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Kaltes Licht | Januar 2014
Bikinimadl
von Helmut Loinger

Das Bikinimadl ist beinamputiert, aber das fĂ€llt nur denen auf, die noch nie hier waren. Es hĂ€ngt da ĂŒber der TĂŒr zum SĂŒdbahnkeller und lockt mit ihren Neonkurven. Sie klatscht ihr frostiges Licht auf den verdreckten Gehsteig. Dabei ist verdreckt ja noch schön gesagt. Wegen dem Sauwetter spiegelt es sich kalt und wacklig in einer Regenlache wider. Stören tut das fehlende Bein niemanden. Die, die dort drinnen sitzen, kommen ohnehin, egal ob amputiert oder nicht.

Sperrstund‘ ist schon lang vorĂŒber. Manchmal wĂ€r gescheiter, die Rosi wĂŒrd die paar B’soffenen gleich um zehn rausschmeißen, so wie heut. Der Schnaps schlĂ€gt Wellen im Stamperl, das in der Pratzn vom bladen Gustl beinah verschwindet. Die Wellen kommen von seinem Zittern. Sein „Geh Rosi, einen Doppelten noch“ unterstreicht er mit einem unterdrĂŒckten RĂŒlpser, der seinem massigen Körper entweicht. „Ganz schön durstig heut?“, meint die Rosi und wirft ihre wasserstoffblonde MĂ€hne, die ihr in die Jahre gekommenes Gesicht viel zu wenig verdeckt, nach hinten. Weil die Falten in ihrem Gesicht kommen nicht vom vielen Lachen, wenn du mich fragst. Die Schnapsflasche ist nun schon halbleer und das hat sie ganz allein dem Gustl seinem Durst zu verdanken. Dabei sitzt er noch gar nicht so lang hier, in seinem Stammbeisl. Der Durst und der Verdruss sind mein bestes G‘schĂ€ft, sagt die Rosi immer.

Hinten im Eck am Wurlitzer steht noch so ein Übriggebliebener. Einer, den keiner kennt. Einer, den gar keiner kennen will, wenn du weißt, was ich meine. Er schmeißt eine MĂŒnze in die Maschine, drĂŒckt und wartet, bis seine Musik durch die Boxen dröhnt. Der Kurt Ostbahn spielt seinen Tequila Sunrise. Sein Wienerisch arbeitet sich von der Musikbox durch die Rauchschwaden bis zum bladen Gustl und kriecht in seine GehörgĂ€nge. Das ist dem Gustl sein Lieblingslied. Irgendeiner spielt das immer, wenn er da ist.

Aber irgendwie scheint er sein Lied gar nicht richtig zu hören. Der ist woanders. Mit den Gedanken, mein‘ ich. Weil wenn du grad jemand abg‘stochen hast, dann nĂŒtzt dir der schönste Tequila Sunrise nichts. Nicht einmal der vom Kurt Ostbahn. Da brauchst erst mal ein ordentliches Schnapserl, oder zwei. Schließlich passiert einem das ja nicht jeden Tag. Dem Gustl schon gar nicht. So eine wilde Sau ist er nĂ€mlich nicht. Zugegeben, ein bisserl Robin Hood spielen tut er schon gerne. Aber jemanden abstechen ist dann schon was anderes. Das ist eine andere Liga, eher was fĂŒr den Schurli, seinen Ă€lteren Bruder.

„Hab das Zeug jetzt eing’sperrt, in die Garage“, murmelt der, als er sich grade neben den Gustl an die Ausschank setzt und dessen Schnaps auf ex runterkippt. „Wenigstens hat sich das Theater aus’zahlt“, erklĂ€rt er ihm. „Hat verdammt viel sauteuren Krempel ang’sammelt, die Alte“, sagt er und strahlt fast dabei. Aber so richtig freuen wie der Schurli tut sich der Gustl nicht, das spĂŒrt man schon.

