Honigfalter
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Rausch | Oktober 2013
Berauscht von südländischer Gastfreundschaft
von Thea Derado

Wie schwärmen doch alle von der überströmenden Gastfreundschaft unserer südländischen Nachbarn, einer gewiss positiven Eigenschaft. Wie ein Gürtel umschließt dieses Merkmal alle Länder des Mittelmeerraums. Zumindest habe ich sie in arabischen wie auch in südslawischen Ländern kennen gelernt, auch bei deren Vertretern hier in Deutschland. Jedenfalls damals, als ich diese Zeilen notierte.
Was muss ich doch für einen komischen Charakter haben, dass ausgerechnet ich damit nur allzu oft in Konflikte gerade? Diese wunderbare, gutgemeinte Bereitschaft, den Gast zu umsorgen, empfinde ich undankbares Wesen nur zu oft als einengend!
Beim Essen fängt es schon an. Was immer ich mir auf den Teller laden mag, dem Gastgeber erscheint es zu wenig. Nun gehöre ich leider zu den Typen, die Nahrung ausgezeichnet verwerten und somit im ständigen Kampf gegen überflüssige Pfunde liegen.
„Willst du noch etwas Süßspeise?“
„Nein, danke meine Liebe!“
„Nun nimm doch, wenigstens etwas.“
„Nein, liebe Mira, ich mag wirklich nichts mehr essen. Ich kann nicht mehr.“
Und schwupp klatscht mir die Hausfrau, ihrerseits genervt durch meine hartnäckige Verweigerung, eine große Portion ihrer mit viel Liebe zubereiteten Süßspeise auf den Teller.
Bedauerlicherweise nehme ich das nicht so ganz stillschweigend hin und schlucke es runter. Nein, ganz und gar nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass ich die ganze delikate Portion nun meinerseits der Gastgeberin hinschiebe und mit einem mehr oder fröhlichen „Mahlzeit“ vom Tisch aufstehe. Die Gespräche fließen ja doch in der Landessprache ungebremster, als wenn ich Ausländerin mit mangelnden Sprachkenntnissen dabeisitze.
Wenn ich gut drauf bin, kann ich die Situation noch retten - mit einer Geschichte eines Menschen, sogar eines Südländers, der den gleichen Kampf um Selbstbestimmung führen musste: Ivos Tante Marica, eine in Graz lebende Kroatin, steckte auch ihren ganzen Hausfrauenehrgeiz darein, ihre Gäste möglichst übermäßig zu füttern. Ein Bekannter, selbst Jugoslawe, besuchte sie. Er hielt sich beim Essen etwas mehr zurück als die alte Dame gut heißen konnte. Sie schritt zur Tat und lud ihm den Teller wieder voll mit der Aufforderung: „Nimm, nimm! Wir haben davon genug.“
Aus dem weiteren Verlauf des Geschehens muss man zu dem Schluss kommen, dass der Gast darüber offenbar nicht sehr erfreut war. Denn als sie anschließend beim Kaffee saßen, den die Hausfrau nach Erfüllung all ihrer Pflichten ganz besonders genießen wollte, griff der liebe Gast zum Salzfässchen.
Mit den Worten: „Nimm, nimm! Wir haben wirklich genug davon!“, goss er der entsetzt blickenden Tante Marica wirklich reich in den schönen Kaffee.
Die Wirkung soll tatsächlich eine Weile angehalten haben!

Besonders ärgerlich ist das ewige Drängen beim Wein und anderen alkoholischen Getränken. Ständig wird nachgegossen. Hält man die Hand übers Glas, bekommt man Schelte vom Gastgeber. Der Hinweis, man müsse noch Auto fahren, wird nicht respektiert. Auch nicht, dass man Sodbrennen oder andere kümmerliche Beschwerden bekommen werde. Ein höflicher Gast ist verspflichtet, gegenüber einem südländischen Gastgeber nachzugeben, und wenn er, der Gast, darüber zum Märtyrer werden müsste! Ein gut gemeintes Angebot zurückzuweisen, kommt einer groben Beleidigung gleich!
Große Schwierigkeiten bereitet es meist, den Termin der Abfahrt oder des Heimgehens selbst bestimmen zu wollen.
Vor einigen Jahrzehnten war es in entlegenen arabischen Dörfern, wohin sich nur selten Fremde verirren, noch der Brauch, dass der Gast drei Tage bleiben musste. Ein Verletzen dieser Sitte von Seiten des Gastes konnte zu einer dauernden Feindschaft führen.

Nun, auch in weniger krassen Fällen bekommt man zu spüren, dass der Gastgeber beleidigt ist, wenn man früher als von ihm geplant seinen Heimweg antreten will. So steckt der Gast immer in dem unliebsamen Konflikt, entweder die Durchsetzung der eigenen Interessen mit der schlechten Laune des Anderen erkaufen zu müssen, oder aber nett zu sein und zu kapitulieren. Fängt demokratisches Verhalten nicht doch da an, wo ein jeder bereit ist, die Entscheidungsfreiheit seiner Mitmenschen, zumindest in so persönlichen Bereichen wie essen, trinken und schlafen, zu respektieren?

