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Rausch | Oktober 2013

Wie die High Heels dem Affen zum Opfer fielen
von Renate Hupfeld

Facebook scheint zu wissen, dass ich ein Faible für Schuhe habe. Wenn ich die Seite öffne, bekomme ich die übliche Reihe Werbebuttons. Schuhe sind immer dabei. Alle anderen nerven mich tierisch, nicht so die für Schuhe. Da muss ich immer hinschauen, hin und wieder die Label anklicken, die Teile von allen Seiten betrachten und auch mal zulangen.
Vor ein paar Tagen war da plötzlich ein Exemplar, dessen Button ich gar nicht wieder schließen wollte. Bild von einer High Heel Stiefelette. Nicht irgendeine, nein, die schönste der Welt, schwarzes Wildleder, weinrotes Futter, Zierkettchen und Pfennigabsatz in zehn Zentimeter Höhe. Ich klickte zum Shop und betrachtete die Schöne von allen Seiten. Selbst die Sohle in glänzendem Weinrot war einzigartig. In Seitenansicht herangezoomet. Himmlisch. Es gab auch schon hunderteins Kundenmeinungen mit unzähligen Sternen. Daran konnte ich mich gar nicht satt lesen. Immer wieder scrollte ich die Kommentare durch. Zauberhafter Schuh. Angenehm zu tragen. Sehr bequem. Drückt nicht. Echter Hingucker. Alles in allem hätte man in dieser Stiefelette einen Super Auftritt, schrieb eine Kundin. Meine Größe war sogar lieferbar. Ein Wunder bei meinen kleinen Füßen. Meistens war Größe sechsunddreißig ausverkauft. Es gab nichts mehr zu überlegen, zumal der Preis okay war und kostenloser Versand und Rückversand zugesichert wurden. Also machte ich mit ein paar Klicks den Kauf klar.
Mir blieb fast der Atem weg, als ich einige Tage später die Teile aus dem eleganten Karton hob und das schwarze Seidenpapier vorsichtig abwickelte. Die High Heel Stiefeletten in meinen Händen waren weit schöner als auf dem Bild. Und wie sie sich anfühlten! Sofort anprobieren. Was für ein Feeling von Eleganz und zudem plötzlich zehn Zentimeter größer zu sein. Ein paar Schritte auf dem Teppich gingen schon ganz gut. Besser noch nicht auf den Kacheln, man weiß ja nie. Nun, das Laufen würde ich noch üben. Erst mal gucken, wie sie überhaupt aussahen an mir. Ich trippelte zum großen Spiegel im Flur und stellte mich auf die erste Treppenstufe, damit ich mich von unten bis oben betrachten konnte. SweetSixty in naturgrau mit endlos langen Beinen in knallengen Jeans und diesen einzigartigen High Heels. Hinreißend. Keine Frage. Ich würde sie behalten.
Nun, zum Spazierengehen und Shoppen waren sie nicht so gut geeignet. Ihren ersten großen Auftritt sollten sie beim Geburtstag meiner Schwiegermutter bekommen, und zwar abends im Restaurant, wenn wir ein paar Straßen weiter mit der ganzen Familie zum Abendessen einkehren würden. Da müsste ich nicht allzu weit laufen. Und das Gehen hatte ich schon geübt, indem ich sie zwischendurch immer mal getragen hatte, für die kurzen Wege zur Mülltonne, zum Papiercontainer oder gelben Sack. Die Feier begann am späten Vormittag mit einem Sektempfang. Den absolvierte ich in halbhohen Pumps, die sahen auch elegant aus und waren bequemer beim Versorgen der älteren Damen mit Sekt, Orangensaft und Schnittchen. Dabei half mir unsere Dreizehnjährige, an deren langen glänzenden Haaren das Seniorinnengrüppchen ihre wahre Freude hatte. Das waren Zeiten damals beim Arbeitsdienst. Da mussten sie schon mit dreizehn fort von zu Hause und richtig arbeiten auf dem Bauernhof oder in der Mühle. Smalltalk.
Plötzlich merkte ich, dass sich in meinem Kopf etwas zusammenbraute. Kopfschmerzen und das an diesem Tag. Der erste Auftritt meiner High Heels mit Kopfschmerzen? Unvorstellbar. Zunächst wollte ich den Schmerz ignorieren. Ging nicht. Meistens half da Kaffee. Eine große Tasse, doppelte Stärke, zog ich mir aus dem Automaten in der Küche und schlürfte das schwarze Zeug in der Hoffnung auf Besserung. Es half jedoch nicht, im Gegenteil. Es wurde immer schlimmer. Dazu die Übelkeit. Unbemerkt schlüpfte ich in den Flur, schlich die Treppe hoch und war heilfroh, als ich dem Schwindel entflohen war und auf dem Bett lag. Mein Kopf drohte zu zerspringen, ich fühlte mich nur noch mies und konnte nichts tun, gar nichts. So bald ich mich bewegte, wurde es noch schlimmer. Was war nur mit mir los? Nicht einmal die doppelte Dröhnung Kaffee hatte geholfen. Da standen meine High Heels mit Zierkettchen in voller Schönheit neben dem Koffer, bereit zum Auftritt. Wer hätte gestern gedacht, wie gleichgültig sie mir heute waren? Nichts mehr fand ich zauberhaft an ihnen. Affe. Ja, das war ein Affe. Genau so hatte mir mal ein Junkie den Zustand geschildert. Kalter Entzug. Nur, dass dem Affen ein Rausch vorangegangen war. Wo war denn mein Rausch? Da war keiner. Wovon denn? Kaffee hatte ich getrunken, nichts als Kaffee.
Die Mitglieder der Geburtstagsfamily standen abwechselnd vor meinem Bett und versorgten mich mit Tee und einer Aspirin. Schmerztabletten hätten Sabine und Paul auch geholfen, denn die hätten ebenfalls Kopfschmerzen gehabt. So, so, die beiden also auch. Doch einen Affen hatte wohl nur ich. Nein, nein, Aspirin ging gar nicht. Die würde mein Magen zusammen mit dem Kaffee sofort wieder rausschleudern, das kannte ich schon. Für mich war der Geburtstag gelaufen. Das tat mir echt leid für meine Schwiegermutter, aber mein Körper spielte nicht mit. Ja, ich hatte mir das alles anders vorgestellt. Bye, bye High Heels.
Nach einer Mütze Schlaf war am nächsten Morgen der Affe verschwunden, die schwarzen Schönheiten im Koffer verstaut und ich hockte am Frühstückstisch vor meinem Kaffeepott. Schwiegermutter saß vor Kopf. Im Gegensatz zu mir hatte sie mit ihren Fünfundachtzig das Event unbeschadet überstanden. Den Blutdruck hätte sie auch im Griff, seitdem es bei ihr nur noch koffeinfreien Kaffee gäbe. Ja, ja, auch aus dem Kaffeeautomaten, was anderes hätte sie gar nicht mehr im Haus. Ja-nee-is-klar.

Letzte Aktualisierung: 15.10.2013 - 21.00 Uhr
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