Honigfalter
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Metamorphose | November 2013
Dein Antlitz entzĂŒcket mich
von Anne Zeisig

“Vergiss es! Diese Frau ist eine Nummer zu groß fĂŒr dich!” Herbert genehmigte sich einen großen Schluck Bier.
Wolfgang hob sein Rotweinglas an und drehte es vor seinen Augen hin und her.
“Seit wann trinkst du ĂŒberhaupt Wein?”, fragte sein Freund und kippte einen Schnaps hinunter. “Zur Verdauung. Die Scheinshaxe war etwas zu fettig”, erklĂ€rte er.
“Aber wenigstens vom Bioschwein”, sĂ€uselte Wolfgang. “Biologisch natĂŒrlich wie die attraktive Köchin.”
Er stierte zum Tresen, wo das Objekt seiner Begierde gerade ein Glas Wasser trank. Gut stand ihr das weinrote Koch-Outfit zu den strohblonden langen Haaren. “Die Frau hat Klasse, das musst du zugeben.” Wolfgang nippte am Wein.
“Hm, fĂŒr ‘ne Frau so um die FĂŒnfundfĂŒnfzig nicht ĂŒbel.” Herbert bestellte sich einen zweiten KrĂ€uterschnaps. “Auf einem Bein kannste schlecht stehen.” Ihre Oberweite schĂ€tzte er auf ein D-Körbchen. Sah alles noch knackig aus.
“Ich wette”, sinnierte Wolfgang, “die Frau kann man nur mit einem erstklassigem Rotwein und einem kultivierten GesprĂ€ch beeindrucken.”
“Oder Schampus?”, schlug der Freund vor.
“Neee.”
“Wie? Nee?”
“Rotwein, ‘n frisches Baguette und eine geschmackvolle KĂ€seplatte. Dazu Weintrauben.”
“Ist das nicht ‘n bisschen zu einfach fĂŒr eine Frau vom Fach?”
“Mensch! Überleg doch mal genau! Die Lady kocht den lieben langen Tag Bio am heißen Herd! So eine Frau sehnt sich nach UrsprĂŒnglichem und UnverfĂ€lschtem, wenn sie Feierabend hat.”
“Aber sie steht bestimmt nicht auf ‘n mittelmĂ€ĂŸigen Rentner.”
Wolfgang knuffte seinen Freund in die Seite und zeigte auf seinen Hosenreißverschluss. “Ich und Mittelmaß? Von wegen!” Er zwinkerte ihm zu. “Bist ja nur neidisch auf meine heimliche Flamme.”
“Nee, bin ich nicht. Hab keine Lust mehr zum SĂŒĂŸholzraspeln und mich verbiegen mĂŒssen. Das ist mir zu anstrengend.”
Wolfgang nippte abermals am Weinglas. “Ein Tinto aus Spanien. Halbtrocken mit beerigem Abgang und leicht pelzigem Gaumen.” Er stellte das Glas auf den Tisch. “Hat einen Hauch von Heidelbeermarmelade. Schau dir die Farbe an! Schwarzrot!”
“Hast wohl einen Kurs bei einem Weinkenner absolviert, um der Holden zu imponieren?”
“Somelier.”
“So-me-lier? Spanisches Weinanbaugebiet? So weit ich informiert bin, haste dir seit Jahren keinen Urlaub mehr leisten können von deiner mickrigen Rente.”
“Somelier nennt man einen Weinfachmann. Da war kĂŒrzlich eine Sendung im Fernsehen, dort haben sie Weine getestet. Und da habe ich mir ein bisschen was gemerkt.”
“Und das alles wegen der blondierten Köchin?”
Nun goss Wolfgang den Rest Rotwein in einem Schluck hinunter. “Helene, Gott habe sie selig, war auch eine gute Köchin.”
“Suchste ‘ne HaushĂ€lterin?”
Er schluckte. “Was fĂŒrs Herz soll es sein. Jede Frau sehnt sich nach menschlicher WĂ€rme. Ich muss sie halt mit einem niveauvollen tiefgehenden GesprĂ€ch ĂŒberzeugen.”








