sonne, von sich selbst ermüdet, dem Horizont entgegeneilte, im Westen appetitlich dekoriert mit vereinzelten Wölkchen aus Grillgerüchen.
* * *
Ihr Nachbar, der sich am Morgen noch fröhlich pfeifend in die Arbeit gestürzt hatte, saß nun mit einer Flasche Bier auf dem kümmerlichen Rest seines Granithügels. Kaum dass er sie erblickte, tönte seine Stimme zu ihnen herüber.
„Na, wieder da?“ Mühsam stemmte er sich hoch und schlenderte über die Straße auf Flora und Robert zu.
„Du siehst ja ziemlich fertig aus. Was hast du gemacht?“ Robert schaute tatsächlich interessiert. Und auch Flora setzte eine teilnehmende Miene auf.
„Den Granit verbaut.“ Er deutete mit einem Nicken auf den Steinhaufen. „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass diese Steine so schwer sind. Aber jetzt ist das Schlimmste geschafft.“ Er verstrubbelte sich die widerspenstigen, steinblonden Haare in der Stirn und legte eine Hand in den schmerzenden Nacken. „Ich wollte es euch zeigen.“
„Gern“, erwiderte Robert und warf seiner Frau einen auffordernden Blick zu.
„Die Steine haben zum Glück gereicht. Ein paar sind noch übrig. Die werde ich im Garten verbauen. Rasenkanten und ein Hochbeet, ihr versteht? Dann ergibt es ein einheitliches Bild. Alles aus einem Guss, sozusagen. Die waren ja auch nicht billig. Obwohl ich ein sehr günstiges Angebot hatte. Die sind doch wirklich sehr schön. Kaum Farbunterschiede. Die Kanten sind gebrochen, nicht geschnitten. Naturstein!“ Schließlich blieb er mit stolz gerecktem Kinn stehen und deutete auf das Ergebnis seines Tagwerks.
„Na, was sagt ihr dazu?! Ist sie nicht ganz toll geworden?“
Robert schluckte heftig und Flora musste einen entsetzten Ausruf in einem Husten verbergen.
Vor ihnen türmte sich ein keilförmiger Klotz auf. Grau und riesig, eine Eingangstreppe aus eben jenen Granitblöcken zusammengefügt, welche der Nachbar so euphorisch beschrieben hatte. Jeder einzelne von ihnen wog gut und gerne soviel wie ein Sack Zement. Die Herren einer mittelalterlichen Burg wären vor Neid erblasst über ein solches Wehrwerk.
`Fehlt nur noch die Zugbrücke`, schoss es Floras durch den Kopf. Verstohlen warf sie einen Blick zu ihrem Mann hinüber. Der zuckte mit den Augen und war völlig damit beschäftigt, seine entgleisenden Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Sieht wirklich gigantisch aus“, brachte Flora endlich ziemlich lahm hervor.
„Oh, ja. Sehr beeindruckend. Kein Wunder, dass du so geschafft bist!“, pflichtete ihr Robert bei.
Der Nachbar strahlte und seine Augen funkelten aus den staubgezeichneten Fältchen dazu. Flora und Robert brachten das andauernde Nicken ihrer Köpfe kaum zum Stillstand.
Der Nachbar deutete auf eine im Schatten der Garage stehende Bierkiste.
„Ich denke es ist Zeit für ein Baubier. Schließlich müssen wir auf den Abschluss der Bauarbeiten anstoßen. Hat auch lange genug gedauert.“ Der Nachbar und Robert machten es sich auf den Granitresten bequem.
Flora entschuldigte sich nach einem höflichen Toast und den damit verbundenen Glückwünschen. Sie überließ das Feld ihrem Mann.
Gemeinsam analysierten die beiden Bauexperten die Beschaffenheit der Steine, jede Fuge und jeden Bauabschnitt. Flora bewunderte ihren Mann um die Gabe der Selbstbeherrschung. Wenn sie auch nur noch ein Wort hörte, würde sie für ihre Reaktion keine Garantie übernehmen können.
„Wenn du in deine Küche gehst, dann koche für uns gleich mit! Wir kommen dann, wenn alles fertig ist“, tönte es hinter Flora her und das Lachen des Teilburgenbesitzers folgte ihr aufdringlich über die Straße zur Haustür. Flora presste die Lippen aufeinander. Ohne sich umzuwenden hob sie die Hand und winkte. Hatte sie nicht eine solche Nachbarschaft immer gewollt, als sie noch anonym in der Stadt gewohnt hatten? Sie seufzte, denn oft bekommt man mehr, als man verlangt.
„Ja, ja. Genau so machen wir ...“, antwortete Flora ergeben und stockte mitten im Satz. Sie starrte auf die Winkelstützen, welche das angrenzende und höher gelegene Grundstück daran hinderten sich in ihre Einfahrt zu stürzen. Die erste Stütze war einem Wendemanöver mit Trecker zum Opfer gefallen. Robert hatte sie schon seit geraumer Zeit reparieren wollen, doch immer wieder war etwas dazwischen gekommen.
Flora traute ihren Augen kaum, die Mauer war wieder ganz. Ordentlich mit Latten verstärkt und mit Zwingen fixiert.
„Wie...? Wer...?“ Flora sah sich um. Träge grinste der Nachbar zu ihr herüber und prostete ihr zu.
„Na ja, ich hatte noch Mörtel übrig... “

Letzte Aktualisierung: 27.07.2013 - 18.58 Uhr
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