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Auferstehung | September 2013

Epilog
von Nick Gansweid

„Er ist exzentrisch, wunder dich nicht wenn er dir irgendwelche Sprüche drückt.“
„Danke, werde ich mir merken.“
Daniel legte die Hände auf den goldenen Griff des kleinen Wagens und begann ihn aus der viel zu warmen Küche zu schieben. Die Warnung seines Kollegen war schon beinah so schnell verflogen wie die ganzen Gerüche, da sie unnötig war. Die meisten Gäste, die sich dieses Zimmer leisten konnten waren exzentrisch, seltsam, verrückt oder sonst was in der Richtung. Was wohl zum einem am Geld lag und zum anderen den Drogen, die man sich damit leisten konnte. Zumindest war das Daniels Theorie.
Der Gang zum Personalaufzug war schnell passiert, doch der Aufzug war nicht da. Daniel seufzte entnervt. Eigentlich war sein Dienst schon beendet, aber weil es voll war sprang er noch kurz ein um einen letzten Gast zu bedienen. Nur wie das so war, wenn man sich schon im Feierabend wähnte und dann doch arbeitete, verging die Zeit noch langsamer als sonst. Dabei hatte er es heute verdammt eilig, schließlich brachte Simone ihre kleine Schwester heute Abend mit zur Feier. Die süße Nora. Daniel seufzte erneut. Das Quietschen der sich öffnenden Aufzugstüre riss ihn aus seinen Gedanken an Nora. Eilig schob er den Wagen in die Kabine. Ein Druck auf den Etagenknopf setzte sie in Bewegung. Endlose Sekunden vergingen während der Fahrstuhl aufstieg. Kurz bevor er die Etage erreichte strich Daniel seine Uniform glatt, richtete die Mütze und setze sein charmantestes Lächeln auf. Dann glitten die beiden Türen auseinander. Der Gang war leer, so dass er ihn mit ein paar großen Schritten durchqueren konnte um schneller zu sein. Ein kurzes Räuspern. Klopfen. Vorsichtiges Tür öffnen.
„Zimmerservice.“ sagte er in angemessener Lautstärke, während er den Wagen reinschob.
Leise Musik spielte. Irgendwas Klassisches. So gar nicht sein Fall. Achtsam bugsierte er den Wagen in die Mitte des leeren Raums. Als niemand reagierte sah er sich kurz um. Die teure Einrichtung wirkte beinah unbenutzt, sah man von einem verschobenen Stuhl ab und einem Laptop auf dem Tisch. Also konnte der Gast schon mal kein Musiker sein.
„Zimmerservice.“ sagte er etwas lauter.
„Moment.“ rief eine Stimme.
Daniel rollte kurz mit den Augen. Er hätte sich doch nicht melden sollen. Ein älterer Mann mit leicht ergrautem Haar kam in den Raum.
„Entschuldigen Sie, ich war mit meiner Garderobe beschäftigt. Wenn Sie die Freundlichkeit besäßen.“ der Mann sah kurz zum Tisch. Daniel nickte verstehend und macht sich dran das Essen aufzutischen. Nun bereute er es noch mehr.
„Ein letztes Mahl kann nicht schaden.“ sagte der Mann, als er Platz nahm. Er war gut angezogen, so wie jemand der noch in die Oper oder ins Theater geht.
„Wohin soll es den gehen?“ fragte Daniel freundlich.
„Eigentlich nirgendwohin.“ antworte der Mann im Plauderton.
„Oh verstehe, Sie bekommen noch Besuch.“ er lächelte. Es kam oft vor das sich einsame Herrn feine Damen für gewisse Stunden bestellten.
„Nein, in keinster Weise.“
Daniel stutzte etwas, erinnerte sich aber an die Worte seines Kollegen. Ein verschrobener Kauz. Wunderbar.
„Aber ich würde Sie bitten zu bleiben.“ beiläufig nahm er Messer und Gabel zur Hand.
„Erm, wie bitte?“ Daniel sah sein Gegenüber an, dass damit begann zu Essen.