Nach einer Einladung bei jugoslawischen Freunden in den 70ern hatte ich meinen Abgang hart erkämpfen müssen. Zweifelsohne ist es eine unangenehme Situation und beeinträchtigt jedes Mal die Stimmung, nicht nur der anderen Gäste und des Gastgebers, nein, auch meine eigene. Es ärgert mich, dass ich überhaupt in die Lage komme, mich durchsetzen zu müssen. Dann überlege ich, ob es nicht doch besser ist, nachzugeben. Nach einem alten Sprichwort sei das ja ein untrügliches Zeichen von Klugheit.
Dieser Gedanke folgte mir in der auf die Einladung folgenden Nacht in meine Träume: Ich hatte den Hausherrn nicht daran gehindert, mein Weinglas unentwegt wieder aufzufüllen. Auch hatte ich nachgegeben, als er mich überredete, doch noch länger zu bleiben. Schließlich war es so spät und ich so voll, dass ich nicht mehr heimfahren konnte. Ich mochte das Auto nicht bei ihm vor der Tür stehen lassen und mit einer Taxe fahren, da ich es am nächsten Morgen wieder brauchte. Also fand ich mich im Traum schließlich in den frisch bezogenen Betten des ehelichen Schlafgemachs meiner Gastgeber wieder. Selbstverständlich bietet ein perfekter Gastgeber seinem Gast nicht die Couch im Wohnzimmer, sondern ein frisch bezogenes Bett an!
Nach einigen Stunden Schlaf erwachte ich – im Traum -, schlich mich aus dem Schlafzimmer, indem ich in all meinen Klamotten geschlafen hatte, da ich natürlich kein Nachtzeug bei mir haben konnte. Da fand ich den Hausherrn am Küchentisch eingenickt und seine Frau n der Wohnstube auf dem Sofa zusammengerollt.
Erquickt durch den Schlaf und vom Weinrausch befreit, verkündete ich, nun nach Hause fahren zu können. Immerhin musste ich in wenigen Stunden meine Kinder für den Schulweg wecken. Aber das Pflichtbewusstsein meiner Gastgeber war noch hellwach, obgleich sie selbst sehr verschlafen aus der Wäsche guckten. Um diese Zeit wäre es ganz unmöglich, dass ich nach Hause führe. Als Frau! Nachts! - Nichts zu machen!
Ich musste also warten, bis die beiden am Küchentisch und auf dem Sofa wieder eingeschlafen waren. Dann schlich ich zum Fenster und sprang – die Wohnung lag zum Glück im Erdgeschoss – in Strümpfen mit dem Autoschlüssel in der Hand hinaus in die Winternacht.
Nicht einmal im Traum ist für mich die Rolle der geduldigen Nachgiebigkeit mit aller Konsequenz durchführbar.
Wer unbedingt das Leben seiner Mitmenschen bestimmen will, der sollte sich nicht mit eigenständigen Wesen umgeben! Aber die Leibeigenschaft wurde schon vor mehr als zweihundert Jahren in Deutschland abgeschafft!
Damals, als es noch Jugoslawien hieß, musste ich auch einem befreundeten österreichischen Ehepaar behilflich sein, durch die Maschen der einengenden südländischen Gastfreundschaft zu schlüpfen: Gretel und Franz kamen auf ihrer Fahrt nach Griechenland durch Split an der dalmatinischen Küste. Wie vereinbart, trafen wir uns auf der Piazza im Diokletianpalast, dazu noch Danilo, ein Münchner Arbeitskollege von Gretel, und Danilos älterer Bruder, Milan, der in Split lebte. Da Danilo oft von Gretel bewirtet worden war und von ihrem Mann Deutschunterricht erhalten hatte, meinte nun sein Bruder, er müsse unter allen Umständen unbedingt an diesem Tage seine Gastfreundschaft beweisen. Es drückte gleich von Anfang an auf die Stimmung, dass er nahezu forderte, Gretel und Franz müssten bei ihm übernachten, ansonsten drohte ewiges Beleidigtsein!
Alle Umstände sprachen jedoch dagegen: Milan hatte eine Zweizimmerwohnung, in der außer seiner vierköpfigen Familie auch noch seine Mutter und jetzt vorübergehend sein Bruder wohnten. Einleuchtend, dass die zusätzliche Unterbringung zweier älterer Durchreisender nicht gerade eine angenehme Nachtruhe versprechen konnte.
Ich sah es Gretel an, dass sie von diesem Vorschlag alles andere als begeistert war. Etwas abseits sprach ich sie darauf an. In ihrem lieben Wiener Dialekt erklärte sie mir, dass sie unbedingt heute Nacht noch weiterfahren wollten. Sie führe lange Strecken lieber des Nachts, zumal jetzt in der Ferienzeit entlang der Küstenstraße tagsüber nur mühsam voranzukommen wäre. In Anbetracht der langen vor ihnen liegenden Strecke wollte sie nicht so lange in Jugoslawien bleiben. Wenn man hier übernachte, dann käme noch morgen früh das Frühstück, und das würde alles viel zu spät werden.
„Aber i moag ehm net weh duan!“
Im Fischrestaurant hatte ich genügend Zeit, mir zu überlegen, wie ich Gretel helfen könnte. „Fisch frisch vom Grill“ verzögerte sich gewaltig, weil der Strom ausgefallen war. Wir hatten bis dahin geglaubt, hier würde man den Fisch noch schön überm Feuer grillen.
Als es Zeit zum Aufbruch war, erklärte ich Milan: „Meine Schwägerin hat schon für Gretel und Franz alles vorbereitet. Sie rechnet fest damit, dass die beiden heute bei ihr übernachten. Man kann sie doch nicht einfach vor den Kopf stoßen! Es ist zu spät, jetzt noch etwas daran zu ändern. Nicht wahr, das verstehst du doch?“
Das Manöver verlief erfolgreich. Gretel und Franz fuhren rasch noch mit in unser Quartier, und nach einer letzten und einer allerletzten Tasse Kaffee setzten die beiden in der Abenddämmerung ihre Urlaubsreise fort.

Letzte Aktualisierung: 20.10.2013 - 21.14 Uhr
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