Jonas lehnte sich wohlig in den Sessel hinein.
Sein Blick wanderte durch den offenen Wohnraum hinüber zur Küche, wo Elinas zarte Hände in der Teigschüssel umher kneteten. Unter ihrem Pullover zeichneten sich die kleinen Knospen ab, welche er allzu gerne gerade in diesem Moment liebkosen würde. Ihr Haar hatte sie wieder zu einem strengen Knoten in den Nacken frisiert. Die antike Uhr auf dem Sims schlug die halbe Stunde an.
“So spät bereits? Dann wird es endlich Zeit für ‘s Abendessen.” Ihre klare Stimme hatte immer etwas Resolutes und duldete keine Widerrede.
Sie formte die Frikadellen sanft, als seien es zerbrechlich Kunstwerke.
Behutsam legte sie eine nach der anderen in das zischende Fett.
Elina legte großen Wert auf einen durchstrukturierten Tagesablauf. Kein Wunder, wenn man zwei Kinder alleine durchbringen muss und Nacht für Nacht im Krankenhaus Dienst hat.
Dort hatte er sie auch kennengelernt. Oder besser gesagt, davor.
Amor hat sie morgens gegen Fünf bei strömenden November-Regen in einem knallgelben Mantel vor seine Motorhaube hüpfen lassen, und ihre Worte der Entschuldigung prasselten auf ihn ein wie der Niederschlag aufs Wagendach.
“Feierabend”, blubberte es aus ihr heraus und “diese Müdigkeit, die Unkonzentriertheit.” Flink griff sie in ihren Leinenbeutel und drückte ihm eine zerknitterte Visitenkarte in die Hand. “Falls was am Auto ist, ich komme dafür auf.”
Dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt.
Nun zog der Bratenduft durch die Wohnung und das erinnerte ihn an früher, wenn seine Mutter am Herd stand und beteuerte, dass man für Frikadellen immer Gehacktes ‘Halb-Und-Halb’ verwenden müsse, weil das Schweinefleisch sie saftig machen würde und das Rind den herzhaften Geschmack gäbe. Mehr hatte sie nie vom Rezept preisgegeben.
Er fühlte sich heimelig eingehüllt in der Gegenwart seiner Geliebten, die sich das Kochen nicht aus der Hand nehmen ließ.
“Wann lässt du mich endlich hier einziehen? Die Wohnung ist groß genug, die Kinder behalten ihre gewohntes Umfeld”, er stöhnte demonstrativ theatralisch, “und sie müssten auch nicht mehr jeden Tag bei deiner Mutter schlafen, weil du Nachtdienst hast.”
Sie schüttelte ihren Kopf und nuschelte, dass sie noch Zeit benötigen würde, es ginge ihr alles viel zu schnell. Sie wischte ihre Handinnenflächen an der Küchenschürze ab, bevor sie Jonas an den Tisch bat.
“Wenn du meine Unterstützung hättest, könntest du womöglich auch in den Tagdienst wechseln. Auf Dauer sind diese steten Nachtschichten nicht gut für die Gesundheit.”
“Auf uns!”, prostete sie ihm mit hochrotem Kopf zu. “Es ist gut so, wie es derzeit ist.” Sie fuhr leicht mit ihrem warmen Handrücken über seine Wange.
Er nahm einen Schluck Bier und sie setzte ihr Glas, gefüllt mit Wasser, an ihre zartrosa Lippen. Ihre Kehle hob und senkte sich leicht, als sie das Getränk schluckte.
“Was wird dich heute im Dienst erwarten?” Jedoch wusste er inzwischen, dass sie nie über ihre Arbeit sprach.
“Sobald ich Feierabend habe, lasse ich alles zurück, nehme gedanklich nichts mit nach Hause”, hatte sie sofort zu Beginn ihrer Liebe erklärt.
Einzig die selbstgestrickten Socken für ihre Kinder stellten eine Art Verbindung zu ihrer Arbeit her. “Anstatt in den Pausen mit den Kolleginnen zu tratschen, entspanne ich beim Stricken.”
Auch heute setzte er sie wieder vor dem Krankenhausportal ab und fuhr danach in seine Wohnung.
Kurz schaute er ihr hinterher, wie sie die Stufen des Portales hoch tippelte. Elina. Ein Glücksfall. Endlich eine bodenständige natürliche Frau, und nicht so hochstilisiert und künstlich, wie die anderen vor ihr.
“Mein geliebtes Mädel”, flüsterte er und fuhr davon.
* * *
Elina eilte nun hastig durch die automatische Schiebetür in die Klinik, bog im Foyer links ab, steuerte auf die ‘Innere’ zu, querte das Café, zog sich am Automaten eine Schachtel Zigaretten, blieb kurz stehen, atmete tief ein und steuerte auf den Hintereingang zu, dort, wo sich die Notfallpraxis befand.
Die Drehtür spuckte sie hinaus in die Kälte. Während des Laufens öffnete sie ihren Haarknoten. Lang und locker umschmeichelte die Mähne ihre schmalen Schultern.
Jetzt waren es nur noch zwei Straßen Richtung Bahnhof und Postgebäude.
“Hallo Süße!” Sie erkannte ihre Kollegin Dominique in der Dunkelheit. Die hakte sich bei ihr unter. “Mistwetter! Gift für meine morschen Knochen. Wenn ich genug gespart habe, werde ich im Süden überwintern.”
Elina nickte und dachte. ‘Ja, wenn’.
Die alte Eisenlaterne an der roten Eingangstür klapperte und quietschte im Winterwind. Ihre Glühbirne war seit Jahren defekt.
Schweigend betraten sie das Bordell.
anne zeisig, version 1
Letzte Aktualisierung: 02.12.2013 - 20.04 Uhr Dieser Text enthlt 4737 Zeichen.