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Auferstehung | September 2013

Was muss man tun, wenn ein Geist vor der Tür steht?
von Anne Zeisig

Rentner Herbert Krassnitz blickte zur Wanduhr und runzelte ärgerlich die Stirn. Seine Metallbrille hüpfte auf dem Nasenrücken kurz hinauf und hinab. Er mochte es nicht, wenn seine Frau Mathilde nach dem Einkauf wieder unten an der Ecke bei dem Tratschheini Sabotki stand.
Keine Frage, Mathilde war ihm seit Jahrzehnten eine gute Ehefrau, hielt pflichtbewusst den Haushalt in Ordnung und das Essen kam täglich pünktlich auf den Tisch. Jedoch war Mathilde von einfacher Natur.
Das nutzte Sabotki schamlos für seine Neugierde aus. Er fragte Mathilde über Nachbarn aus und die Einfältige gab ihm stets Auskunft.
Immer wieder riet Herbert seiner Gattin, sich vom Sabotki fernzuhalten, denn dieses Gerede hinter dem Rücken der Leute erzeuge nur böse Missverständnisse. Jetzt hatte der Nachbar sie offenbar wieder in ihren Fängen.

Wie neulich. Es war noch niemand aus der Nachbarschaft in den Genuss gekommen, das erste Enkelkind von Egon und Gertrud Mayer zu begutachten, da hat Sabotki Mathilde bereits erzählt, was für ein Wunderkind das Kleine sei.
Würde bereits alleine die Treppe hinunter wieseln bis ins Wohnzimmer und flink auf den Schoß der Großmutter hopsen, weil es gerne am Kopf gestreichelt werden will und Gekraule auf dem Rücken mag. Sabotki hat gemeint, Egon sei eifersüchtig auf die kleine Leonie, weil sie auf Gertrud fixiert sei und ausschließlich besondere Nahrungsmittel essen dürfe, denn es gäbe irgendeine Unverträglichkeit.
Nur teure Biokost würde die Mayersche für den Familienzuwachs kaufen, von den Spielsachen zum Zeitvertreib abgesehen, und Egon befürchtete, dass seine Rente vorne und hinten nicht mehr reichen könne für den Kneipenabend.
“Egon”, hat Herbert gemeint, als er ihn in der Gaststätte angetroffen hat, “wenn es um Tiere und Kinder geht, da vergessen die Frauen alles um sich herum. Da schlagen die längst vergessenen Hormone Kapriolen und die Bedürfnisse eines Mannes sind wie weggeblasen. Da wird den lieben Kleinen alles von vorne bis hinten in den Arsch gesteckt Koste es, was es wolle”
“Von wem weißt du das?”, fragte der frustrierte Großvater.
“Das hat Sabotki neulich Mathilde erzählt Auch das mit der schlimmen Lebensmittelkrankheit. Da kann ja wirklich keiner was dafür. Sabotki weiß genau, wann die Meinige vom Einkaufen kommt und ausgerechnet zu dem Zeitpunkt harkt er in seinem Vorgarten die Hundescheiße weg. ”
“Tratschheini”
“Mein Reden. Guck dir mal Sabotkis Vorbeet an Das ist ein stinkendes Hundeklo So ist das, wenn man seinen Köter nicht erziehen kann Aber ich bin der Letzte, der auf sowas rumhackt, oder es jemandem erzählen würde. Da kann ich schweigen wie ein Grab.”
Egon nippte an seinem Bier. “Der Hund ist aber auch schon alt.”
“Du nimmst den noch in Schutz? Alt mag Sabotki sein, aber nicht so tadderig, dass er mit seiner Töle nicht mehr Gassi gehen kann. Schließlich wäre er nicht der einzige, der seinen Hund auf dem Spielplatz in den Sandkasten pinkeln lässt. Der Schüssler, die Schneider und der Holzner lassen ihre Vierbeiner da auch kacken. Aber von mir hast du das jetzt nicht gehört, weil ich solchen Klatsch hasse.” Er beugte sich zu Egons Ohr und flüsterte. “Hast du gewusst, dass Holzner eine Ehetherapie machen? Und mit dem Hund gehen sie zum Hundetherapeuten. Das wäre doch auch was für Sabotki.”
“Ich meine nicht Sabotkis Alter, sondern dass sein Hund alt ist. Der merkt bestimmt nicht mehr, wann er muss. Ist doch bei alten Leuten auch oft so.”

“Hat Sabotki dir etwa erzählt, ich sei außerhalb der Kontinenz?”
“Nein. Wer soll dem denn davon erzählen?”
“Mathilde vielleicht in ihrer Naivität? Wenigstens kläfft sein Köter nicht mehr die Nachbarschaft wach. Seit ein paar Tagen ist Ruhe.”
Egon schmunzelte. “Das ist mir auch aufgefallen. Bei dem Herrchen kommt der Vierbeiner sicherlich nicht mehr zu Wort.”
“Jau. Und Irene ist so eine nette, angenehme Person. Die verliert nie ein schlechtes Wort über andere.”
“Wer ist denn Irene?”
“Sabotkis Frau Sag bloß, du kennst ihren Vornamen nicht?” Herbert schüttelte den Kopf. Egons Gedächtnis schien auch nicht mehr das von früher zu sein.
“Habe selten was mit ihr zu tun gehabt”, entschuldigte der Nachbar seine Wissenslücke und verabschiedete sich. “Unsere Tochter bringt gleich Leonie.”
“Ist sie oft bei euch?”
Der Nachbar schüttelte den Kopf. “Nur mal am Wochenende. Damit Leben ins Haus kommt, meint Gertrud.”
Herbert winkte ab. “Bin froh, dass unsere Brut weit weg wohnt. Mir reicht bereits das Affentheater an Weihnachten.”