„Bleiben Sie doch bitte. Unterhalten Sie sich ein wenig mit mir.“
„Verzeihen Sie, aber wir haben viel zu tun und mein Chef wäre sicher nicht erfreut wenn ich einfach so wegbleibe.“ die Ausrede war einstudiert.
„Oh glauben Sie mir, er wird es verstehen.“ der Mann war überzeugt von seinen Worten.
„Vielleicht, aber wir dürfen auch eigentlich nicht mit unseren Gästen Zeit verbringen. Das sieht man nicht so gerne.“ er blieb weiterhin höflich, auch wenn es nervte.
„Wissen Sie wer ich bin?“ fragte der Mann zwischen zwei Bissen.
„Entschuldigen Sie, leider nicht.“ antwortete Daniel verlegen. Er hoffte inständig, dass nun keine Ansage kam dass der Gast vor ihm irgendein hohes Tier war das die Chefetage des Hotels kannte. Wegen sowas waren schon ganz andere geflogen.
„Sehen Sie, dass ist das traurige. Zum einen wissen Sie es nicht und zu anderen wollen Sie sich nicht mal die Zeit nehmen, es in Erfahrung zu bringen.“ der Mann sah ihn an. In seinen Augen lag etwas Trauriges.
„Wobei dieser bedauerliche Umstand sich Morgen ändern wird und ich sehr sicher bin, dass Sie sich dann ärgern werden dieses Angebot nicht angenommen zu haben. Diese letzte Möglichkeit.“ er aß weiter, während Daniel nur die Stirn runzeln konnte. Versuchte der alte Mann ihn grade Anzugraben?
„Wie meinen Sie das?“ Daniel fühlte sich etwas unwohl.
„Weil ich Morgen nicht mehr sein werde.“ es kam so beiläufig, dass Daniel im ersten Moment nicht auffiel was die Worte bedeuteten. Dann bildete sich ein kalter Brocken Unbehagen in seinem Bauch.
„Hören Sie…“ der Mann hob die Hand, nickt dem gegenüberstehenden Stuhl zu und sah Daniel auffordernd an. Dieser setzte sich.
„Machen Sie sich keine Gedanken deswegen, ich habe mir das alles sehr gut überlegt. Also sparen Sie sich den Atem mein guter Junge.“ der alte Mann lächelte freundlich „Hören Sie mir einfach zu. Antworten dürfen Sie dann später anderen geben.“
Daniel saß still auf dem Stuhl. Der Charakter des Gespräches gefiel ihm gar nicht.
„Wie heißen Sie mein Junge?“
„Daniel.“
„Das macht das ganze doch gleich persönlicher.“ der alte schob den Teller mit dem Essen von sich „Nun Daniel, wenn Sie es so wollen, sind Sie mein Epilog.“
Daniel sah sein Gegenüber fragend an. Die Situation wirkte völlig surreal.
„Ich bin Schriftsteller, müssen Sie wissen. Und Sie, Daniel, sind so gesehen das letzte kleine Kapitel in meinem Leben. Etwas das mit dem Ganzen eigentlich nicht zusammenhängt, es aber dann doch abschließt.“
„Aha.“ war Daniels geistreicher Kommentar dazu.
„Als ich in ihrem Alter war, habe ich mein erstes Buch geschrieben. Ein großer Erfolg. Bejubelt von der Fachpresse. Ausgezeichnet und mit Lorbeeren überschüttet. Ich stieg auf wie ein Komet.“ eine kurze Pause.
„Und dann?“ Daniel fühlte sich in der Pflicht diese Frage zu stellen.
„Schön das Sie fragen, so wird hieraus doch ein Dialog, statt ein Monolog.“ der Mann lächelte kurz ehe er fortfuhr.
„Wie alles was aufsteigt, bin ich gefallen. Für mich stand der größte Preis, den ein Schriftsteller erhalten kann in Aussicht.“
„Aber Sie haben ihn nicht bekommen.“ führte Daniel die Ausführung fort.
„Exakt. Mein Werk war gut, erstklassig, aber nicht außergewöhnlich genug wie es schien. Also erhielt ich den zweiten Preis. Was an und für sich kein großes Problem war. Schließlich war ich jung, die Welt stand mir offen.“
Frust schlich sich in die Mimik des Mannes. Daniel atmete kurz durch. Scheinbar wollte der Mann nur seinen Frust von der Leber reden und er hatte das große Glück das Paar Ohren zu besitzen, die sich das anhören durften. In der Ausbildung hatte man erwähnt, dass sowas vorkommen kann.
