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Rausch | Oktober 2013

Liebeswahn
von Dagmar Hospes

Pia befand sich auf der Rückfahrt vom Bahnhof zur Taxizentrale. Für heute war ihr Arbeitstag zu Ende, aber sie wusste genau, dass noch nicht alles vorbei war. Es konnte sein, dass zu Hause auch noch eine Überraschung auf sie wartete. Bis spät in die Nacht hinein war sie unterwegs gewesen. Im Taxi fühlte sie sich auch nachts sicher. Sobald sie dann aber ihre Wohnung betrat und das Blinken des Anrufbeantworters sah, wäre sie am liebsten wieder davongelaufen.
Vor kurzem hatte sie sich von ihrem Freund Kai getrennt, aber er ließ sie einfach nicht in Ruhe. Immer wieder tauchte er vor ihrem Haus auf, belästigte sie mit Anrufen, in denen er sie bedrohte. Sie hätte längst die Polizei einschalten müssen, aber sie wusste auch, dass man sie nur belächeln würde. Schon in der Beziehung gab es Probleme, weil Kai sehr eifersüchtig war. Sobald sie sich länger mit einem anderen Mann unterhielt, gab es Krach. Irgendwann war dann alles eskaliert, auf dieser Feier ihrer Freundin Sonja.
Vor allen Leuten hatte er sie angeschrien und als Schlampe beschimpft, die es ständig auf andere Männer abgesehen hatte. Pia musste die Feier vorzeitig verlassen. Zu Hause packte sie seine Koffer und stellte sie vor die Wohnungstür.

Als sie nun die Wohnungstür aufschloss, kam ihr ihre Katze Minka schon entgegengelaufen. Pia liebte sie über alles. Plötzlich läutete das Telefon, sie zuckte zusammen. Es wurde die Nummer ihrer Freundin angezeigt, Pia beruhigte sich wieder.
„Hallo Sonja, ich bin gerade erst nach Hause gekommen.“
„Was machst du? Ich bin zu faul zum Kochen und mein Gefrierfach ist auch leer. Was hältst du davon, wenn wir noch in die Taverne gehen?” Pia schwieg, seit der Trennung von Kai ging sie abends nur ungerne auf die Straße. Wenn sie zum Griechen wollten, dann mussten sie einige Straßen durch die Dunkelheit gehen, Sonja wusste das.
„Ich hole dich auch ab”, hörte sie ihre Freundin auch schon sagen.
„Danke, Sonja, aber ich möchte heute nicht mehr los, es ist wirklich sehr spät geworden.“
„Wir verschieben das aufs Wochenende, einverstanden, oder hast du da Dienst?”
„Nein”, sagte Sonja, „wenn dir das so lieber ist.“ Sonja und Pia unterhielten sich noch eine Weile, dann verabschiedeten sich die Freundinnen voneinander.
„So, Minka”, sagte Pia zu ihrer Katze, „jetzt haben wir den Abend für uns.“ Pia ging in die Küche, dort befand sich gleich ihre Abstellkammer, aus der sie für Minka etwas Futter holte. Schnurrend schlich die Katze um ihre Beine herum.
„Ja, du bekommst jetzt etwas ganz Feines von mir. So etwas Gutes bekommt nicht mal dein Frauchen, okay, der Grieche ist natürlich eine Ausnahme.“
Pia holte für sich stattdessen eine Lasagne aus ihrem Kühlschrank, um sie schnell in der Mikrowelle warm zumachen.
Als sie die Jalousie im Wohnzimmer herunterlassen wollte, sah sie ihn, da stand er wieder. Kai! Er lächelte zu ihr hinauf. In der Hand sein Handy, er hielt es ihr entgegen. Kurz darauf läutete auch schon ihr Telefon. Pia nahm nicht ab, dann sprang der Anrufbeantworter an.
„Hallo Pia!“, hörte sie seine Stimme. „Ich gebe dich nicht so ohne weiteres auf, dass weißt du ganz genau, wir gehören zusammen, gib uns eine Chance. Ich weiß, ich habe Mist gebaut, aber ich werde mich bessern.”
So ging das nun schon seit Wochen. Ständig stellte er in ihrer Abwesenheit Blumen vor die Tür. Manchmal jammerte er ins Telefon, dann wieder wurde er aggressiv. Pia hatte Angst vor ihm, schon in der Beziehung hatte er sie mehrmals geschlagen.
Als Pia am nächsten Tag von der Schicht nach Hause kam, stand ihre Wohnungstür offen. Angst stieg in ihr auf, aber sie schob die Tür ganz auf, um dann nach Minka zu rufen. Anders, als gewohnt, kam sie diesmal nicht. „Minka, wo bist du?“ Pia suchte alle Räume ab. Im Badezimmer fand sie dann Minka, sie lag tot in der Badewanne. Überall war Blut, sie rannte aus dem Badezimmer, um Sonja anzurufen.
„Sonja, du musst sofort kommen, Minka liegt tot in meiner Badewanne.“
Tröstend nahm Sonja bald darauf ihre Freundin in den Arm, sie hatte die Polizei bereits verständigt.
„Pia, er ist nicht normal, das weißt du nun hoffentlich. Ich habe dir immer gesagt, du musst ihn anzeigen.“
Als Herr Zimmermann von der Polizei die Wohnung betrat, sah er sich erst einmal um, dann unterhielt er sich mit Pia, wobei er sich eifrig einige Notizen machte.
„Wir nehmen die Katze mit, Sie sollten heute Nacht nicht hierbleiben. Können Sie bei Ihrer Freundin übernachten, bis das Schloss ausgewechselt ist?“
„Ja“, sagte Sonja, „sie kann bei mir übernachten.“
„Wir teilen Ihrem Exfreund mit, dass er sich Ihnen ab jetzt nicht mehr zu nähern hat. Die Anzeige ist ja nun aufgenommen, mehr kann ich erst einmal nicht für Sie tun“, sagte Herr Zimmermann. Wütend sprang Sonja vom Sofa auf.
„Und was ist, wenn er sich beim nächsten Mal Pia vorknöpft? Heute war es nur die Katze.“
„Leider kann ich vorerst einmal nichts mehr tun, das mit der Katze tut mir wirklich leid.“ Herr Zimmermann verabschiedete sich von den beiden Frauen.
„Na toll“, sagte Sonja, „dann wohnst du ab heute bei mir.“ Sie packte für Pia eine Tasche und beide fuhren in ihre Wohnung.
Sonjas Freund besaß eine kleine Pistole und sie bestand darauf, dass Pia sie zur nächsten Schicht mitnahm. Kai konnte ganz schnell herausfinden, wann Pia arbeiten musste, dann sollte sie auf einen ungebetenen Fahrgast vorbereitet sein.
Ihre Schicht war zu Ende und Pia war auf dem Rückweg zur Taxizentrale, bei der sie sich bereits gemeldet hatte.
Die Ampel war auf Rot umgesprungen, als die Beifahrertür aufgerissen wurde und Kai zu ihr ins Taxi sprang.
„Na, Pia, hast wohl geglaubt, dass du mich los bist?“ Pia sah ihn erschrocken an, aber sie redete sich ein, dass sie ruhig bleiben musste. Die Pistole lag schließlich in der Handtasche gleich neben ihr.
„Fahr dort in das Wäldchen“, sagte Kai. In seiner Stimme befand sich schon wieder dieser aggressive Unterton, der ihr schon so oft Angst gemacht hatte. Pia sagte sich, dass es sicher besser war, zu tun, was er von ihr verlangte.
Als sie sich auf dem Waldweg befanden, gab Pia Gas, um gleich darauf ruckartig zu bremsen. Sie musste handeln. Kai schlug mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. So war er für einen Moment abgelenkt und sie konnte in die Handtasche greifen, die Pistole holen und sie ihm gleich darauf an den Kopf halten.
„Steig aus, du Schwein“, schrie sie. Verdutzt und noch leicht angeschlagen sah er sie an, dann musste er lachen. „Du schießt nicht auf mich.“ Kai versuchte ihr die Pistole zu entreißen, er war kräftig und es gelang ihm schnell an die Waffe zu kommen.
Pia verließ der Mut, so schnell sie konnte, riss sie die Autotür auf und sprang hinaus, um dann zurück zur Straße zu laufen. Sonja wusste schließlich, dass ihre Schicht zu Ende war.