* * *

Mathilde stellte die Einkaufstüten in der Küche ab und eilte zu ihrem Mann ins Wohnzimmer.
“Stell dir vor, da lebt man seit Jahrzehnten in einer Straße zusammen und dann sowas”
“Ich warte seit einer geschlagenen Stunde auf mein Bier, aber du quatscht wieder mit Sabotki”
Seine Frau bat ihn, sich zu setzen.
“Nie mehr kann ich mit Sabotki eine anregende Unterhaltung führen”, jammerte sie und tupfte mit einem Blusenzipfel ihre Tränen ab.
Herbert runzelte die Stirn. “Hat ihm ein Schlaganfall die Stimme genommen?”
“Schlimmer Er ist tot Einfach umgekippt im Garten Wenn Gertrud es mir nicht erzählt hätte, dann wüsste ich es heute noch nicht Ist doch klar, dass die scheinheilige Sabotkerin nichts hat verlauten lassen. Stille Wasser sind nicht nur tief, die sind auch geizig”
Sie schluchzte. “Man kann doch so einen kommunikativen Menschen nicht einfach so mir nichts, dir nichts, anonym bestatten.” Sie biss in einen Apfel. “Kein Streuselkuchen, keine anrührende Grabrede und kein geselliges Beisammensein“
Herbert war still geworden. Der Sabotki war nun also auch von ihnen gegangen. Wie bereits einige vorher in den letzten Jahren. Nun würde es in der Siedlung noch ruhiger werden.
“Wenigstens lebt seine Frau noch in dem Haus, da bleiben uns neue Nachbarn erspart”, antwortete Herbert und dachte mit Grauen an die Familien mit schreienden Gören einen Straßenzug weiter.
“Pah Was ist das für eine Frau, die ihren Mann heimlich im Erdboden verscharrt”
“Und was ist mit Egon und Gertrud?”, entgegnete Herbert ungehalten, “haben die zum Umtrunk eingeladen wegen des ersten Enkelkindes? Nein”
Seine Frau prustete laut und verschluckte sich beinahe am Apfel. “Leonie ist doch nicht das Kind, sondern der Welpe von der Mayerschen Tochter Wenn die am Wochenende arbeitet, hüten Egon und Gertrud das Hündchen”
Herbert fühlte sich bestätigt, dass der alte Sabotki ein Schandmaul und Lügner war, obwohl eine gewisse Pietät es ihm verbat, schlecht über Tote zu denken. Irene wird berechtigte Gründe gehabt haben, ihren Mann ohne Aufsehen unter die Erde gebracht zu haben.

Das Schrillen der Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. Mathilde hievte gerade den Bierkasten die Kellertreppe hinunter, also musste er öffnen.
Vor ihm stand Sabotki in voller Größe und Breite mit Bierbauch, Doppelkinn und Halbglatze.
Herbert staunte nicht schlecht. Der Kerl besaß die Frechheit anzuklingeln, obwohl er verstorben war
“Ich müsste deine Frau sprechen, habe sie heute nicht bemerkt, als sie vom Einkaufen kam.”
Der hatte feuchte Augen
War sicherlich traurig, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte und ergo nie mehr mit Mathilde tratschen konnte Irgendwie sah er auch blass aus, fand Herbert. So richtig totenbleich.
Was muss man tun, wenn ein Geist vor der Tür steht? Was soll man sagen, fragte Herbert in Gedanken und kratzte sich am Hinterkopf. Sowas hatte es in der Siedlung noch nie gegeben War das überhaupt zulässig? Was wohl die Nachbarn dazu sagen würden?
“Du”, stammelte Herbert unbeholfen, “ich habe keine Ahnung von diesem neumodischen übersinnlichen Zeugs. Zuletzt hat der Pastor vor Jahren was über Auferstehung erzählt, als ich, als wir alle auf der Beerdigung von der alten, äh, äh - “
“Burstätter. Maria-Antonia. Mit Stammbaum. Die mit dem reinrassigen Hasso.”
“Du hast ihr geglaubt, dass der reinrassig ist? Egon meinte seinerzeit, dass das eine hochgezüchtete Promenadenmischung gewesen sein soll.”
“Auf solches Gerede gebe ich nichts.”
“Klar. In deiner jetzigen Lage. Aber du sollst wissen, dass es mir unendlich leid tut für dich, auch wenn wir in all den Jahren wenig Kontakt hatten und das alles so plötzlich über dich gekommen ist, dass du noch keine Ruhe finden kannst.”
Herbert war stolz auf seine spontanen Trauerworte.
Sabotki drückte ihm die Hand. “Danke.”
Herbert wurde misstrauisch, weil Sabotkis Pranken überhaupt nicht kalt waren.

“Ich glaube nicht, was ich sehe”, rief Mathilde und eilte stolpernd die Treppe hinauf. “Richard Mich trifft der Schlag” Sie taumelte und fiel Sabotki in die Arme.
“Richard? Habe ich da was nicht mitgekriegt?”, fragte Herbert, der sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, dass der Nachbar auch einen Vornamen haben könnte.
Ihm fiel aber auf, dass seine Gattin ihr Gesicht einseitig verzogen hatte. So eine Grimasse hatte sie sonst nie gezogen, wenn Sabotki ihr begegnet war.
“Unser Hund ist verendet und da wollte ich fragen, ob Mathilde”, er schob die Leblose Herbert in die Arme, “ob sie zum Kaffee kommen mag, weil Bello Mathilde doch auch gemocht hat.” Er zuckte die Schultern und wisperte, “aber das hat sich nun wohl erledigt. Mein Beileid, Krassnitz.”

© anne zeisig, version 3

Letzte Aktualisierung: 17.09.2013 - 20.01 Uhr
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