Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Feuer und Flamme | August 2013
Feuerteufel
von Christina Stöger

Ich stand in einem Pulk von Menschen mitten auf der Straße hinter einem rot–weißen Absperrband der Polizei und zündete mir eine Zigarette an. Das Feuerzeug sprang klickend auf und die Flamme brannte sofort hell und verführerisch. Dann küsste sie die Spitze des Glimmstengels in brennender Leidenschaft und ich blies den blauen Dunst genüsslich in den schwarzen Nachthimmel. Doch so schwarz war diese Nacht gar nicht. Die Menschen um mich herum blickten aufgeregt auf das Gebäude vor uns. Einige schrieen in Panik, andere weinten leise oder starrten nur apathisch vor sich hin. Doch alle waren regelrecht geschockt. Ich nicht!
Direkt vor meinen Augen loderten rote und gelbe Flammen aus den Fenstern eines hohen Gebäudes. Schwarzer Qualm drang mittlerweile aus den meisten Stockwerken und die Feuerwehr, die mit lautem Sirenengeheul angerückt war, hatte alle Hände voll zu tun, um den Brand unter Kontrolle zu bringen. Ich musste lächeln. Mein Plan hatte also wunderbar funktioniert. Ich genoss jeden Moment, jeden Schrei und jeden panischen Blick, der mich streifte. Ich liebte diese Szenen immer besonders – sie gaben mir den Kick, den ich zum Überleben brauchte.

Seit ich denken konnte, hatte ich mich für das heiße Element interessiert. Bereits als Kind konnte ich meine Finger nicht von brennenden Kerzen lassen. Ich spielte so lange mit dem heißen Wachs, bis es über meinen Handrücken lief und mir ein wohliges Gefühl vermittelte. Später tropfte ich mir das Wachs ganz bewusst auf die empfindlichsten Stellen meines Körpers, um die Kraft des Feuers in mich aufzusaugen. Die Lust, die ich dabei empfand, war mit keiner anderen Emotion vergleichbar. Brandblasen an Armen, Beinen und auch der Brust waren mein Markenzeichen. Mit keinem Mann hatte ich dieses Liebesspiel lange genießen können, denn sie waren alle nicht bereit gewesen, die Leidenschaft mit mir zu teilen. Ignoranten! Sie wussten gar nicht, was ihnen dabei entging!
Ich erinnerte mich noch genau, dass auch Lagerfeuer für mich als Jugendliche schon immer etwas Besonders gewesen waren. Nichts Ungewöhnliches für einen jungen Menschen. Doch bei mir war die Priorität anders verteilt. Ich liebte es, die Kontrolle zu haben – damals –, denn bei einem Lagerfeuer brannten die Flammen geordnet. Sie züngelten und leckten am Holz und fraßen es gierig auf. Zum Schluss blieb nur ein verkohlter Überrest. Das Holz hatte sich in Luft und Asche aufgelöst. Die Geister des Waldes durften nun frei und ungezwungen durch die Lüfte schweben und waren nicht mehr in diesen dürren Ästen und Stämmen gefangen. Ich empfand das immer wieder als Befreiung! Ja, ich wollte auch frei sein.

Ich wollte Freiheit schenken, die Fesseln der Normalität und der Langeweile sprengen und fliegen. Mit den Ascheflocken wollte ich in den Himmel getragen werden und von dort auf die Menschheit blicken. Die Ignoranz und Gleichgültigkeit der Massen regte mich zusehends auf. Doch ich blieb ganz ruhig, ließ mir nichts anmerken. Was hätte ich auch sagen sollen? Sie schütteln und rütteln? Das hätte nichts gebracht. Sie waren so festgefahren in ihren Meinungen, in ihrem Alltag und in ihrer Selbstüberschätzung, dass ich einfach keine Lust mehr hatte, mit ihnen zu diskutieren. Ich hatte mein Leben lang mit allen möglichen Menschen diskutiert, versucht ihnen zu helfen und sie auf den richtigen Weg zurückzubringen. Als Psychologin mit einer eigenen Praxis blieb das nicht aus. Dabei hatte ich meinen Beruf geliebt! Ich hatte das Studium in Rekordzeit mit einem exzellenten Abschluss beendet und dann die renommierte Praxis meines Vaters übernommen. Er war stolz auf mich gewesen und hatte mir immer zur Seite gestanden. Er hatte mit mir am Lagerfeuer gesessen und in die Flammen geschaut. Auch er glaubte an die Geister, die sich befreit in den Nachthimmel treiben ließen. Nur das mit den Kerzen hatte er nicht gewusst – ging ihn auch nichts an!