Als Pia zum verabredeten Zeitpunkt nicht erschien, verständigte Sonja sofort Herrn Zimmermann. Auch von der Taxizentrale aus hatte man sie bereits angefunkt, ohne Erfolg. Man kannte Pias Situation, alle machten sich Sorgen um sie. Zum Glück sah Ralf, ein Kollege Pias, wie ein Fahrgast an der Ampel einfach in ihr Taxi sprang. Ralf hatte über Funk mitgehört, dass sie sich bereits zurückgemeldet hatte. Alles kam ihm sehr seltsam vor. Er machte eine Meldung an die Taxizentrale, um dort mitzuteilen, wo Pia sich aufhielt und dass sie Richtung Wäldchen fuhr.
Sonja und Herrn Zimmermann konnten daher schnell zur Stelle sein. Ganz außer Atem kam Pia auf sie zugestürzt. Ein zweiter Polizeiwagen schnitt Kai den Weg ab und die Beamten konnten ihn gleich darauf verhaften.
„Das war knapp!“, sagte Herr Zimmermann, als er auf sie zukam. Sonja nahm sie in den Arm. „Komm, ich bring dich nach Hause.“ Pia sah Sonja verängstigt an.
„Ich glaube, ich habe immer noch ein Problem. Ich hätte ihn erschießen müssen, damit er mich für immer in Ruhe lässt. Der bekommt doch nur eine Geldstrafe oder ist bald wieder frei.“
„Nun beruhige dich erst mal, Pia“, meinte ihre Freundin.
„Sonja, ich habe keine Chance, seinem Liebeswahn zu entkommen.“

Endversion

Letzte Aktualisierung: 23.10.2013 - 20.10 Uhr
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