Dass dem bladen Gustl seine Hose noch voller Blut ist, merkt irgendwie auch keiner. Aber was fĂ€llt hier drin schon noch auf? Man sieht ja kaum bis ins Eck rĂŒber, wo sich der Ferry grad ĂŒber ein frisches Madl hermacht. Wo der immer das Geld fĂŒr sowas herkriegt, weiß keiner. Auch seine zweite Frau nicht und seine drei Kinder schon gleich gar nicht. Die klobigen Finger seiner rechten Hand krallen sich in ihren Busen. FĂŒr einen ersten Zwanziger zeigt sie ihm dafĂŒr ihre weißen ZĂ€hne, die aus ihrem farbigen Gesicht durch den ganzen SĂŒdbahnkeller strahlen, hell und kalt wie das Bikinimadl draußen ĂŒber der TĂŒr. Der Ferry glaubt, sie mag das, wie er sie abschleckt und ausgreift. Ob sie das Geld zu ihren Eltern runter nach Afrika schickt oder sich nur ein wenig Stoff dafĂŒr kauft, ist ihm heut egal. Und vermutlich morgen auch.

Ganz schön aufdreht ist der Schurli und schwitzen tut er auch. Ob das von der Hitz hier drin kommt oder von der Arbeit, die er grad erledigt hat? Oder ist vielleicht sogar bei ihm, dem eiskalten Hund, ein bisserl ein ungutes GefĂŒhl da, das ihn nicht mehr loslĂ€sst? Dieses GefĂŒhl als ob du gleich kotzen musst, obwohl dir gar nicht richtig schlecht ist. Der Gustl merkt schon, dass der Schurli auch ein bisserl unlocker ist wegen der ganzen G’schicht.

„Die Alte hat noch kein Bankerl g’rissen. Die hat noch g’röchelt, als ich den Fernseher mitg’nommen hab“, stammelt der Gustl halblaut vor sich hin.
„Halt die Goschn, Trottel!“, fĂ€hrt der Schurli gleich dazwischen.
„Aber glaubst nicht, dass da ein Doktor noch was machen könnt?“
„Sei net so deppert, die Alte hat die Patschen lĂ€ngst auf’dreht. Die spĂŒrt scho nix mehr und die hĂ€tt so auch nimmer lang g’lebt“, resĂŒmiert er trocken.

So kann das gehen, wenn einer nicht genau aufpasst. Da ist dann plötzlich die Alte im Zimmer gestanden und das Geschrei ist losgegangen. Dass die Furie glatt eine Sportpistole in der Kommode liegen hat, damit haben die beiden nicht gerechnet. Nur gut, dass sie das Ding nicht richtig unter Kontrolle gekriegt hat. So hat die Kugel dem bladen Gustl seinen Fuß nur gestreift. Da ist dann sogar der Gustl schlagartig richtig sauer geworden. Gleich darauf war sie dann still. Ist am Boden gelegen, mit dem Brotmesser im Bauch, das da auf dem Tisch herumgelegen ist. „Scheißdreck verreckter!“, hat der Schurli gemeint und der Gustl hat schon fast geweint. Hat sich die Hand vor den Mund gehalten, die Augen weit aufg‘rissen, wie wenn er den Leibhaftigen vor sich hĂ€tt‘. War halt immer schon ein bisserl zu nah am Wasser gebaut, der Gustl.

„Es lebe der Zentralfriedhof, und alle seine Toten“, schreit der Woiferl Ambros aus der Musikbox, an der jetzt grad‘ der Ferry steht, weil sein eingekauftes Madl am Klo ist und sich was einwirft. Damit sie ihr Hirn ein bisserl abschalten kann. Damit sie noch alles machen kann, was der Ferry heut noch von ihr so verlangt. „Leiwand, der Ambros.“, denkt sich der Gustl. Und der Ferry denkt sich das auch, nur das farbige Madl versteht nichts von dem, was der Ambros da von sich gibt.

„Ich will nimmer in den HĂ€fen, Schurli. Da geh ich bestimmt nimmer hin“, jammert der Gustl wieder. Dabei kann man das schon verstehen, weil Karlau kennt er besser, als ihm lieb ist. Das ist kein Ort fĂŒr einen wie den Gustl.
„Wir mĂŒssen nur die Goschn halt‘n, so wie immer“.
BrĂŒderlich drĂŒckt der Schurli den Gustl an sich. Wie frĂŒher, wenn die beiden was ang‘stellt haben und den Gustl das schlechte Gewissen geplagt hat. Meistens war es ja der Schurli, der was ausg‘fressen hat. Aber auf seinen Bruder hat er sich immer verlassen können. Der hat’s Maul nicht aufgemacht, nicht ein einziges Mal. Und so hat der Gustl den Scheiß ganz allein ausgebadet, in Karlau.