“Wolfgang!” Herbert stupste seinen Freund an die Stirn. “Dieser Frau kannste nicht mit HerzenswĂ€rme, sondern mit akademischen Graden auch auf dem Konto importieren! Und du mĂŒsstest zum Dichter und Denker werden. Wie diese Feingeister frĂŒher.”
“Hast du ‘ne Ahnung, wie romantisch ich sein kann! Außerdem waren die meisten Dichter arme Gesellen.”
“Mir egal. Dieser Frau gehört der Schuppen hier. Die sucht keinen armseligen Rentner, der sein weinseliges Halbwissen bei Radio-Emscher-Lippe gegoogelt hat.”
“Man googelt im Net und nicht im Fernseher.”
“Mir auch egal. Ich will nur nicht, dass du enttĂ€uscht wirst. Aus einem abgewrackten Gaul kannste halt kein Rennpferd machen.”
“Und ich bin der Gaul? So siehst du mich?”
“Jau! Guck dich an!”
Wolfgang sah an sich hinunter. “Soll ich etwa was von Lagerfeld anziehen?”
“So Ă€hnlich vielleicht?”
Die Blicke der Bio-Köchin und seine trafen sich.
Na klar!
Er war doch nicht blöd!
So ein Funkeln hatte damals auch Helene in ihren Augen, als sie ihn angeschaut hat. Und Helene hatte sogar Mittlere Reife gehabt.
Aber die Familie hatte er mit seiner HÀnde ehrlicher Arbeit ernÀhrt.

* * *

Nun saß Wolfgang also seiner Traumfrau in der ‘Weinstube zum fröhlichen Landsmann’ gegenĂŒber, und der Anzug hatte ein Vermögen gekostet.
“Ich hĂ€tte Sie ja fast nicht wiedererkannt”, stellte die Bio-Köchin namens Maria-Lena fest und schob sich eine Weintraube zwischen ihre weinroten Lippen.
“Wenn ich mit meinem Freund Herbert unterwegs bin, bevorzuge ich eher das Legere.” Er nahm ihren HandrĂŒcken und hauchte einen Kuss darauf. “Aber wenn ich mich in niveauvoller Gesellschaft befinde, trage ich gerne Gediegenes.”
Sie stießen an.
“Prösterchen!”, sagte sie. Ihr Busen wippte leicht, weil sie gluckste.
“Auf unser Wohl”, prostete er und hielt ihr einen Vortrag ĂŒber den Wein, der leicht nach Schiefer mundete und “mit einer wunderschönen Frau genossen, die Phantasie eines jeden Lyrikers beflĂŒgelt.” Dann hielt er ihr den KĂ€seteller hin. “Außen liegt der Pikante und je weiter man sich nach innen voran isst, umso sĂŒĂŸer wird er.” Nahm ein StĂŒck und hielt es ihr an die Lippen.
Maria-Lena schnappte zu. “Hm. Lecker.”
“Das dachte ich mir, dass das eine Abwechslung ist, wenn man den lieben langen Tag in der heißen KĂŒche steht.”
Wolfgang stĂŒtzte seinen Kopf auf die HĂ€nde und blickte in ihre grĂŒnen Augen. Die Zeit war reif fĂŒr Romantik.
“Dein Antlitz entzĂŒcket mich und entfĂŒhrt mich in den Garten Eden, wo die satten, reifen Trauben meinen Gaumen kitzeln und liebkosen.” Er holte tief Luft und versuchte sich zu erinnern. “Trauben, die ich allzu gerne von deinen Lenden naschen wĂŒrde im Mondeslicht, welches hell steht am Firmament und dessen Schein deine wohlgeformten HĂŒften diffus umschmeichelt.” Er nahm abermals ihre Hand und kĂŒsste sie. “Sei meine blonde Mondfrau nĂ€chtens! Und meine Sonne bei Tag, mein Stern in der dunklen einsamen Nacht, wo das Laken zerwĂŒhlt und das Kissen trĂ€nennass.” Er holte tief Luft. “Ist. TrĂ€nennass ist. Willst du mein Lager und deine KochkĂŒnste mit mir teilen, auf dass wir Eins werden?”

