Der Tod aus der Teekiste
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"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
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Feuer und Flamme | August 2013
Dazugelernt
von Karin Hübener

Meine Kollegin Jana hatte Pfeffer unter dem Hintern. "Komm, lass uns das mal machen!", hieß einer ihrer Lieblingssätze. Sie war vier Jahre älter als ich und nahm mich im ersten Jahr meiner Grundschulkarriere beruflich und privat unter ihre Fittiche.

"Frische Waffeln gehen immer!", belehrte sie mich bei den Planungen zu unserem Herbstfest. Eigentlich hatte ich mit meiner Klasse eine Bio-Rallye durch das Schulwäldchen organisieren wollen. Aber den Waffelstand fanden meine Schüler dann auch ganz nett. Und er brachte wirklich viel Geld ein. Beim Spülen der Teigschüsseln konnte uns Jana allerdings nicht mehr zur Seite stehen, da sie dringende Elterngespräche führen musste.

Nach den Herbstferien stellte Jana mit mir eine Themenkiste für die Freiarbeit zusammen. Diesmal ging es nicht um Waffeln, sondern um Kartoffeln. Wir haben gedichtet, gerätselt, Puzzles und Bilderserien gesammelt, Quartette erstellt, Biologie- und Geschichtsbücher gewälzt, Rezepte ausprobiert und Lückentexte entworfen. Jana war wirklich kreativ. Als es schließlich ans Kopieren und Laminieren ging, musste sie leider zu einer Fortbildung. Aber den handwerklichen Kram schaffte ich auch alleine.

Im November übte ich mit meiner Klasse ein Krippenspiel für eine besinnliche Weihnachtsfeier ein. Sobald Jana das mitbekam, lud sie ihre Schüler samt Elternschaft dazu. Zwar wurde die Feier nun etwas laut und wuselig, aber Janas Schüler brachten uns als Gastgeschenk auch selbstgebackene Plätzchen mit.

Im Frühjahr überlegte ich, ob ich meine Klasse nicht zu einem Märchenwettbewerb anmelden sollte, der von einer Fernsehzeitung ausgerichtet wurde. Stattdessen gewann mich Jana für die Vorbereitungen zum 'Day of Song'.
"Ich kann doch gar nicht singen", versuchte ich mich anfangs herauszureden.
"Umso schlimmer!", konterte Jana. "Eine Grundschullehrerin, die nicht singen kann, hat in der Schule nichts verloren."
Da hatte sie natürlich recht. Also stellte ich die Anmeldung erstmal zurück und gesellte mich den drei Kollegen hinzu, mit denen Jana nachmittags in ihrer Wohnung Volkslieder übte. Sie selbst verfügte über eine schöne und klare Stimme. Gitarre spielen konnte sie auch und ihr Mann Hannes versorgte uns alle großzügig mit Getränken.
Drei Wochen vor dem kulturellen Spektakel fing sich Jana eine Erkältung ein. Nun musste ich alleine mit ihrer und meiner Klasse weiterproben. Meine Piepsstimme quälte sich tapfer.
Pünktlich zu unserem Auftritt in der Westfalenhalle war Jana aber wieder gesund. Man sah sie mit unseren Kids sogar kurz im Lokalfernsehen.

*

Eines Tages stand sie dann mit ihrem Koffer und einem zartlila Auge vor der Tür meiner kleinen Mansardenwohnung.
"Ich muss ein paar Tage bei dir wohnen", erklärte sie beim Eintreten. "Hannes hat mich geschlagen."
"Nein!"
"Doch! Das hättest du ihm nicht zugetraut, was? Tut nach außen hin ja auch immer so freundlich, der Herr Sozialpädagoge."
Den Baldriantee lehnte sie ab, nahm aber dankbar ein Gläschen Kümmerling entgegen.
"Mich wirst du kaum bemerken. Kann ja erstmal auf deinem Klappsofa schlafen."
"Selbstverständlich", sagte ich. "Hoffentlich findet ihr bald eine Lösung."

