Honigfalter
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Auferstehung | September 2013
Wasser
von Klaus Eylmann

Wirtschaftskrise. Nichts Neues unter dem Himmel. Die Regierung kreiste um sich selbst und Städte waren auf sich gestellt. Elidor und Samson befanden sich auf dem Weg zur nächsten. „Wie heißt sie noch gleich?“, fragte Elidor bei jeder Gelegenheit.
„Dunbar“, antwortete Samson automatisch.

Es war heiß und drückend. Die Rucksäcke schienen schwerer zu werden. Ein Pferdewagen rumpelte heran, fuhr neben ihnen her.
„Wohin des Wegs?“, rief der Kutscher herab.
„Zur nächsten Stadt“, antwortete Elidor. „Wie heißt sie noch gleich?“
„Dunbar. Da fahre ich hin. Für 10 Dinar könnt ihr aufsteigen.“
„Ist recht“, brüllte Samson zurück und hielt Elidor die Hand hin. Der schüttelte den Kopf und holte Geld aus dem Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war. Sie stiegen zu dem Kutscher auf den Bock.

„Elidor“, stellte sich der Korpulente vor. „Traumdeuter, und mein Kumpan, der mir das Geld aus der Tasche gezogen hat, ist Samson, Wünschelrutengänger.“
Der Kutscher nickte. Der Boden wurde steinig. Am Horizont wuchsen Berge in den Himmel, vor denen sich Türme einer Stadt reckten.
„Wenn ich die Fässer dort abgeladen habe“, brummte der Kutscher, „muss ich gleich wieder verschwinden.“
„Der Grund?“ Elidor zog zwei Stück Kautabak aus seiner Westentasche und gab eines davon dem Kutscher.
„Wasser ist knapp. Ich verkaufe es für 20 Dinar pro Fass. Sie zahlen in Gold.“ Samson erhob sich vom Bock und blickte zur Ladefläche, auf der zehn Fässer hin und her schaukelten.
„Wir zahlen 60 für zwei Fässer, wenn du uns da reinklettern lässt.“ Samson hielt Elidor die Hand hin.
„Das hat meine Tante Matilde sicher nicht im Sinn gehabt, als sie mir das Geld zugesteckt hat“, nörgelte Elidor. „Aber ich weiß jetzt, wie die Stadt heißt. Sie heißt...nee, ich weiß es doch nicht. Also, wenn ich von der Stadt spreche, dann meine ich Dunbar. --- Was seht ihr mich so an?“

Kurz vor Dunbar hielt der Kutscher. Die Männer ließen Wasser aus zwei Fässern laufen. Elidor und Samson warfen ihre Rucksäcke in die Tonnen und stiegen hinterher. Der Kutscher verschloss sie und fuhr mit ihnen zur Stadt.

An den Mauern des Tores und an denen der Häuser brach sich das Poltern des Gefährts, das kurz darauf in eine Halle fuhr und dort anhielt. Die beiden Freunde wurden mit ihren Fässern vom Wagen gerollt. Sie hörten, wie leere aufgeladen wurden und der Kutscher davonfuhr. Schritte entfernten sich. Sie warteten, bis Elidor die Geduld verlor.

“Hey”, rief er.
“Selbst hey“, antwortete Samson. „Stoß den Deckel nach oben. Du hast den dickeren Kopf.”
Elidor drückte sich ächzend hinaus und blickte um sich. Sie befanden sich in einem Lager voller Fässer und Tonnen.
„Hol mich hier raus“, rief Samson. Die beiden griffen nach ihren Rucksäcken. Samson schlich zum Tor und öffnete es einen Spalt.
„Verschwinden wir von hier“, meinte er. Stimmen durchbrachen die Stille. Eine Prozession bewegte sich gemessenen Schrittes die Straße entlang. Die Teilnehmer steckten in schwarzen Kutten. Ihre Köpfe waren unter Kapuzen verborgen. Elidor und Samson schlossen sich an. Kopfsteinpflaster, es gab keine Bürgersteige. Wolken waren aufgezogen. Es fing an zu regnen. Die Straße war abschüssig. Regenwasser begleitete sie auf dem Weg.
„Ist die Stadt antik!“, flüsterte Elidor angesichts der Fachwerkhäuser, deren überstehende Erker das Tageslicht fernhielten. Das letzte Paar der Kapuzenträger blieb plötzlich stehen und drehte sich zu ihnen um. Vorstehende Augen sahen sie ausdruckslos an. Kiemen, Mäuler bewegten sich. Elidor und Samson erstarrten vor Schreck. Dann ergriff Samson Elidors Ärmel. Hals über Kopf rannten die beiden Männer in die nächste Seitenstraße. Gedämpfte Unterhaltung drang aus einer Kneipe. Sie stürzten hinein und sahen sich um.

