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Metamorphose | November 2013

Der Zaubertrank
von Dagmar Hospes

Lucas hatte bereits eine Frau nach der anderen zum Tanz aufgefordert. Nur die elegante, dort am Tisch in der Ecke fehlte noch. Als Zauberin zurechtgemacht, mit ihren langen, roten Haaren, sah sie einfach wunderbar aus. Sie hatte eine ganz besondere Ausstrahlung, etwas Geheimnisvolles an sich.



Marie ging jedes Jahr aufs Faschingsfest, sie liebte es, die Menschen zu beobachten, sich die einzelnen Gesichter anzusehen. Vielleicht gab es auch in diesem Jahr wieder etwas zu tun. Viele waren geschminkt, andere wieder trugen einfach nur ihre Maske, passend zum Kostüm. Neugierig betrachtete sie Lucas, der sein Gesicht hinter einer Vampir-Maske versteckt hielt. Dann stand er auch schon vor ihr.
„Hallo, schöne Zauberin, darf ich dich um diesen Tanz bitten?“ Seine tiefe Stimme ließ Marie erschaudern, da konnte sie wohl kaum nein sagen. Es war Fasching, heute wollte sie auch ein bisschen Spaß haben. Schnell stellte sie fest, das Lucas ein hervorragender Tänzer war. Fest umfasste er mit seinen kräftigen Händen ihre Taille. Unter seiner Vampir-Maske kringelten sich kleine Löckchen hinab auf seine Schultern. Plötzlich ging das Licht aus und die Menschen im Saal wurden unruhig. Einen Augenblick später spürte sie Lucas Lippen auf ihren Mund. Marie rang um Fassung, aber seine Berührung war nicht unangenehm gewesen. Sein Kuss war zärtlich und fordernd.

Sie kannte die Küsse der Menschen, sie als Zauberin war ihnen verfallen. So ging sie einmal im Jahr auf ihre Mission. Liebe zu nehmen und Schönheit zu bringen.

Schweigend und eng umschlungen standen sie auf der Tanzfläche. Irgendwer hatte das Licht wieder eingeschaltet. Marie sah nur die Maske, oder konnte sie da ein Funkeln der Begierde in seinen Augen aufblitzen sehen? Sie ließ es zu, dass Lucas ihre Hand nahm, um sie aus dem Saal führte. Seine Maske machte sie zwar etwas nervös, aber ihr gefiel der Gedanke, dass sie ja bald wusste, was sich dahinter verbarg. Auch als sie längst in seiner Wohnung waren, nahm er die Maske nicht ab. Dann ging alles viel zu schnell, aber Marie war zufrieden. Der Typ war es wert. Dass Lucas die Maske nicht abgenommen hatte, gab ihrem Liebesspiel einen zusätzlichen Reiz. Ganz außer Atem fand sie schließlich ihre Sprache wieder. „Lucas, willst du nicht mal diese Maske abnehmen?“ Er schwieg und ging hinüber zum Fenster. „Bitte geh!“, waren seine einzigen Worte. Marie konnte es nicht fassen, noch nie hatte ein Mann sie kurz danach hinausgeworfen. Wütend sprang sie aus dem Bett, um ihre Sachen zusammenzusuchen. Die Schminke auf ihrem Gesicht war verschmiert, so konnte sie nicht losfahren. „Darf ich wenigstens noch dein Bad benutzen, bevor ich fahre? War ja sowieso nur für eine Nacht, oder Lucas? Anscheinend fehlt dir der Mut dein wahres Gesicht zu zeigen.“ So gut es ging reinigte Marie ihr Gesicht und plötzlich hatte sie einen Plan, sie wollte wissen was sich hinter dieser Maske befand. Die Neugierde hatte sie gepackt und sie mochte es nicht, wenn man sie so einfach abspeiste.
Als sie zur Wohnungstür ging, stand Lucas immer noch vom Schatten verdeckt am Fenster. Dann machte sie die Wohnungstür einfach auf und zu und versteckte sich in der Diele hinter dem rustikalen Eichenschrank. Lucas trat hinaus in die Diele vor den Spiegel, dort zog er die Maske vom Gesicht. Marie saß wie versteinert in ihrem Versteck, aber nun war sie froh, dass sie nicht gegangen war.
Sie befand sich schließlich auf einer Mission, zur Schönheit der Gesichter.
Lucas war ja geradezu eine Herausforderung für sie. Dieses Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Eine Narbe neben der Anderen. Das Faschingsfest war sicher der einzige Tag im Jahr an dem er sich unter Menschen wagte. Um zu tanzen, zu lachen, einmal eine Frau im Bett zu haben. Marie vernahm sein leises Stöhnen.
„Ach Marie, warum?“ Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf gegen den Sockel des Eichenschranks, dann sackte sie zu Boden. Stöhnend griff sie an ihren Kopf als sie erwachte.

