Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Feuer und Flamme | August 2013
Schattenspiele
von Hajo Nitschke

1

Von langer Hand vorbereitet, hatte man uns aus den Verstecken getrieben oder unbarmherzig aus unserem Zuhause geholt. Auch uns fünf, denen nur noch blieb, auf ein rasches Ende zu hoffen. Ein Dämon musste es sein, der nach einer zynischen Rede die Holzscheite entzündete, um das Urteil seines Gebieters zu vollstrecken. In dessen neuer Welt gab es keinen Platz für jene, die nicht seinen Vorstellungen genügten. Auch nicht für 'reaktionäre Elemente'. Und für niemanden, der ihnen half oder sich gar offen gegen ihre Verfolgung stellte. Die höhnischen Rufe der Menge gellten wie Höllengelächter in unseren Ohren, die wir einem qualvollen Tod entgegensahen. Dicht gedrängt stand der Mob um die knisternd aufzüngelnden Flammen und wartete geifernd darauf, seine Opfer brennen zu sehen.

Beißender Qualm hing in der Luft. Das Feuer fand reichlich Nahrung, wuchs unaufhaltsam. Wir versuchten, den sengenden Geruch auszublenden, die schier unerträglichen Qualen wegzudenken oder einfach auszuhalten, indem wir einander starren Blicks fixierten und die übrige Welt verdrängten. Ich sah, wie einer nach dem anderen der Gefährten in gnädige Ohnmacht sank – Folge des Kohlenmonoxids. Flammen und Rauch hatten die Leiber schon teilweise verkohlt, Augenbrauen und Haare weggefressen und Rachen nebst Atemwegen verbrannt: Der arbeitslose Jonas, der in seiner Freizeit Laiendarsteller war. Chinni, der junge Roma, dessen Geige verstummt ist. Seine Schwester Melody und ihre Freundin Daliya – alle drei Angehörige einer Sippe am Stadtrand, die in Wohnwagen hauste und von Gelegenheitsarbeiten, Straßenmusik und Wahrsagerei lebte. Zum Zeitpunkt der Verschleppung hatten sich alle vier in meiner Wohnung aufgehalten, der ich von einer Karriere als Schriftsteller träumte. Ausgeträumt.


Unsere Körper würden sich bald krümmen, in sich zusammenfallen wie Papier, das im Ofen verbrennt. Wie welkes Laub in der Feuerglut. Auch mir selber blieben nur noch Sekunden. Sie kamen mir endlos vor. Die nach dem ersten Adrenalinschub mit unbeschreibbarer Wucht eingesetzten Schmerzen hatten etwas nachgelassen, nachdem die Nerven der Hautoberfläche schmolzen. Dafür war das Atmen immer qualvoller geworden. Ich rang nach Luft, aber da war keine mehr. Die letzten Gedanken galten fast schon panisch der Ungewissheit, ob es wirklich dieses Weiterleben nach dem Körpertod gab, an das ich glaubte. Ob ich die Anderen wiedersehen würde. diese 'subversive Brut'. Ein riesiger Scheiterhaufen war es, der jetzt hoch aufloderte. Erlösung: Auch ich verlor die Besinnung.



Der Platz verlassen. Die Menge zerstreut, das Feuer niedergebrannt. Verkohlt und zu Asche verglüht unsere Überreste. Stille, wo zuvor „Brennen sollen sie!“ gerufen wurde. Oder „Schmort in der Hölle, Lumpen!“ Wo die Flammen wie Sturmwind brausten und wir den Hexen des Mittelalters gleich verbrannten. Tote sind wir.

Tote?

Nicht Himmel, nicht Hölle hier. Immer noch unsere Welt. Wie aus bösem Traum erwachend:
„Heinz, es stimmt also.“ Ruhig stellt es Jonas fest. Kleine Freudenschreie Daliyas und Melodys.
„Ja“, sage ich. „Es stimmt.“ Obwohl es vorher niemand hatte wissen können. Aber glauben.
Geglaubt, überlebt, gewonnen. Das Leben.


Wege durch die Stadt. Von Haus zu Haus. Kein Betreten der Lebensmittelläden. Weder Hunger noch Durst – Vorteile des neuen Daseins. Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, für uns gratis. Niemand verlangt Fahrscheine. Keine Wachen, die uns sehen. Keine Türen, die uns aufhalten. Kreisbildung um den Dämon. Seine nächste Rede skizziert er. Neue Scheiterhaufen warten. Ihn fröstelt sichtlich. Schaut sich um, als sähe er uns. Jonas versucht es. Er, der zuvor niemandem Gewalt antun konnte. Langt dem Redner eine mächtige Ohrfeige, die aber durch dessen Gesicht gleitet. Als wäre der Dämon nur Schatten. Ist auch er tot? „Lass es, Chinni!“, rufe ich. Doch er stürzt sich ebenfalls auf den Redner. Springt ihn an. Und springt durch ihn hindurch. Tot ist der nicht. Wir sind es.

Weiter.

Hin zu einem anderen 'Verräter'. Unterstützt die 'Feinde des Volkes'. Hat mal Juden bei sich versteckt. Wird auffliegen. Denunzianten überall. Wände mit Ohren. „Hallo Stefan! Sie kommen! Geh! Eile dich!“ Er hört nichts. „Wir sind Freunde. Siehst du uns nicht?“ Er sieht nichts. Polternde Stiefel im Treppenhaus. Zu spät! Herein stürmen die Häscher des Dämons. Mitten durch Chinni und die Frauen hindurch. Keine Gegenwehr Stefans. Abtransport. Auf dem Platz wird wieder Holz geschichtet. Wir schauen zu. Ohnmächtig. Stefan ruft seinen Gott. Gejohle der Gaffer.

