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Metamorphose | November 2013

Toast Speziale, Supersize
von Wolf Awert

„Sag mal, Liebes, meinst du, wir bekommen auch noch sowas wie ein Frühstück zusammen hin?“

Rudolphs Stimme klang etwas heiser, aber dafür ausgesprochen gut gelaunt. Sie fand ohne weitere Schwierigkeiten ihren Weg aus dem Schlafzimmer durch den Flur ins Badezimmer.

„Oh mein Gott, ein Frühaufsteher“, seufzte Elke. Sie tupfte kaltes Wasser auf die schmerzenden Schläfen, dachte an die gemeinsam verbrachte Nacht, an den Abend vor dieser Nacht und entschied schließlich, dass Rud tatsächlich ein Frühstück wert war. Dann wickelte sie sich ein Handtuch um den Kopf und ging aus dem Bad in die Küche, wobei sie überall auf dem Boden feuchte Fußspuren hinterließ. Sie nahm zwei Sesambrötchen „Super Size“ aus dem Eisfach und ließ sie auftauen.

„Ja, doch“, rief sie endlich zurück und fragte sich, ob Rud seine Frage bereits wieder vergessen hatte.

„Kann ich dir helfen, Kaffee zu kochen? Im Heißwassermachen bin ich ganz groß. Und außerdem gefällt es mir, wenn das einzige Bekleidungsstück einer Dame ihr Turban ist.“

Rudolph, den alle nur Rud nannten, stand bereits in der Tür.

Die Sesambrötchen brauchten länger als der Kaffee, und so hockten die beiden in der viel zu kleinen Küche zusammen. Sie auf ihrem Frühstücksbarhocker und er mit dem halben Hintern auf einer Ecke des Tisches.

Elke drittelte die Brötchen. Zunächst schnitt sie den oberen Teil ab und bewahrte ihn auf für später. Aus dem unteren Teil machte sie zwei gleich hohe Scheiben, die sie nebeneinanderlegte.

„Was hältst du von Käsetoast?“, fragte sie.
„Toast Hawai?“
„Ich dachte eher an Toast nach Art des Hauses oder Zustand des Kühlschranks. Mal sehen, was ich da habe.“

Elke fand einen italienischen Kochschinken, den sie fast feierlich über die Brötchenhälften drapierte.

„He, was ist das denn?“, rief Rud. „Hochgebirgsfonduesoße.“
Er schüttelte die Flasche und strich die rote Soße über den Schinken.
„Barbar“, kreischte Elke auf und: „Raus aus meiner Küche.“
„Weißt du was? Wenn du das so nicht magst, würzen wir einfach um. Und wenn es dir dann immer noch nicht schmeckt, dann esse ich deinen Teil einfach mit.“
„Das könnte dir so passen.“

Elke griff ins Gewürzregal und streute Bohnenkraut über die Paste.
„Mist, das sollte Rosmarin sein. Warum müssen sich die Dosen nur immer so ähnlich sehen.“
„Macht nichts, Oregano löscht Bohnenkraut aus.“
„Meinst du, ich will Pizza zum Frühstück“, sagte Elke und streute Rosmarin über Bohnenkraut und Oregano.
„Aber Fräulein Rosemarie ist nichts ohne ihren Herrn Thymian“, warf Rud ein und würzte noch einmal nach.“

Ihre Hände berührten sich, und Rud stahl einen Kuss.

Auf Schinken, Fonduesoße und den Pulverhaufen von Gewürzen legte Elke eine Schicht Emmentaler, und Rud verzierte das Ganze, weil man doch sonst davon nicht satt wurde, mit einigen dünnen Streifen Camembert.

Und jetzt in den Backofen damit“, sagte er.

„Ich habe was Besseres“, antwortete Elke, kramte in einem Hängeschrank herum und zog ein Uraltelektrogerät mit extra Gerätestecker heraus. „Hier, mein Universaltoaster.“

Das Ungetüm bestand aus einer Leichtmetallschachtel, unter deren Deckel sich zwei schwere, metallene Heizstäbe befanden, die nun ihre Glut erbarmungslos auf den Käse-Gewürz-Soßenhaufen schickte. Der Emmentaler zerlief, der Camembert wurde erst weich und dann braun.