Abends schrillte das Telefon.
"Ist Jana bei dir?" Hannes hörte sich furchtbar aufgeregt an.
"Sie war hier", antwortete ich. "Habe aber keine Ahnung, wo sie gerade steckt." Diplomatie schien mir geboten.
"Und? Hat sie dir was erzählt?"
"Nur, dass du handgreiflich geworden bist."
"Handgreiflich, pah! Wer hat denn damit angefangen? Ich habe mich nur gewehrt."
Tja, von solchen Sprüchen hatte ich schon gehört. So wünschte ich ihm alles Gute für seine weitere Suche und legte auf.

Am nächsten Tag erkannte ich mein Wohnzimmer nicht wieder. An verschiedenen Stellen waren goldgelbe Kerzenstumpen auf dunkelgrünen Deckchen verteilt, auf dem Klappsofa hatte Jana schillernde Satinkissen drapiert und um den japanischen Lampenschirm wand sich ein Seidenschal.

"Kannst du mal den Rest meiner Mathearbeiten nachgucken? Ich habe den Kindern versprochen, sie ihnen morgen zurückzugeben", erklärte mir Jana beim Abendbrot.
Ich dachte an die Ideensammlung meiner eigenen Schüler. Ihre Märchenfragmente musste ich noch unbedingt sichten. Deshalb willigte ich nicht sofort ein.
"Und warum kannst du das nicht selber machen?"
"Weil ich noch zu Hannes will. Wir müssen dringend was klären."
Einem so wichtigen Anliegen wollte ich natürlich nicht im Wege stehen und versprach, mein Bestes zu tun.

Dies blieb nicht der einzige Abend, an dem Jana ihre Probleme zu lösen schien. Mir war dies ganz recht, denn so konnte ich in Ruhe an meinem Märchenprojekt arbeiten. Außer, wenn ich wieder etwas für Jana erledigen sollte natürlich.

"Dich kann man nur schwer für etwas begeistern", verkündigte sie mir an einem Freitag zum Frühstück. "Liegt vielleicht an deiner verkümmerten Libido. Ist doch wirklich nicht normal, wie isoliert du lebst."
Böse starrte ich sie an, aber Jana leckte ungerührt ihren Marmeladenlöffel ab.
"Wir sind doch schon ein paarmal gemeinsam in der Disko gewesen", erklärte ich schließlich.
Janas perlendes Lachen erklang.
"Einmal zum Karneval und einmal nach dem Stadtfest. Da war ich noch mit Hannes zusammen. Mensch Mädel, wann willst du denn endlich mal deine große Liebe aus Studententagen ad acta legen?"
Mein nagender Liebeskummer ging Jana doch nun wirklich nichts an. Ich bereute es längst, ihr von Patrick erzählt zu haben.
"Im Augenblick bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben", verteidigte ich mich. "Die Arbeit macht mir großen Spaß."
Jana biss in ihr Erdbeerbrötchen und schaute mich verschmitzt aus ihren dunklen Kuhaugen an.
"Ok, ok, ich nehme alles zurück", nuschelte sie mit vollem Mund. "Aber könntest du mir heute Abend einen Gefallen tun?"
"Vielleicht", antwortete ich froh darüber, dass sie das Thema wechselte.
"Ich habe da eine Dummheit gemacht", sagte sie. "Heute Abend will mich ein Typ zu einem Date abholen, aber inzwischen habe ich mich in jemand Jüngeren verliebt."
War mir längst klar, dass Jana abends nicht immer zur ehelichen Besprechung mit Hannes unterwegs war, so wie die Frau unter Saft stand. Aber gleich zwei neue Männer?! Das überstieg meine Vorstellungskräfte.
"Na ja, und da du wahrscheinlich sowieso zu Hause bleibst und an deinen Schularbeiten werkelst, dachte ich, du könntest ihn für mich abwimmeln."
"Jana!", rief ich. "Bist du bescheuert? Greif doch zum Handy und mach das selbst."
"Das ist es ja gerade, wir haben vergessen, unsere Nummern auszutauschen."
Verlegen senkte sie ihren Blick. So kannte ich sie gar nicht. Merkwürdig.
"Du brauchst ihn auch nicht reinzulassen", schlug sie dann vor. "Sag ihm einfach über die Sprechanlage Bescheid. Er ist eigentlich ein ganz netter Kerl, nur eben doch nicht wirklich mein Typ."