Da schau, jetzt kriegt der SĂŒdbahnkeller noch frischen Besuch. Die beiden gehören alles andere als hier her. Jeans, lĂ€ssige Leiberl, schwarze Lederjacken, moderne Schuh‘, zweimal Dreitagesbart, der eine keine dreißig, der andere Mitte vierzig, beide mit gut trainiertem Oberkörper. „Fesche Buben“, denkt sich die Rosi und stellt sich vor, was sie mit ihnen anstellen wĂŒrd‘, wenn sie dreißig Jahr jĂŒnger wĂ€r. Aber klar ist, dass die beiden gleich ihre Uniform anlassen hĂ€tten können. Oder sie hĂ€tten sich „Kieberer“ auf die Stirn tĂ€towieren können. Zivile Kieberer um diese Uhrzeit? Rosi‘s „Wollt ihr was trinken oder eh nur herumschnĂŒffeln?“, kommt bei den beiden genauso ungastlich an wie sie es meint.

Der Schurli ist fest davon ĂŒberzeugt, dass die beiden wen suchen. Er spĂŒrt nur zu gut, dass es jetzt eng wird. Da gibt er dem Gustl einen Rempler und befiehlt: „Oida, geh‘ scheiß‘n!“. Dass er sich jetzt ĂŒber die HĂ€user hauen soll, hat der Gustl sogar in seinem Verdruss-Rausch auf Anhieb verstanden. Man möcht gar nicht meinen, wie der seinen ĂŒbergewichtigen Kadaver geschmeidig entfernen kann.

Dass in dem Kastl, das da hinten an der Wand hĂ€ngt, eine Puffn versteckt ist, hat ihm die Rosi einmal erzĂ€hlt. HĂ€tt sie besser nicht g’macht, weil die greift sich der Gustl noch schnell beim rausschleichen. Hat keiner gesehen. Draußen im Gang stolpert er fast ĂŒber das farbige Madl, das vor dem grunzenden Ferry kniet und sich einen weiteren Fuffziger verdient. Die scheint das wirklich gut zu machen. „Gut investiert, dieser Fuffziger“, denkt sich der Ferry.

Als die Rosi den beiden Gfrastern die Safterln auf die Ausschank stellt, fangen sie endlich an zu fragen. Ob denn hier Leut‘ arbeiten, die gar nicht arbeiten dĂŒrften. Ob die Rosi denn ihr Beisl wirklich sauber hĂ€lt vor dem ganzen G‘sindel, das sich in diesem Kretzl immer rumtreibt. Ob denn hier Huren rumhĂ€ngen, die gar nicht rumhĂ€ngen dĂŒrften. Konkret nach dem Madl, das immer noch am Gang dem Ferry einen lutscht, und das sie - aus welchem Grund auch immer - suchen, fragen sie erst zum Schluss.

Der Schurli kriegt das Ganze natĂŒrlich mit und beruhigt mit einem weiteren Schnapserl auf ex seinen in Wallung geratenen Adrenalinspiegel. Aufatmen, aber nicht zu laut, ist angesagt. Grad als die Rosi mit: „Leckt’s mich doch, ihr 
“, beginnt, kann sie plötzlich nicht mehr weiterreden, weil es knallt. Wirklich laut knallt. Aber nur einmal. Die zwei Kieberer greifen reflexartig nach ihren Waffen. Schreien gleich rum, dass jeder seinen Arsch da behalten soll, wo er ihn gerade hat. Die scheinen sich glatt zu freuen, dass da bei der Rosi was los ist. Passiert denen schließlich nicht jeden Tag, dass wo geschossen wird.

Der Übriggebliebene sitzt an seinem klebrigen Holztisch. Der Wurlitzer hat aufgehört zu spielen. Kein Ambros mehr, kein Ostbahn. Die Rosi schenkt sich selbst einen Doppelten ein. „Ich hĂ€tt‘ ihn heut‘ nicht mitnehmen sollen“, denkt sich der Schurli und seine Augen sind auf einmal ganz glasig. Die beiden Kieberer bewegen sich langsam in Richtung Gang. Das farbige Madl wischt sich den Mund ab. Der Ferry packt sich ein und zieht sich sein HosentĂŒrl zu. Die Neonröhre im Gang zuckt. Unter der KlotĂŒr kommt das Blut daher.

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Letzte Aktualisierung: 24.01.2014 - 09.10 Uhr
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