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Rausch | Oktober 2013

Die völlig zugeknallte Tür
von Wolf Awert

„Da beißt keine Maus einen Faden von ab, und mir macht da auch keiner was vor.“
Otto Handmann warf sich in die Brust und wartete auf Widerspruch.

Otto widersprechen? Das wäre ja noch schöner. Und schon gar nicht an so einem Tag wie diesem. Das knappe Dutzend Kneipengänger, das da in der Bierschwemme um ihn herumstand, teilte zwar nicht unbedingt seine Meinung, den meisten war er sogar schnurzpiepe, aber wenn Otto Geburtstag feiern wollte, würde ihn niemand daran hindern.
Den letzten Geburtstag hatte Otto vor ungefähr einem dreiviertel Jahr gefeiert. Kam ja alles nicht so darauf an.

„Wirt!“, brüllte Otto, obwohl der doch direkt neben ihm stand, „noch ’ne Runde und für mich ’nen Korn extra.“

Die Runde war ein kleines Bier und ein Wacholder mit Schuss. Die Männer hoben ihre Gläser, die einen tranken erst das Bier, die anderen erst den Wacholder.
„Wirklich schade um das gute Zeugs“, sagte einer im Hintergrund.

Otto stürzte ein halbes Bier herunter, trank seinen Wacholder und spülte dann mit Bier nach. Mit dem Korn in der Hand ging er zur Tür und – klatsch - schüttete den Schnaps über das Holz.

„Eine Kneipe muss nach Alkohol riechen“, dozierte Otto.
„Ist doch klar“, stimmte Martin, einer seiner Busenfreunde, ihm zu. „Dafür sind Kneipen doch da.“

Ich meine nicht nur riechen.“ Otto hob den Zeigefinger, schaute verblüfft auf seine Hand, als hätte er vergessen, was er gerade sagen wollte. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf. Der Gedanke war wieder da.

„Du musst den Alkohol spüren. Er hängt in der Luft wie …“

Ottos Hand machte eine Geste, als wolle sie einen Spatz im Flug fangen. „Und in den Möbeln hängt er. Das Holz atmet ihn ein. Und wieder aus. Den Alkohol. Sage ich dir, sage ich. Das ist auch genau der Grund, warum wir alle hier sind.“

Erneut ging der Zeigefinger hoch, als wolle Otto sich selbst ermahnen.
„Wirt!“
Ein kurzer Rülpser.
„Noch einen Korn und einen Wacholder mit Schuss für mich. Und eine Runde für die Jungs. Wird Zeit für mich zu gehen.“

Otto trank seinen Wacholder und schüttete den Korn über die Tür.
„Sollst auch nicht leb’n wie ’n Hund. Nabend allerseits.“

„He Otto. Nicht so schnell. Hast vergessen, Prost zu sagen.“

Otto drehte sich, wankte ein paar Schritte zurück, korrigierte sein Gleichgewicht mit Hilfe der Thekenkante und rief „Prost“.

Martin machte sich so langsam Sorgen.

„Seit seine Frau verstorben ist, sitzt der Otto jeden Abend hier und versäuft sein bisschen Rente. Manchmal frage ich mich ganz im Ernst, ob er noch alle Tassen im Schrank hat.“

Der neben Martin zuckte mit den Schultern. Ging ihn ja nichts an. Und dann redeten sie noch ein bisschen über Ottos Frau, anschließend über den Hund, der letzte Woche vor der Kneipe überfahren worden war, und am Ende wieder über sich selbst.

Otto hatte vergessen, dass er gehen wollte, und bestellte eine neue Runde. Dieses Mal trank er Wacholder und Korn und goss das Bier über die Tür.
Als Otto das vor Monaten zum ersten Mal gemacht hatte, gab es ein großes Hallo, aber auf die Dauer wurde der Spaß lau, bis die Ersten sich an die Stirn tippten und sich besorgte Blicke zuwarfen.

„Sag mal, ist das nicht schade um das gute Bier?“, rief einer. Und ein anderer maulte: „Die Tür hat doch nichts davon.“ Und ein Dritter: „Weißt du wirklich, was du da machst?“

„Keine Sorge“, sagte Otto, „ich habe alles unter Kontrolle.

Es ging schon auf die Sperrstunde zu, als die Tür plötzlich aufsprang und sich genauso plötzlich wieder schloss. Ein Windstoß, voll mit Sommerwärme und den hängengebliebenen Auspuffgasen alter Autos, störte für einen Augenblick die Gemütlichkeit der Gaststätte. Das Holz der Tür ächzte ein wenig, sodass einer meinte:

„Mann, kriegen wir noch Sturm heute Abend?“

Der Mann ging zur Tür, um nachzusehen, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Der Mann drückte sich mit der Schulter gegen das Holz. Das Schloss gab nach, aber die Tür klemmte oben im Rahmen.
„He, Chef, wir kommen nicht mehr raus.“

„Schlappi“, rief ein zweiter Mann, nahm Anlauf und warf sich gegen die Tür. Die Tür gab nach. Oben und im Schloss. Aber dafür rührte sie sich nun unten keinen Millimeter.

Dann versuchten sie es zu zweit. Die Tür gab merkwürdige Geräusche von sich, rührte sich aber nicht. Otto rief:
„Lasst sie mal ein bisschen in Ruhe. Wir haben übertrieben. Die ist einfach voll. Ist wohl so viel Klaren nicht gewohnt.“

„Du mit deiner Tür. Und nun? Aufbrechen? Oder was. Wirt, hol’ mal ’n Eisen.“

Aber der Wirt protestierte.
„Lasst mal“, sagte Otto. „die geht von selbst wieder auf. Mach mal ’nen schwarzen Kaffee, Chef. Einen für mich und einen für die Tür.“
Der Kaffee kam und die Männer beruhigten sich ein wenig. Otto nippte an der Tasse und goss seinen Kaffee über das Holz. Die Tür rülpste.

„Siehste“, sagte Otto, „geht gleich wieder. Und wenn der Kaffee nicht hilft, dann nehmen wir einen Eimer kalt Wasser.“

Und dann sprang die Tür noch einmal auf und wieder zu. Sie schlug mit einer solchen Wucht ins Schloss, dass die Schankstube erzitterte und sich ein dunkler Klang ausbreitete, als ob irgendwo eine große Glocke geschlagen hätte.

„Mann, ist die zugeknallt“, sagte Otto.
„So was von zugedröhnt hab selbst ich selten erlebt“, sagte Martin und ging endlich, einen Eimer kaltes Wasser holen.

„Tschuldige, Chef, für die Sauerei“, sagte Otto, als die Tür endlich offenstand. „Aber habt ihr schon mal dran gedacht“, Otto erhob wieder seinen Finger, „habt ihr schon mal dran gedacht, dass Holz ein lebend Dingen ist?“

„Quatsch. Dann lebt ja auch mein Kleiderschrank.“

„Tut er auch. Leben, mein’ ich. Also geh respektvoll mit ihm um, sonst kann es passieren, dass du plötzlich mal für ’ne ganze Woche ohne Hosen dastehst. Aber jetzt muss ich weg.“

„Der Otto hat ganz klar ’nen Hau“, sagte einer, nachdem Otto endlich verschwunden war.
„Magste recht haben“, sagte Martin, „aber von Türen versteht er was.“

Letzte Aktualisierung: 16.10.2013 - 20.20 Uhr
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