Jetzt zu sechst. Aber Stefan ist anders als wir. Verlässt uns bald.

Einige Zeit vergeht. Nicht so sehr für uns. Wir sind ihr nicht unterworfen. Haben uns eingerichtet. Doch dann die großen Sammlungen. Die Nachrichten, das Gemunkel. Kein Ort für uns. Raus aus der Stadt. Züge fahren. Manche voll beladen. Zu voll. Fahrgäste sterben unterwegs. Gesellen sich zu uns, die wir ebenfalls mitreisen. Tore schließen sich hinter den Überlebenden. Rauch steigt auf. Wir kehren um. Haben genug gesehen. Genug für viele neue Albträume. Mit uns, unerkannt durch Mauern und Stacheldraht hindurch, zieht eine endlose Kolonne. Ein Blick zurück: Mehr werden es, immer mehr. Aber Channi spricht es aus: das Leben geht weiter. Die Zukunft wartet. Auch auf die Toten.


***

2

Der Vorhang geht auf

Turbulente und dramatische Ereignisse: Mein erfolgloses Werben um Melody, die stattdessen Jonas erhört. Verbindung mit rassisch Minderwertigen verpönt. Melody in Haft. Von Jonas befreit, der sich dank schauspielerischer Begabung und entwendeter Uniform hervorragend als SS-Mann ausgibt. Flucht ins Ausland, denn auch Jonas ist gefährdet. Hat zu deutlich seine pazifistischen Ideen verkündet: Zersetzung der Wehrhaftigkeit … Chinni und Daliya ein Paar. Man erlebt ihre Verhaftung mit: Deportation in ein Arbeitslager im Osten, wie man hört. Ich allein zurückbleibend. Insgeheim froh, dass der Kelch Melody an mir vorüberging, da ich – selbst den Freunden noch nicht anvertraut – homosexuell bin. Dann Exil in der Fremde. Dort, wohin selbst der lange Arm des Führers nicht reicht.

Vorhang

So rasant auch der rote Faden, ist er doch nur Mittel zum Zweck. Ist Träger der Botschaft von einer besseren Zeit. Sie werde anbrechen, wenn das Regime erst einmal sein Ende gefunden habe. Und mit ihm der Irre an der Spitze nebst all den anderen teuflischen Rednern. Wenn sich der Schatten des wahnsinnigen Volksverhetzers, der sich über die ganze Welt lege, einmal in Nichts auflöse.

Plastisches Ausgestalten von Zukunftsvisionen: Zeitsprung. Die Prophezeiung hat sich erfüllt, die Welt atmet auf. Wir sind wieder zurück. Jonas und Melody, Chinni und Daliya. Und ich, der für meine lästerlichen Parolen an die Wand gestellt worden wäre, hätte ich nicht die Flucht ins Ausland gewählt. Nun, da alles vorbei ist, hat mich die Heimat wieder. In Erfüllung meines Traumes inzwischen ein bekannter Schriftsteller, konnte ich mich zu meiner gleichgeschlechtlichen Prägung bekennen, ohne an gesellschaftlicher Achtung einzubüßen.

Vorhang

Die Familie hat aufgetischt. Der Duft von Roma-Letsche mit frisch gebackenem weichem Brot, gefülltem Kraut und Kartoffelpaprika liegt über der heiteren Tischgemeinschaft. Der Landwein kreist und ich halte eine Rede. Wie ich sie früher immer hielt. Worte, um deretwillen man damals in die Unterlagen der Gestapo gelangte. Heute dagegen, obwohl unverändert, nicht mehr lebensgefährlich, sondern gesellschaftlicher Konsens. Ich kenne sie Buchstabe für Buchstabe und könnte sie im Schlaf aufsagen. Genauso wie die anderen ihre Parts in- und auswendig beherrschen. Von Meinungsfreiheit und Menschenwürde spreche ich. Davon, dass alles Leben gleichermaßen wertvoll ist, unbeachtet von Herkunft, sexueller Ausrichtung und Alter oder eventueller Behinderung. Das Reich, in dem dies anders war, ist untergegangen. Wurde auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Beziehungsweise, da Zukunftsvisosin: wird darauf geworfen worden sein.

Schlussvorhang

Ende des 1958 in Berlin uraufgeführten Schauspiels „Schattenspiele“ nach dem gleichnamigen Roman von Rolf Wiesemann. In den Hauptrollen Joachim Dahm (Heinz), Peter Möller (Jonas), Erich Dietzel (Chinni), Gisela Thelen (Daliya) und Vera Böhm (Melody). Autor Gregor Schütte, Regie Herbert Rohde.


***

3

Der Roman „Schattenspiele“ wurde im April 1933 indiziert. Die meisten Exemplare landeten im Mai 1933 im Feuer. Wider den deutschen Geist und Hetze gegen den, der unheilbar war, obwohl der Ruf nach Heilung millionenfach und mit hochgerecktem Arm verbreitet wurde
Unser geistiger Vater Rolf Wiesemann wurde von der SS ermordet. Wir aber, seine Kinder, haben überlebt. Seine Botschaft, die gleichzeitig die unsrige war, ebenfalls. Mochten wir auch auf Scheiterhaufen verbrannt worden sein, ungeachtet dessen, dass auch Romanfiguren Seele und Charakter sowie kraft Imagination Leidensfähigkeit haben. Sind wir denn überhaupt nur 'Figuren'? Wann immer ich uns in den Körpern unserer Darsteller aus Fleisch und Blut anschaue, fällt mir die Antwort leicht.




© Hajo Nitschke, V3

Letzte Aktualisierung: 11.08.2013 - 18.02 Uhr
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