*

Als es weit vor Janas Zeitangabe an der Wohnungstür klopfte, glaubte ich, es wäre meine Nachbarin. Aber Hilfe! Da stand doch dieser Mensch im Flur. Jemand musste unten die Haustür offen gelassen haben. Er sah ganz passabel aus, nur etwas zu dünn für meinen Geschmack.
"Guten Tag", sagte er. "Ich bin Klaus und wollte zu Jana."
"Die wohnt aber nicht hier. Ist auch heute nicht da. Schaut nur manchmal vorbei."
"Ja, ja, das hat sie mir gesagt, dass sie hier nur vorübergehend einquartiert ist. Komisch, wir waren fest verabredet."
Meine Nachbarin öffnete ihre Tür.
"Tschuldigung, dachte, ich hätte meinen Mann gehört. Nichts für ungut."
Lächelnd zog sie sich wieder zurück.
"Könnte ich nicht für einen Augenblick reinkommen?", fragte Klaus.
"Nein, können Sie nicht!"
"Aber ich würde das so gerne klären, bitte."
"Dann komme ich eben kurz mit nach unten", sagte ich, packte meinen Schlüssel und zog die Wohnungstür zu. Es war mir unangenehm, ihn im Treppenhaus hinter mir zu spüren.

Unten stand ein geschniegelter Borgward vor dem Haus. Zweisitzer, bordeauxrot mit leinenfarbenem Schiebedach. Cockpit aus glänzendem Wurzelholz und edle Ledersitze. Ein wunderschöner Oldtimer.
Klaus bemerkte meinen bewundernden Blick.
"Das Schätzchen hege und pflege ich. Habe extra eine Garage voll originaler Ersatzteile."
"Wirklich toll", sagte ich. "Und was bitte, möchten Sie jetzt mit mir klären?"
Er seufzte.
"Eigentlich wollten Jana und ich das Wochenende in Holland am Meer verbringen. Aber nun scheint sie mich zu versetzen."
Freundlich schaute er mich an.
"Hättest du, äh Sie, nicht vielleicht stattdessen Lust? Natürlich völlig unverbindlich und mit getrennten Zimmern."
"Tut mir leid, aber ich habe zu arbeiten. Trotzdem schönes Wochenende!"
Mit einem Kopfnicken floh ich ins Treppenhaus.
Er gab nicht auf. Genervt drückte ich auf die Sprechanlage.
"Bitte?"
"Ich werfe meine Handynummer in Ihren Briefkasten. Nur, falls Sie es sich doch noch überlegen."
Mir war alles recht. Hauptsache, er machte sich endlich aus dem Staub. Nun brauchte ich einen Kräutertee.
Der Kerl vergab spontan seine Handynummer? Ich nahm einen wärmenden Schluck. Mir fiel das Frühstücksgespräch wieder ein und wie Jana meinem Blick ausgewichen war. Also hatte sie mich beschwindelt. Ganz klar. Die blöde Kuh hatte mich mit einem ihrer Lover verkuppeln wollen. War vielleicht sogar ein Komplott von beiden. Jetzt reichte es mir. Ich setzte den Becher ab und begann, Janas Krempel einzusammeln.

*

Beim Märchenwettbewerb belegte meine Klasse den sechsten Platz und gewann damit einen Gratistag in einem Freizeitpark. Wir waren alle stolz und glücklich.
Nach Janas Auszug engagierte ich mich wieder vermehrt beim örtlichen Krötenschutz. Hier lernte ich auch meinen Gernot kennen. Aber das ist eine andere Geschichte und hat mit Jana nicht das Geringste zu tun. Zum Glück. Denn von mir aus kann sie bleiben, wo ihr Pfeffer wächst.

Version 2 © Karin Hübener

Letzte Aktualisierung: 18.08.2013 - 15.08 Uhr
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