Er hatte mit mir das Feuer kontrolliert! Bis zu jenem Tag, als er mit meiner Mutter zusammen bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Der Tanklaster war einfach zu schnell in das Stauende gerast und hatte das Auto meiner Eltern wie eine Ziehharmonika gefaltet. Sie hatten keine Chance gehabt. Der LKW war explodiert und hatte eine Spur der Verwüstung auf der Autobahn hinterlassen. Sie waren verbrannt - nur noch klägliche, schwarze Brocken waren von ihnen übrig geblieben. Natürlich hätte keiner meine Freude verstanden, hätte ich sie offen bekundet. So fügte ich mich auch in diesem Moment in das Gefängnis der Gesellschaft und weinte ein paar Tränen. Doch nicht, weil meine Eltern nicht mehr auf dieser Erde weilten – es waren ja nur ihre Körper verbrannt – sondern weil ich noch hier war. Ich war glücklich und freute mich für sie, denn jetzt waren sie frei. Sie hatten es geschafft. Tief in meiner Seele war ich nicht traurig, dass sie gestorben waren. Sie hatten diese Welt frühzeitig verlassen dürfen und flogen nun frei und glücklich mit den Waldgeistern durch das Universum und schauten zu mir auf die Erde. Und jedes Mal, wenn ich wieder ein Feuer legte, dachte ich an sie und flog in Gedanken zu ihnen hinauf. Dann waren wir wieder vereint!

Meine Zigarette war bis auf den Filter heruntergebrannt und ich schnippte ihn weg. Warum sollte ich ihn aufheben? Die Spurensicherung würde ihn finden, genau wie tausend andere Kleinigkeiten. Keine Spur führte zu mir, denn ich wohnte nicht in diesem gottverlassenen Ort - war hier nur zu Besuch. Schon morgen wollte ich meine Pension, die sich nur zwei Straßen entfernt befand, wieder verlassen. Ich war nur auf der Durchreise ganz zufällig hier gelandet. Ich war auf dem Weg zu einem Kongress im Norden Deutschlands unterwegs. Weiterbildung nannten sie das. Ich musste mich nicht weiterbilden! Ich kannte bereits alle Abgründe der menschlichen Seele. Daher versuchte ich auch ihnen zu helfen, sie zu befreien, in das Universum zu entlassen. Ja, ich war eine Befreierin der Nation! Natürlich sprach ich über meine Taten nicht! „Tue Gutes und schweige“ - das hatte ich gelernt!
Und das ich nun genau diesen Menschen in diesem Haus zur Freiheit verholfen hatte, war, wie vieles in meinem Leben, auch das eine Verkettung glücklicher Umstände. Schon seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet, so dass die Erde schon beim kleinsten, achtlos weggeworfenem Streichholz Feuer gefangen hätte. Eigentlich war es viel zu leicht gewesen und es hatte nur geringer Anstrengung bedurft, das Müllhäuschen der Anlage in Brand zu stecken. Von ganz alleine waren die Flammen auf das Haus übergesprungen und hatten es in Besitz genommen. Ungezügelte Flammen - nicht wie bei einem Lagerfeuer! Hier waren selbst die Flammen frei und schenkten Freiheit.

In diesem Moment wurden die Bewohner aus dem Haus geführt. Einige weinten, andere waren ganz stumm. Und wieder freute sich Keiner! Warum nur nicht? Wie viele Feuer musste ich denn noch legen, um sie wachzurütteln? Sie hätten in diesem Haus ihre Freiheit finden können, ihre Seele hätte in den Himmel aufsteigen können ... doch dieses ignorante Pack wollte ja lieber leben! Pah! Dabei hatten sie es gar nicht verdient! Keiner hatte es verdient glücklich zu leben! Ich durfte es ja auch nicht! Wutschnaubend drehte ich mich um. Ich wollte weg hier. Dieses Drama konnte ja keiner mit ansehen! Ich musste meine Technik weiter verbessern, das stand fest! Beim nächsten Mal würde ich ...

"Entschuldigen Sie", sagte der Uniformierte zu mir. "Kenne ich Sie nicht? Sind Sie nicht die berühmte Psychologin, die ein Buch zum Thema "Feuerteufel" geschrieben hat?" Der Typ hatte mich erkannt. Und in seiner Stimme schwang Bewunderung und ein unterschwelliger Ton der Angst mit. Ich lächelte ihm freundlich zu. Endlich mal kein Ignorant!
"Könnten Sie uns vielleicht ... also würden Sie mit auf die Wache kommen und uns bei der Suche nach dem Täter unterstützen?" Aber natürlich würde ich helfen. So wie ich immer geholfen hatte.

2.Version

Letzte Aktualisierung: 21.08.2013 - 13.41 Uhr
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