Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Halb und halb | Dezember 2013
Elina
von Anne Zeisig

Jonas lehnte sich wohlig in den Sessel hinein.
Sein Blick wanderte durch den offenen Wohnraum hinĂŒber zur KĂŒche, wo Elinas zarte HĂ€nde in der TeigschĂŒssel umher kneteten. Unter ihrem Pullover zeichneten sich die kleinen Knospen ab, welche er allzu gerne gerade in diesem Moment liebkosen wĂŒrde. Ihr Haar hatte sie wieder zu einem strengen Knoten in den Nacken frisiert. Die antike Uhr auf dem Sims schlug die halbe Stunde an.
“So spĂ€t bereits? Dann wird es endlich Zeit fĂŒr ‘s Abendessen.” Ihre klare Stimme hatte immer etwas Resolutes und duldete keine Widerrede.
Sie formte die Frikadellen sanft, als seien es zerbrechlich Kunstwerke.
Behutsam legte sie eine nach der anderen in das zischende Fett.
Elina legte großen Wert auf einen durchstrukturierten Tagesablauf. Kein Wunder, wenn man zwei Kinder alleine durchbringen muss und Nacht fĂŒr Nacht im Krankenhaus Dienst hat.
Dort hatte er sie auch kennengelernt. Oder besser gesagt, davor.
Amor hat sie morgens gegen FĂŒnf bei strömenden November-Regen in einem knallgelben Mantel vor seine Motorhaube hĂŒpfen lassen, und ihre Worte der Entschuldigung prasselten auf ihn ein wie der Niederschlag aufs Wagendach.
“Feierabend”, blubberte es aus ihr heraus und “diese MĂŒdigkeit, die Unkonzentriertheit.” Flink griff sie in ihren Leinenbeutel und drĂŒckte ihm eine zerknitterte Visitenkarte in die Hand. “Falls was am Auto ist, ich komme dafĂŒr auf.”
Dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt.

Nun zog der Bratenduft durch die Wohnung und das erinnerte ihn an frĂŒher, wenn seine Mutter am Herd stand und beteuerte, dass man fĂŒr Frikadellen immer Gehacktes ‘Halb-Und-Halb’ verwenden mĂŒsse, weil das Schweinefleisch sie saftig machen wĂŒrde und das Rind den herzhaften Geschmack gĂ€be. Mehr hatte sie nie vom Rezept preisgegeben.
Er fĂŒhlte sich heimelig eingehĂŒllt in der Gegenwart seiner Geliebten, die sich das Kochen nicht aus der Hand nehmen ließ.
“Wann lĂ€sst du mich endlich hier einziehen? Die Wohnung ist groß genug, die Kinder behalten ihre gewohntes Umfeld”, er stöhnte demonstrativ theatralisch, “und sie mĂŒssten auch nicht mehr jeden Tag bei deiner Mutter schlafen, weil du Nachtdienst hast.”
Sie schĂŒttelte ihren Kopf und nuschelte, dass sie noch Zeit benötigen wĂŒrde, es ginge ihr alles viel zu schnell. Sie wischte ihre HandinnenflĂ€chen an der KĂŒchenschĂŒrze ab, bevor sie Jonas an den Tisch bat.
“Wenn du meine UnterstĂŒtzung hĂ€ttest, könntest du womöglich auch in den Tagdienst wechseln. Auf Dauer sind diese steten Nachtschichten nicht gut fĂŒr die Gesundheit.”
“Auf uns!”, prostete sie ihm mit hochrotem Kopf zu. “Es ist gut so, wie es derzeit ist.” Sie fuhr leicht mit ihrem warmen HandrĂŒcken ĂŒber seine Wange.
Er nahm einen Schluck Bier und sie setzte ihr Glas, gefĂŒllt mit Wasser, an ihre zartrosa Lippen. Ihre Kehle hob und senkte sich leicht, als sie das GetrĂ€nk schluckte.
“Was wird dich heute im Dienst erwarten?” Jedoch wusste er inzwischen, dass sie nie ĂŒber ihre Arbeit sprach.
“Sobald ich Feierabend habe, lasse ich alles zurĂŒck, nehme gedanklich nichts mit nach Hause”, hatte sie sofort zu Beginn ihrer Liebe erklĂ€rt.
Einzig die selbstgestrickten Socken fĂŒr ihre Kinder stellten eine Art Verbindung zu ihrer Arbeit her. “Anstatt in den Pausen mit den Kolleginnen zu tratschen, entspanne ich beim Stricken.”
Auch heute setzte er sie wieder vor dem Krankenhausportal ab und fuhr danach in seine Wohnung.
Kurz schaute er ihr hinterher, wie sie die Stufen des Portales hoch tippelte. Elina. Ein GlĂŒcksfall. Endlich eine bodenstĂ€ndige natĂŒrliche Frau, und nicht so hochstilisiert und kĂŒnstlich, wie die anderen vor ihr.
“Mein geliebtes MĂ€del”, flĂŒsterte er und fuhr davon.

* * *
Elina eilte nun hastig durch die automatische SchiebetĂŒr in die Klinik, bog im Foyer links ab, steuerte auf die ‘Innere’ zu, querte das CafĂ©, zog sich am Automaten eine Schachtel Zigaretten, blieb kurz stehen, atmete tief ein und steuerte auf den Hintereingang zu, dort, wo sich die Notfallpraxis befand.
Die DrehtĂŒr spuckte sie hinaus in die KĂ€lte. WĂ€hrend des Laufens öffnete sie ihren Haarknoten. Lang und locker umschmeichelte die MĂ€hne ihre schmalen Schultern.
Jetzt waren es nur noch zwei Straßen Richtung Bahnhof und PostgebĂ€ude.
“Hallo SĂŒĂŸe!” Sie erkannte ihre Kollegin Dominique in der Dunkelheit. Die hakte sich bei ihr unter. “Mistwetter! Gift fĂŒr meine morschen Knochen. Wenn ich genug gespart habe, werde ich im SĂŒden ĂŒberwintern.”
Elina nickte und dachte. ‘Ja, wenn’.
Die alte Eisenlaterne an der roten EingangstĂŒr klapperte und quietschte im Winterwind. Ihre GlĂŒhbirne war seit Jahren defekt.
Schweigend betraten sie das Bordell.



anne zeisig, version 1

Letzte Aktualisierung: 02.12.2013 - 20.04 Uhr
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