„Menschen!“ Elidor wischte sich erleichtert den Schweiß von der Stirn. Samson grinste gequält und schob Elidor vorwärts. „Ich sehe einen Platz.“ Kurz darauf hatte jeder von ihnen einen Krug Bier auf dem Tisch. Verwirrt lehnten sie sich zurück und blickten in die Runde. Leichtfüßig lief die junge Bedienung an den Tischen vorbei. Männer tuschelten.

Ein weiterer kam ins Lokal, trug Cordhosen, Wollhemd, Tweedjacke, ging am Stock. Unschlüssig blieb er stehen. Sein zerknittertes Gesicht wandte sich ihnen zu, dann stand er vor ihrem Tisch.
„Neue Gesichter“, krächzte er. „Sieht man selten hier. Van Hülsen. Professor für Wasserwirtschaft.“
„Wasserwirtschaft?“, rief Elidor. „Wasser gibt es hier doch gar nicht, oder?“
Van Hülsen zog einen Stuhl heran und setzte sich.
„Gibt es schon. Doch nach einem Erdbeben sind die Brunnen versiegt. Just zu diesem Zeitpunkt kamen die Fischköpfe aus den Tiefen der Erde. Nun leben sie im Fluss und damit ist das Wasser dort für uns nicht mehr genießbar.“
„Ich heiße Samson. Meine Profession ist Wünschelrutengänger und das ist“, Samson deutete mit seinem Kopf auf Elidor, „das ist Elidor, ein Traumdeuter.“

„Fischköpfe.“ Elidor lehnte sich zurück. „Wir haben eine Prozession gesehen.“
„Sie gehen abends in eine unserer Kirchen.“ Van Hülsen beugte sich vor. „Hört, wie ruhig es hier ist. Die Leute haben Angst. Wir kennen die Sprache dieser Wesen nicht. „Es hört sich jedoch so an wie: ´Ph´nglui mglw´nafh Cthulhu R´lyeh wgah´nagl fhtagn´.“ .*) Van Hülsen erhob sich. Dann sagte er noch, bevor er ging: „Und jedes Mal legen sie einen Klumpen Gold auf den Altar.“
„Was passiert damit?“, fragte Samson.
„Den erhält der Stadtrat. Und was Träume angeht. Wir unterhalten uns darüber, wenn ihr eine Nacht in Dunbar verbracht habt.“ Dann verschwand van Hülsen in der Dunkelheit.

Es war keine Kneipe, sondern ein Gasthaus. Elidor und Samson nahmen ein Zimmer, legten sich aufs Ohr und träumten.

Am nächsten Tag waren die Wolken verschwunden. Die Morgensonne warf ihr Licht in die Gaststube. Staubkörner flirrten, eine Standuhr tickte, Schatten von Fensterkreuzen zeichneten sich auf dem Boden ab. Die Männer sahen sich mit bleichen Gesichtern an.
„Ich hatte einen seltsamen Traum“, berichtete Elidor und biss ins Brötchen.
„Ich auch.“ Samson lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster.
„Da ist ein Baum“, rief er, sprang vom Stuhl und rannte auf die Straße. Dann kam er zurück.
„Elidor, hilf mir mal.“ Samson zeigte auf einen Ast. „Eine Wünschelrute.“
Gemeinsam zogen sie ihn herab und brachen ihn.

Ein Fenster wurde aufgerissen. “Was macht ihr da?”, rief jemand. Plötzlich wimmelte die Straße von Menschen, die einen Kreis um die beiden bildeten. Ein kräftig gebauter Mann trat heraus.