„Doch es kam anders. War mein Erstling noch heiß begehrt, war alles was ich danach schrieb …“ er machte eine Pause, die Stirn in Falten gelegt „Uninteressant.“
„Warum das?“ fragte Daniel mit ehrlichem Interesse.
„Wenn man beinah ganz oben war, haben die Menschen dementsprechende Ansprüche an alles was man danach macht. Doch ist Schreiben kein Sport, den man trainieren kann um sich zu verbessern.“ kurz schüttelte er den Kopf.
„Auf allem was ich danach schrieb lag ein Schatten. Eine Erwartungshaltung mit der ein Mechanismus einherging, der gebot dass jedes Buch mindestens so gut sein musste wie mein Erstling. Da man aber im Vorfeld nicht wieder zu hoch greifen wollte, stapelte man tief. Und mit der Zeit wurde aus einem gefeierten Aufsteiger ein ewiger Zweiter, der in seinem eignen Schatten stand.“ Die Resignation in den Worten war kaum zu überhören. Mit einem Seufzer stand der Mann auf.
„Jahrzehnte lang fühlte ich mich wie lebendig begraben.“
„Und das wollen Sie nun irgendwie ändern.“ fragte Daniel vorsichtig, in dem Hoffnung aufstieg bald verschwinden zu können.
„Ja. Indem ich meinem Leben ein Ende setze.“
„Wie Bitte? Was soll das bringen? Das ist doch völliger Unsinn.“ platzte es aus Daniel hervor, dessen Hoffnung sich verabschiedete. Niemand hatte ihn darauf vorbereitet, dass man in die Sinnkriese geratene Künstler vom Selbstmord abhalten muss, aber er würde Morgen einen Zettel in die Vorschlagsbox werfen.
„Für Sie vielleicht, aber seien wir ehrlich, viele Künstler werden erst nach ihrem Tod berühmt.“
„Ich glaube nicht, dass das so funktioniert.“ entgegnete Daniel. Hilflosigkeit machte sich in ihm breit.
„Das ist ihre Meinung. Die Entscheidung ist aber bereits getroffen.“ er machte eine kurz Pause „Man muss bereit sein Opfer zu bringen und genau dies tue ich nun. Verstehen Sie mich nicht falsch, es fällt mir schwer, ich hänge an meinem Leben, aber als Schriftsteller wird dies meine Auferstehung sein. Nur für diese muss ich fallen.“
Der alte Mann lächelte Daniel erneut freundlich an. Er war völlig überzeugt von dem was er sagte. Daniel hingegen war fassungslos.
„Und da Sie sich fragen, weshalb ich ihnen das erzähle.“ Daniel nickte nur, zu mehr war er im Moment nicht fähig „Sie sollen der Beweis dafür sein, dass ich weder krank oder verrückt, sondern im, wie sagt man so schön, Vollbesitz meiner geistigen Kräfte war.“
Noch während Daniel damit beschäftigt war, dass gesagte zu verdauen ging der alte Mann zum Balkon. Er legte die Hände auf das Gelände, sah Daniel an und sagte „Vielen Dank.“ Dann sprang er hinüber.
Wie versteinert saß Daniel in dem Zimmer. Er hoffte, dass das alles nur ein Traum war oder das gleich einer dieser ätzenden Moderatoren aus seinem Versteck kam und „April, April“ rief. Doch es passierte Nichts. Langsam stand er auf, räumte den Tisch ab um dann den Wagen Richtung Türe zu schieben. Mit einer Hand nahm er den Hörer der Gegensprechanlage und drückte die Eins.
„Hallo, Julia? Ja ich bin es. Der Gast hat ausgecheckt.“
Hysterisches Gerede drang aus dem Hörer, aber er ignorierte es. Legte auf, schob den Wagen raus und schloss die Türe. Das mit Nora würde Heute bestimmt nichts mehr werden.

Letzte Aktualisierung: 22.09.2013 - 21.14 Uhr
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