Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Kaltes Licht | Januar 2014
Armleuchter mit Kondomen
von Anne Zeisig

“Wir heißen Sie herzlich willkommen im ‘Lichtkaufhaus’ und hoffen sehr, dass Sie sich in unserer Lampenwelt wohlfühlen!”

Henriette schrak zusammen, presste ihre Handtasche an sich, bekam von hinten einen Schubs und stolperte direkt einem Verkäufer in die Arme.
Der junge Mann befreite sich sanft, aber bestimmt, aus dieser Umarmung. “Diese Drehtüren sind wirklich keine gute Erfindung”, sagte er entschuldigend.

Die alte Dame zupfte ihren Blazer zurecht und ordnete den Spitzenkragen ihrer Bluse.
Sie zeigte mit ihrem Stockschirm zum Eingang. “Diese Tür hat mich nicht erschreckt, sondern der Lautsprecher.”
“Aha. Und?”
“Nichts Und! Aber korrekterweise muss ich Ihnen sagen, dass es diese, diese, tja, wie soll ich es ausdrücken?” Sie rückte ihre Brille zurecht. “Diese laute und unpersönliche Stimme aus dem Lautsprecher hat mich vor Schreck in Ihre Arme plumpsen lassen.” Sie kicherte leicht heiser. “Denn eigentlich wollte ich mir nur die Auslage im Eingangsbereich ansehen.”
“Auslage?”, fragte er ausdruckslos.
Wieder zeigte sie zur Tür. “Ich wollte mir nur diese Energielampen im Schaufenster angucken. Manche leuchten bläulich bis weiß, andere eher gelblich bis goldgelb. Und dann diese unterschiedlichen Formen!”, begeisterte sie sich.
Plötzlich strahlte sein bis dahin unbewegliches Gesicht. “Ach so! Wenn Sie sich für Leuchtmittel interessieren, sind Sie bei uns genau richtig!” Er schob Henriette vom Hauptgang zur Seite. “Haben Sie an etwas bestimmtes gedacht?”
Sie wankte leicht, deshalb stellte der Verkäufer ihr flink einen Stuhl hin. “Danke. Also. Gedacht habe ich beim Anschauen kaum, aber viel Zeit hatte ich ja nicht, wegen dieser Stimme.” Sie blickte um sich, und angesichts dieser vielen Lampen wurde ihr fast schwindelig. Auch schmerzten ihre Augen von der Helligkeit. Sie kniff sie zusammen.
“Ich kann mir vorstellen, dass Sie das gelbe bis goldgelbe Licht eher bevorzugen. Wissen Sie”, fuhr er fort, “die meisten Menschen fühlen sich wohler, wenn das Licht Wärme ausstrahlt. Das wird als behaglich empfunden.”
Henriette wunderte sich. “Dürfen die Birnen denn noch Wärme ausstrahlen? Ist das nicht verboten wegen der Stromvergeudung? Weil so viel CO-Zwei ausgestoßen wird in die Umwelt?”, fragte sie.
Er winkte ab. “Wenn ich von warmem Licht rede, so meine ich den optischen Eindruck und nicht die Temperatur. Die Lichtfarbe wird in ‘Kelvin’ gemessen. Üblicherweise liegen warmweiße ‘Light Emitting Dioden’ so bei 2700 bis 2900 Kelvin. Stromsparend sind sie auch und haben eine Lebensdauer von gut zwanzig Jahren!”
“Zwanzig Jahre? Aber dann müsste ich ja Hundert werden!” Wieder kicherte sie. “Nun, da könnte sich meine Enkelin über das Erbe freuen. Das wäre also eine sinnvolle, generationenübergreifende Anschaffung.”
Der Verkäufer quälte ein Lächeln hervor. “Für welche Leuchte soll die LED denn sein?”
“El-Eh-Deh?” Die alte Dame trommelte mit den Fingern auf den Griff ihres Schirmes und kam zu der Erkenntnis, dass der junge Mann offensichtlich keine große Leuchte seines Faches sei. “Ich habe von meinen Eltern seinerzeit einen ‘Candélabre’ geerbt. Das ist eine Lampe, die hat unten einen Sockel mit einer mittigen Säule, wo mehrere Arme abzweigen, auf denen man Kerzenbirnen eindrehen kann.”
Er räusperte sich und nestelte nervös am Krawattenknoten. “Sie haben einen Kronleuchter?”
Henriette stampfte mit der Spitze des Schirmes auf den Boden. “Französisch gehört nicht zu Ihrem Fachwissen? Aber ich will Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Ich habe also einen Kandelaber.”
Er nickte. “Und dafür benötigen Sie warmweiße Leuchtmittel. Wieviel Arme hat er denn?”
Sie stampfte lauter auf. “Leuchtmittel! Alleine das Wort lässt mich frösteln! Ich benötige sechs milchige Kerzenbirnen.”
“Nicht so laut”, zischte er, schaute beunruhig um sich, griff ins Regal und hielt der alten Dame einen kleinen Karton vor die Augen. “Diese Energiesparlampe ist mit Phosphor beschichtet, das wirkt anheimelnd warm und ist angenehm für die Augen.”
Sie wendete die Kartonage hin und her. “Aber direkt matt ist die Birne nicht?”
Er schüttelte den Kopf. Da müssten Sie vom Lichtdesigner Ingo Maurer ein ‘Euro-Condom’ über das Leuchtmittel ziehen, damit wird die Mattierung imitiert.”
Sie rappelte sich vom Stuhl hoch. “Zwar steht der Kandelaber in meinem Schlafzimmer, aber ich bin achtzig Jahre alt, da ist ein Kondom überflüssig, junger Mann! Und wenn Ihre Generation die europäisch genormten Verhüterli über die Glühbirnen zieht, anstatt über eure Geschlechtsteile, da frage ich mich ernsthaft, warum so wenig Kinder geboren werden!”
Endlich eilte ein Kollege zu Hilfe. “Ich höre, Sie haben Ihre Leuchte im Schlafzimmer stehen? Dann empfehle ich eher kaltes Licht, weil das aktivierend auf den Organismus wirkt.” Er räusperte sich kurz. “Was im Alter von Vorteil ist.” Er machte abermals eine kleine Pause. “Das wäre besonders anregend für den Gatten.”