“Wer seid ihr? Ich habe euch noch nie gesehen. Und nun habt ihr den einzigen Baum der Stadt beschädigt.”
Wie heißt die noch gleich?”, fragte Elidor.
Die beiden landeten im Gefängnis. Es war still in der Zelle. Irgendwo rumpelte ein Pferdewagen. Elidor und Samson saßen auf dem Boden.
Der Traumdeuter fuhr mit der Hand an seinen Gürtel. “Glück im Unglück. Den Geldbeutel haben sie mir nicht abgenommen. Es hatte was von einem Tintenfisch, von einem Polypen, von einer Krake.”
“Tauchte aus einem unterirdischen See empor, warf sich gegen die Mauern und starrte mich mit feuerroten Augen an”, fuhr Samson fort.
„Was, dich auch?“, rief Elidor. „Und in die Felsmauern waren Zeichen eingemeißelt?“
“Lettern”, erwiderte Samson, “die mir unbekannt sind und Abbildungen von Monstrositäten.”
“Pfft.” Elidor ließ Luft ab und sackte in sich zusammen. “Es war kein Traum. Und das blubbernde Geräusch seiner Stimme. So viel lauter als die der Fischköpfe. Sie wollte uns etwas sagen.”

Am Abend hörten sie Stimmen. Der Wärter öffnete die Zellentür. Sie sahen van Hülsen.
“Der Professor hat für euch eine Kaution hinterlegt.”
“Wärter, wir benötigen den Ast“, bestand van Hülsen. „Zum Prozess werden wir ihn zurückbringen.“

Sie gingen zur Asservatenkammer, bekamen den Ast ausgehändigt und unterschrieben eine Quittung.

Als sie das Gefängnis verließen, schwadronierte der Professor: “Ich muss wahnsinnig sein, mich darauf einzulassen. Und doch muss es getan werden, so hirnrissig es auch sein mag. Bar jeder Logik. Jedoch wohin führt uns diese, wenn die Bürger dieser Stadt jede Nacht das gleiche träumen, wenn Individuen mit Fischköpfen aus der Erde hervorkommen?”
“Und was macht ein Professor für Wasserwirtschaft ohne Wasser in ... wie heißt die Stadt doch gleich?”, fügte Elidor hinzu.

Elidor und Samson aßen zu Abend und verbrachten eine weitere Nacht im Gasthaus. Am darauffolgenden Tag umgab Samson ein Pulk von Menschen, die Spaten und Schaufeln in ihren Händen hielten, neugierig beobachteten, wie er mit ausgestreckter Wünschelrute Straßen, Wege und Parkanlagen abschritt.

„Dieser Springbrunnen war unser ganzer Stolz“, dozierte van Hülsen und deutete auf einen kreisförmigen von steinernen Engeln umfassten Brunnen, aus deren offenen Mündern kein Wasser mehr schoss. Samson ging daran vorbei auf eine Wiese. Die Rute schlug aus.
„Hier ist es!“, rief er. „Und nun heißt es: Graben, graben, graben.“ Und sie gruben. Tiefer und tiefer gruben sie, verschwanden in der Erde. Dann schoss eine Wasserfontäne in die Höhe. Schreie drangen aus dem Loch. Ein undefinierbares, riesiges, einer Krake ähnliches Ungeheuer schob sich aus der Öffnung.
„CTHULHU CTHULHU.“ Seine gurgelnde Stimme ließ den Boden unter den Menschen vibrieren. Das Wesen aus einer anderen Welt, an das sich die Menschen auf der Wiese ihr Leben lang erinnern würden, schoss mit peitschenden Tentakeln in die Lüfte. Vom Fluss her kamen schuppigsilbrig glänzende Fischmenschen herangeflogen. Sie bildeten eine Formation und verschwanden mit CTHULHU im Blau des Himmels, in dem ein Riss klaffte, der für kurze Zeit die kalte Dunkelheit des Kosmos freilegte.
Elidor fasste sich zuerst. „So, jetzt hat die Stadt wieder Wasser.“
„Und was ist mit dem Gold?“, rief einer aus der Menge.
Samson wedelte mit der Wünschelrute. „Da gibt es nur eines: Graben, graben, graben.“

*) Linguisten fanden inzwischen die Bedeutung heraus: In seiner Heimstatt R´lyeh wartet der tote Cthulhu träumend.
s.a. Howard Phillips Lovecraft: I miti di Cthulhu, Biblioteca Economica Newton,
Abdul Alhazred: Necronomicon

Letzte Aktualisierung: 13.09.2013 - 18.12 Uhr
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