„Fertig“, sagte Elke.

*

Von nun an verbrachte Rud häufiger seine Wochenenden bei Elke, und jeden Sonntagmorgen zelebrierten sie ihren Käsetoast „Speziale“. Er hatte sich nur wenig verändert. Das Bohnenkraut fehlte, ohne dass es jemand bemerkte, und Oregano kam nur dazu, wenn Rud das Würzen übernahm.

Als sie heirateten, hätte Elke gern in einem Schloss mit Ballsaal gefeiert, aber dafür hätten sie zu weit fahren müssen. Stattdessen fanden sie eine Ritterburg in ihrer Umgebung mit mittelalterlicher Küche, Fanfarenbläsern, Lautenspielern und Akrobaten.

Die Hochzeitsnacht, oder was noch davon übrig blieb, verbrachten sie in ihrer kleinen Wohnung, und ihren Käsetoast verzehrten sie am nächsten Mittag. Rud hatte die Gewürze in Form einer kleinen Krone auf den Emmentaler gestreut und sie einbacken lassen.

Elke und Rud waren fleißig und tüchtig und machten sich in ihren jeweiligen Firmen auf den Weg nach oben. Bald konnten sie sich eine größere Wohnung leisten, ein größeres Auto und auch ein anderes Frühstück. Trotzdem hielten sie an dem Käsetoast fest. Auch wenn die runden Sesambrötchen irgendwann durch viereckige Toastscheiben ersetzt wurden, weil das schneller ging, und der italienische Kochschinken durch den Kochschinken ersetzt wurde, der gerade vorhanden war. Irgendwann gab es keine Hochgebirgsfonduesoße mehr, weil der Schweizer Hersteller sie vom Markt genommen hatte. Sie wurde durch eine Zigeunersoße ersetzt. Auch stritten die beiden nun öfter als zu Beginn ihrer Beziehung. Aber so ist das nun mal im Leben, ...

… bis Elke eines Morgens schrie:

„Ich kann diesen verdammten Käsetoast nicht mehr sehen, und dick macht er auch.“

Rud war verstimmt, denn dieser Toast war ja schließlich einmal Elkes Idee gewesen.

Von nun an frühstückten sie häufiger getrennt. Rud schon morgens um sechs, Elke erst um halb acht. Das war gut und vernünftig, weil dadurch jeder das Bad für sich allein hatte. Elke kam meist später nach Hause als Rudolph und war dann oft zu erschöpft, um noch was zu unternehmen.

Irgendwann sagte einer der beiden: „Du, wir müssen mal miteinander reden.“

Sie gaben die gemeinsame Wohnung auf, und beide versuchten sie, ihr neues Leben jeweils allein in den Griff zu bekommen. Nur gut, dass wir keine Kinder haben, dachte Rudolph. Und Elke überlegte, ob es mit einem Kind nicht ganz anders gelaufen wäre. Aber das war nun Schnee von gestern.

*

Rud tappte durch seine Wohnung, stieß sich den nackten Zeh an einem Stuhlbein und füllte kaltes Wasser in die Kaffeemaschine.

„Sag mal, gibt es bei dir Frühstück?“, klang eine verschlafene Stimme aus dem Nebenraum. Rud verbrannte sich die Lippen an dem zu heißen Kaffee und fluchte vor sich hin.

„Yepp“, sagte er, und es war ihm egal, ob man ihn hören konnte oder nicht. Er wusste, er hatte noch einen Rest Toastbrot von letzter Woche. Im Hängeschrank entdeckte er eine Dose Ananas und im Kühlschrank vier Scheiben Schmelzkäse in einer Frischhaltefolie. Das Haltbarkeitsdatum war gestern abgelaufen.

„Wie wäre es mit einem Toast Hawaii?“, fragte er zurück.
„Toast Hawai? Prima. Das ist ja bei dir wie in einem richtig vornehmen Hotel.“

Letzte Aktualisierung: 05.11.2013 - 13.23 Uhr
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