„Du hast nur eine Beule, schöne Zauberin.“ „Lucas“, sagte Marie leise, du bist der scheußlichste Mann den ich kenne, aber ich hatte lange nicht so einen tollen Tänzer und Liebhaber. Das nächste Faschingsfest würde ich gerne wieder mit dir verbringen.“ Lucas hatte sich erneut von ihr abgewandt. „Eine attraktive Frau wie du, hat Nachts sicher etwas Besseres vor.“ „Schau mich an Lucas, ich werde dich begleiten, aber ab jetzt jeden Tag. Ich bin die Zauberin der Schönheit, ich werde alle deine Narben mit meinem bewährten Zaubertrank wegzaubern. Wir werden ab heute gemeinsam auf jedes Faschingsfest gehen und zwar ohne Maske.“ Lucas drehte sich wieder zu ihr. Auf seinem Gesicht erschien nur ein müdes, verzerrtes Lächeln. „Danke Marie, aber ich glaube dir nicht, dass war ein netter Versuch um mich aufzuheitern.“



Wütend schaute Marie ihn an, um gleich darauf zur Garderobe zu gehen, wo sie ihre Handtasche auf einen Stuhl abgestellt hatte. Als sie zurückkam hatte sie ein kleines Fläschchen in der Hand. „Hier trink das“, sagt sie. Ungläubig schaute Lucas sie an, aber er griff nach dem Fläschchen. In ihm befand sich eine braune Flüssigkeit. „Trink schon, aber alles!“ Ihre Ungeduld blieb ihm nicht verborgen. Lucas drehte den Verschluss ab und setzt die Flasche an den Mund. In einem Zug trank er alles aus. Dann verspürt Lucas ein starkes Ziehen auf seinem Gesicht, stöhnend griff er an seine Wangen. Marie sah ihm die Schmerzen an, aber sie wusste, es ist gleich vorbei. Lucas Verwandlung zu einem Mann mit einem schönen, edlen Gesicht ist nun vollzogen. Marie ist glücklich, wieder konnte sie einem Menschen die Schönheit zurückgeben. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht die Menschheit zu verschönern, ihnen vollkommene Gesichter zu geben.
Ihre Mission war doch wieder gelungen, so wie in jedem Jahr. Gut das sie nicht gegangen war, sie hatte Liebe genommen und konnte Schönheit geben.


Lucas ließ seine Hände in den Schoß sinken. Marie ergriff seine Hand. „Komm, schau in den Spiegel.“ Marie zog ihn hinaus in den Flur. „Du hast nun die Schönheit die ich bei dir sehen wollte.“ Lucas kann kaum glauben was er da sieht, fassungslos steht er vor dem Spiegel. „Marie, du bist tatsächlich eine Zaubrerin. Du hast mich aus meinem Gefängnis der Einsamkeit befreit.“ Lucas zog sie in seine Arme und der Kuss der gleich darauf folgte war tief und innig und stürmisch zugleich. Als sie wieder zu Atem kommt, sagt Marie. „Ja so muss das sein, ich habe lange gebraucht um den Schönheitstrank für die Menschheit zu kreieren.“

Version 3

Letzte Aktualisierung: 21.11.2013 - 20.04 Uhr
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