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Rausch | Oktober 2013

Wie im Rausch stach sie auf ihn ein
von Monika Heil

Genau. So muss es weitergehen. Plötzlich habe ich die komplette Szene vor Augen. Endlich. Sofort lasse ich meinen Bügelkram stehen und rase an meinen Computer. Die Idee muss aufs Papier, respektive in die Tasten. Sofort! Meine Hände zittern, während ich den Computer hochfahre. Ping-pling – Sie haben eine neue mail. Friedhelm wollte sich melden. Meine Güte, zwanzig E-mails. Schnell durchlaufe ich die Absender, lösche jede Werbung. Es bleibt nur eine einzige übrig, die meiner Freundin Britta. „Hilfe“, steht im Betreff. Das darf ich nicht ignorieren. Die drei Seiten zu überfliegen, geht schnell. Das Problem zu erkennen, dauert länger. Ich hole mir die bereits angebrochene Flasche Cognac aus dem Schreibtischfach. Ein Schlückchen zur Konzentration.

Britta muss warten. Mein Roman, meine Szene! Was soll ich zuerst schreiben? Ich spüre das Adrenalin in meinen Adern. Das Gefühl, weiterschreiben zu können, macht mich fast trunken vor Begeisterung. Und dennoch - wie gelähmt und gleichzeitig vor Anstrengung vibrierend sitze ich vor dem Computer, unfähig auch nur einen einzigen zusammenhängenden Satz zu produzieren. Konzentration! Mit zitternden Händen fingere ich die Zigarettenschachtel aus meiner Hosentasche. Mist! Die Packung ist leer. Keine Zigaretten mehr. Das geht gar nicht. Zum Glück ist die Tankstelle gleich um die Ecke. Ich weiß, dort ist alles ein bisschen teurer als im Supermarkt. Aber ich weiß auch, dass ich mir das bald leisten kann. Mir bleibt keine Zeit, Schuhe anzuziehen. Ich rase in meinen Papuschen los, nicht mal eine Jacke ziehe ich über. Bin in Eile! Ich muss die Szene zu Papier bringen!

„Hallo, Frau Müller! So früh heute schon?“
„Drei Schachteln Zigaretten und eine Flasche Cognac, bitte. Den deutschen. Sie wissen schon.“ Was hat der eben gesagt?
Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach zehn. „Wieso früh?“
„Na, im allgemeinen beehren Sie mich um die Mittagszeit und holen Ihre Rauschmittel.“ Er grinst hämisch. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich werde den Kerl in meinen Roman einbauen. Wie im Rausch stach sie auf ihn ein. Genau.
„Haha, Rauschmittel ist gut.“ Nun lache auch ich. Gleichzeitig versuche ich, ihm mit Blicken zu signalisieren, dass er vorsichtig sein soll. „Ich bin im Schreibrausch, junger Mann, keine Zeit zum Plaudern. Mein Roman, Sie wissen schon ...“ Verschwörerisch nickt er mir zu, während er gleichzeitig meinen Einkauf in eine Plastiktüte packt und murmelt: „Drei Schachteln Sargnägel und eine Flasche Weinbrand. Den billigen.“ Ich lasse mich nicht provozieren, denke intensiv an mein Manuskript. Dann höre ich: „Na klar, Ihr Roman. Wie viele Seiten haben Sie inzwischen geschafft?“
„Zwanzig und das, was ich jetzt gleich schreiben werde.“ Was habe ich dem Blödmann eigentlich gesagt, wann ich mit diesem Roman angefangen habe? Eine mir unerklärliche Hitzewelle überflutet mich. „Das sind schon die ersten zwanzig Seiten meines neuen Romans, wohlbemerkt.“ Sein Lachen klingt, als rollten Bleikugeln über ein Tablett.
„Der dritte, wenn ich richtig mitgezählt habe, oder?“
„Genau. Tut mir leid, ich muss los.“ Ich nehme die Plastiktüte in Empfang, zahle und renne aus dem Geschäft.

Es stimmt wirklich, dass dies mein dritter Roman ist. Der erste und der zweite sind gerade in der sogenannten ´Sacken-Phase`. Die habe ich auch im Schreibrausch angefangen. Wenn der mich überfällt, muss ich schreiben, schreiben, schreiben. Bis alles raus ist und ich wieder zur Ruhe komme. Danach lasse ich den Text eine Weile sacken – ein halbes Jahr ist noch nicht zu lange, oder? - und befasse mich ganz bewusst mit anderen Dingen. Vor allem kümmere ich mich dann wieder intensiv um meinen Haushalt.
„Die Todesspirale“ ist schon dreiundachtzig Seiten lang. Sieben Tote und fünf Verdächtige. Unheimlich spannend.
„Spirale des Todes“ habe ich bereits bis Seite dreiunddreißig vorangetrieben. Da gibt es erst fünf Tote und noch keinen Verdächtigen. Nur weiß ich im Augenblick nicht so genau, wie er weitergehen soll.

Ich renne die Treppe hinauf. „Der Tod in der Spirale“ wartet, ruft, schreit: „Komm, schreib weiter!“ Ein Glück, dass die Flasche Schraubverschluss hat. Ein Glas? Brauche ich nicht. Mmh, die Zigarette beruhigt. Und die schmeckt! Schnell schaue ich nach, ob Friedhelm gemailt hat. Niente! Ich rufe meinen Roman auf – und schnüffele. Irgendwo riecht es verbrannt. Ich habe doch noch gar nichts gekocht heute. Meine Bügelwäsche! Ach du Schreck, da habe ich in meinem Schreibrausch total vergessen, das Bügeleisen abzuschalten. Zum Glück stand es nicht auf der höchsten Stufe. Sonst hätte ich am Ende noch die ganze Bude abgefackelt. Nicht auszudenken, wenn meine vielen Manuskripte ...

Ausgerechnet Friedhelms Lieblingshemd! Ach, was soll´s. Wenn ich erst eine berühmte Schriftstellerin bin, kaufe ich ihm von meinen Honoraren so viele Hemden, dass ich keines mehr waschen und bügeln muss. Hemden to go sozusagen. Wäre das eine Idee für ein Sachbuch? Meine Güte. Womit soll ich nur zuerst anfangen zu schreiben?

Schade, jetzt ist die Flasche leer und was habe ich zustande gebracht? Einen vollen Aschenbecher und einen halben Absatz. Ich kann doch nicht schon wieder zur Tankstelle laufen. Ich muss schreiben, schreiben, schreiben.

Version 2

Letzte Aktualisierung: 08.10.2013 - 19.59 Uhr
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