Henriette klemmte sich ihre Tasche unter den Arm. “Aha! Interessant! Kaltes Licht wirkt also anregend! Und warum schraubt ihr junges Volk euch nicht solche Birnen in die Schlafzimmer-Fassungen? Dann gäbe es auch mehr Nachwuchs!”
“Nicht so laut!”, zischte nun auch der junge Verkäufer und flüsterte Henriette ins Ohr: “Wenn das Wort ‘Birne’ oder ‘Glühbirne’ beziehungsweise ‘Kerzenbirne’ unserer hauseigenen Abhör- und Lautsprecheranlage akustisch zu Ohren kommt, dann haben wir unverzüglich die Luminaire-Cops im Shop.” Er wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. “Sie ahnen nicht im Entferntesten, was dann hier los ist!”
Henriette schüttelte verständnislos den Kopf.
“Lichtpolizei!” Erklärte der andere und lockerte seinen Krawattenknoten. “ Die kommen mit einem Durchsuchungsbefehl und da bleibt hier keine Schachtel auf der anderen, das können Sie uns glauben!”, zischte er.
Henriette nahm ihren Schirm und stolzierte zum Ausgang. “Das ist nicht mein Problem!”, rief sie laut, “ ich wollte lediglich sechs durchsichtige Williams-Christ mit matter Beschichtung! Aber wenn Ihr sowas nicht auf Lager habt, dann könnt Ihr mir bestimmt auch keine von der Sorte Abate, 1. Wahl, verkaufen.”
“Aber die sind doch überhaupt nicht lange haltbar!”
“Faulen so schnell”, ergänzte der junge Kollege seufzend, “mal abgesehen davon, dass die gesetzlich verboten sind”, und streichelte liebevoll die Verpackung der LED.

“Danke für Ihren Einkauf!”, tönte es ihr entgegen, als sie die Drehtür passierte. ‘Armleuchter!’, dachte Henriette, als sie den Bordstein erreicht hatte, und spannte ihren Schirm auf.
‘Dann stecke ich halt Kerzen in die Fassung. Sieht romantisch aus und wärmt auf natürliche Weise.’


©Anne Zeisig. End-Fassung, äh, End-Version

Letzte Aktualisierung: 21.01.2014 - 21.16 Uhr
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