Rausch | Oktober 2013
| Ein unbedachter Wunsch | von Elmar Aweiawa
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Hartwig benahm sich mal wieder unerträglich. Er schimpfte wie ein Kesselflicker, und in einer Lautstärke, dass ich Angst um mein linkes Trommelfell bekam. In der gerade angeschlagenen Tonart klang er wie eine verliebte Seekuh, deren Liebesklage zwar nordseetauglich ist, doch völlig ungeeignet für einen kleinen Corsa.
Normalerweise hätte ich sein Geschrei kommentarlos über mich ergehen lassen und nicht gewagt, meine Gedanken in Worte zu kleiden. Doch am heutigen Tag war das Fass voll. Keine Minute länger ertrug ich schweigend diesen Berserker, der zwar mein Ehemann, sonst jedoch ein Vollidiot war - geworden war, denn bei unserer Hochzeit vor siebzehn Jahren schien er normal und liebenswert. Beides kaum noch vorstellbar, wenn man seine verzerrte Fratze sah.
Und so nahm das Unglück seinen Lauf.
„Dieser gehirnamputierte Dämlack! Mir, ausgerechnet mir Vorschriften zu machen! Ich schnalle mich an, wo und wann ich will. Das geht den einen Scheißdreck an.“
Gerade erst hatte ich mir anhören müssen, wie idiotisch die Geschwindigkeitsbeschränkung war, für die ihn der liebenswürdige Polizist vor kaum fünf Minuten wegen Überschreitung derselben zur Kasse gebeten hatte. Nun ließ er sich über den zweiten Strafzettel aus, den er im selben Atemzug kassiert hatte, denn natürlich war mein Mann wie immer nicht angeschnallt gewesen.
„Du hattest den Gurt eben nicht angelegt“, wagte ich, seiner Hasstiraden überdrüssig, einzuwerfen. „Und zu schnell warst du auch. Wenn du hinter dem Steuer sitzt, kennst du weder Maß noch Ziel. Dir ist es doch völlig egal, dass ich neben dir sitze und Todesangst ausstehe. Es war höchste Zeit, dass dir mal Einhalt geboten wurde. Die Verkehrsvorschriften sind dazu da, dass man sie einhält.“
Im Gegensatz zu Hartwig trug ich meine Meinung in ruhigem Ton vor, der Zornigel von uns beiden war eindeutig er.
„Was?! Du stellst dich auf die Seite dieses Kretins?!“ Seine Stirnader schwoll bedrohlich an, und die Augen drohten aus ihren Höhlen zu treten.
„Ich fand ihn ganz nett“, säuselte ich, wohl wissend, was ich damit anrichtete.
Ich brauche die folgende, mit Schimpfworten gespickte Antwort nicht wiederzugeben, der Informationsgehalt war gleich null, auch wenn man Hartwig eine gewisse Kreativität im Erfinden ätzender Worte nicht absprechen kann.
„Ist doch nichts dabei, sich anzuschnallen“, wagte ich scheinheilig weitere Sympathiekundgebungen für den Ordnungshüter. „Oder stört dich der Gurt jetzt?“
So lautstark und widerborstig Hartwig sich gerade aufführte, solange der Polizist in der Nähe gewesen war, hatte er sich lammfromm gegeben, sogar folgsam den Gurt angelegt.
„Das geht dich einen feuchten Kehricht an!“ Ein Hochleistungsföhn auf Volllast hätte mich nicht wirkungsvoller von der Seite anblasen können.
„Von so einem Flachwichser lass ich mir nichts vorschreiben!“
Mit wütenden Bewegungen befreite er sich von seinem Gurt und erhöhte das Tempo weit über die geltende Beschränkung hinaus. Neben mir saß die personifizierte Wut und kochte in Weißglut.
„Du bist unerträglich“, kommentierte ich seine Auslassungen, womit ich eine verbale Untertreibung gigantischen Ausmaßes von mir gab. Doch selbst diese harmlose Äußerung, die meiner unterirdischen Gemütslage nicht im Entferntesten gerecht wurde, entzündete in Hartwigs Gehirn eine Batterie Kanonen, die wild in der Gegend herumschossen und seine Zurechnungsfähigkeit als Erstes und gründlich zerlegten. Ohne Vorwarnung stieg er in die Eisen, sodass ohne Gurt meine Nase unliebsame Bekanntschaft mit der Frontscheibe geschlossen hätte.
„Raus! Hier ist kein Platz für eine Zicke, die mir ständig in den Rücken fällt!“
Der Wagen stand noch nicht ganz, als er sich schon über mich beugte und die Beifahrertür aufstieß. Aufreizend langsam schnallte ich mich los und stieg aus. Sollte er doch zum Teufel fahren! Mit Vehemenz schmetterte ich die Autotür zu.
Alleine blieb ich auf dem Seitenstreifen zurück, während Hartwig, stur nach vorne blickend, mit quietschenden Reifen davonfuhr. Wie hätte ich zu diesem Zeitpunkt ahnen können, dass mein Leben an einem seidenen Haar gehangen und ein Schutzengel mir die drei Worte, die den Eklat auslösten, zugeflüstert hatte. Es waren die letzten, die ich mit meinem Mann wechselte, denn mein Wunsch, den ich ihm in Gedanken nachgeschickt hatte, ging allzu schnell und gründlich in Erfüllung.
Um den roten Corsa allerdings tat es mir noch lange leid.
© by aweiawa, 2013
Version 2
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Letzte Aktualisierung: 27.10.2013 - 20.42 Uhr Dieser Text enthält 4507 Zeichen. www.schreib-lust.de |