* * *

“Da haste aber ganz schön dicke aufgetragen”, meinte Herbert. “Und was ist nach deinem GesĂŒlze passiert? Lag sie dir ergeben zu FĂŒĂŸen?”
Wolfgang goss sein Bier in einem Zug hinunter. “Ein Desaster!”
“Wenne Holzhacker bist, kannste kein Feingeist werden!”
“Sie hat mir eine geklebt und geschrien, dass ich mich ĂŒber eine einfache SpĂŒlkraft lustig machen wĂŒrde, um sie ins Bett zu kriegen. Als sie wĂŒtend aufstand, verkringelte sich ihre lange MĂ€hne im Garderobenhaken und blieb dort hĂ€ngen. Da ist sie dann ohne Jacke wutschnaubend hinaus gelaufen mit kurzgeschorenen Grauschopf.”
“Sie ist SpĂŒlkraft im Bio-Ristorante und die MĂ€hne war eine PerĂŒcke?”
Wolfgang nickte. “Und vorher hat sie noch gesagt, dass wir nicht zueinander passen wĂŒrden, weil ich zu gebildet sei wegen der Weinkenntnis und der Poesie. Sie aber lieber ‘n Bier trinken wĂŒrde und Groschenromane mag, anstatt BĂŒcher von Goethe.” Er ließ den Kopf hĂ€ngen und starrte auf das leere Bierglas in seinen HĂ€nden.
Helmut schob ihm einen Schnaps hin. “Dann ist die Brust bestimmt auch nicht echt.”
“Ich mag sie”, flĂŒsterte der Abgewiesene zerknirscht.
“Du stehst auf Silikoneinlagen?”
Wolfgang leerte das Schnapsglas und streckte sich. “Ich stehe auf innere Werte! Aber so leicht gebe ich mich nicht geschlagen.” Er deutete zum Tresen, wo Maria-Lena gerade damit begonnen hatte, GlĂ€ser abzuspĂŒlen.
“Wolfgang, lass es gut sein.” Der Freund legte seine Hand auf Wolfgangs Unterarm.
Aber der erhob sich flugs und eilte zu Maria-Lena.
“So, so! Du glaubst also, ich sei gebildet und niveauvoll? Aber da hast du dich grĂŒndlich getĂ€uscht. Du wĂŒrdest dich wundern, was von mir ĂŒbrig bleibt, wenn ich erst mal alle meine Ersatzteile beiseite lege! Ein Nichts bleibt ĂŒbrig!”
Sie sah ihn erstaunt an.

Er nahm ihr ein Glas aus der Hand, deponierte sein Gebiss darin, fasste sich beherzt auf den Oberkopf, zog sein Toupet hoch, drapierte es neben das Glas, riss sich das Hemd aus der Hose und schob es hoch. “Dasch ischt die Narbe von meiner HĂŒft-OP! Schieht auch nicht gut ausch, und mein Knie”, er raffte das Hosenbein empor, “ischt eine Protheschee, die bei Wetterwechschel höllisch weh tut, da ischt an Tanschen und Bumschen nischt zu denken!”
Wolfgang wischte sich den Schweiß von der Oberlippe und setzte sich auf den Barhocker. “Vowegen Niveau”, bekrĂ€ftigte er erschöpft und setzte sich das Toupet wieder auf. Allerdings falsch herum. “Und PlattfĂŒsche habe isch ausch und mein RĂŒcken ischt morsch.”
Maria-Lena prustete laut und bekam einen Hustenanfall.
“Lasch misch nur ausch! In der Neun hatte isch in Mathe ‘ne Vier und in Bio ‘ne FĂŒnf, deschhalb haben schie mich ausch nur bei der SchtĂ€dtischen GĂ€rtnerei haben wollen.”
Herbert stĂŒrzte herbei, nahm das Gebiss aus dem Glas und hielt es seinem Freund vor den Mund. “Bist du verrĂŒckt geworden?”
“VerrĂŒckt? Isch bin verliebt”, antwortete der und setzte sich seine Dritten ZĂ€hne wieder ein, “verliebt und nicht perfekt.”
Sein Freund zuckte mit den Schultern. “Tut mir leid, aber so kenne ich Wolfgang ĂŒberhaupt nicht. Bei der StadtgĂ€rtnerei war er aber die letzten Jahre in der Verwaltung tĂ€tig!”, versuchte er, den Auftritt seines Freundes abzumildern.

Maria-Lena trank einen Schluck Wasser, legte ihre Hand auf Wolfgangs HandrĂŒcken, lĂ€chelte ihn an und flĂŒsterte ihm ins Ohr. “Wenn ich mein HörgerĂ€t eingelegt habe. Wiederholst du dann das alles fĂŒr mich noch einmal?”


Anne Zeisig, Version ZWEI

Letzte Aktualisierung: 10.11.2013 - 18.44 Uhr
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