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Kaltes Licht | Januar 2014

Im Banne eisigen Lichts
von Ingeborg Restat

In dämmeriger Dunkelheit barsten Mauern mit höllischem Lärm, zersplitterten Glas und Holz krachend. Und Benni hockte hilflos mittendrin in dem Chaos. Er hielt sich die Ohren zu und schaute voller Angst wie gehetzt um sich. Wo war er? Was war geschehen? Wie kam er hierher? Warum saß er hier ganz allein? Wo waren die andern? Hatten sie ihn im Stich gelassen?
In der Ferne flammte ein Licht auf, grell und kalt. Und darin …? Was war das darin? Angestrengt versuchte er, es zu erkennen … Eine Gestalt! Es war eine dunkle Gestalt vom grellen Licht umflutet. Diese unheimliche Erscheinung kam doch nicht etwa näher? Noch war sie fern. Doch ohne Zweifel, sie bewegte sich auf ihn zu.
Wie gebannt starrte er darauf, während sich ihm die Nackenhaare sträubten. Schritt für Schritt kam es heran, das Unheimliche. Eisige Kälte kroch ihm in die Glieder. Verbreitete die das Licht?
Fröstelnd und zitternd umfing er sich mit seinen Armen und zog sich zusammen. Dabei konnte er seinen Blick nicht von dem dunklen Wesen wenden, das unaufhaltsam auf ihn zukam. Als es nah genug heran war, erkannte er eisgraue Augen, die ihn mit gierig kaltem Blick fixierten und nicht mehr losließen.
Benni wollte fliehen, sich verkriechen. Doch da war nichts mehr, was ihm hätte Schutz bieten können. Je näher die unheimliche Erscheinung kam, umso mehr dehnte sich das eiskalte Licht aus. Bald erhellte es die ganze trostlos verwüstete Umgebung. Kein Stein stand mehr auf dem andern. Und Benni saß hier vogelfrei und mutterselenallein zwischen den Ruinen. Vom Grauen gepackt, ohnmächtig etwas zu tun, blickte er dem fremden Wesen entgegen. Achtlos stieg es über die Schuttberge, so dass unter seinen Füßen auch noch der letzte Stein mit lautem Getöse zerbarst.
Als die ersten grellen Strahlen Benni erreichten, schmerzten und blendeten sie ihn. Die Kälte, die das Licht ausströmte, wurde zunehmend unerträglicher, je mehr es ihn umgab. Er hielt es kaum noch aus. Er schloss die Augen, wollte nicht mehr sehen, wie das Ungeheuer herankam. Doch nun musste er mit anhören, wie es sich ihm mit Getöse und Gepolter näherte. War es schon so nah? Entsetzt riss er die Augen wieder auf und erblickte, nicht mehr weit von sich entfernt, eine widerliche Fratze, woraus die eisgrauen Augen jetzt mit ungezügelter Gier und Mordlust auf ihn blickten. Er musste weg, schnell weg! Er wollte aufspringen, davonlaufen. Es ging nicht, seine Beine gehorchten ihm nicht. Ohnmächtig zitternd vor Angst und Kälte starrte er wie gebannt in diese schrecklichen Augen. Wie lange noch und das Ungeheuer hatte ihn erreicht. -Was dann? Er wäre hilflos seiner Gewalt ausgeliefert. Das erkannte er deutlich. Und doch vermochte er nur abwehrend die Hände zu heben … Umsonst! Wie viele Schritte waren es noch, vier oder fünf? Vor Panik heftig atmend, sog er einen üblen modrigen Geruch mit ein, den die unheimliche Gestalt ausströmte. Eisige Kälte und Panik ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das grelle Licht konnte er kaum noch aushalten. Und doch musste er in diese vor ungezähmter Gier aufleuchtenden Augen blicken. Zwei Schritte noch. Jetzt streckte das Ungeheuer seine Arme nach ihm aus. Mit langen spitze Krallen an den Händen wollte es ihn packen. Sie kamen näher und naher … gleich hatten sie ihn … Benni riss den Mund auf, wollte schreien,. Kein Laut kam heraus ... Aus, vorbei …
Eine warme, weiche Hand legte sich auf seine Schulter.
Er fuhr hoch und schlug die Hand weg.
„He! Was ist mit dir los? Hast du schlecht geträumt?“ Die Mutter machte einen Schritt vom Bett zurück.
Verwirrt und verängstigt schaute sich Benni um. Dann erfasste er es: Es war nur ein Traum gewesen.
„Komm, steh auf! Es ist Zeit für die Schule“, drängte die Mutter und ging aus seinem Zimmer.
Benni aber, noch im Traum verfangen, legte sich wieder hin. Er streckte vorsichtig seine Beine und hob sie an. Es ging, er konnte sich bewegen. Es war also wirklich nur ein Traum gewesen. Doch noch sah er diese schreckliche Gestalt und Fratze mit den eisgrauen Augen vor sich, noch zog er das Deckbett höher, weil er meinte, die Kälte des Lichts zu spüren. Vielleicht lauerte das unheimliche Wesen sogar dort in der dunklen Ecke?
Schnell sprang er auf und lief daran vorbei ins Bad.
Aber noch als er zurückkam, schaute er zuerst vorsichtig um die Tür zu der Ecke hin. „Nichts, natürlich nichts!“, murmelte er vor sich hin und schalt sich einen Dummkopf. Und doch verließ er eilig sein Zimmer, als er angezogen war.
Selbst als er zur Schule ging, pfiff er leise vor sich hin, als müsse er sich Mut machen. Misstrauisch ging er an jeder dunklen Ecke vorbei. Erst als er mit seinen Freunden zusammentraf, vergaß er es. Auch im Unterricht dachte er nicht mehr daran.

Es war ein trüber, dunkler Tag. Die Lehrerin schaltete die Deckenleuchte ein, eine Lampe mit drei Glühbirnen und einer Glasglocke darüber. Doch schon nach kurzer Zeit erlosch eine der Glühbirnen. Mühsam war es jetzt für die Kinder in den Büchern zu lesen. So liefen sie eilig zur Pause aus dem Klassenzimmer und hinunter in den Schulhof. Nur Benni konnte nicht mitlaufen. Ihn hielt die Lehrerin zurück und beauftragte ihn, zum Hausmeister zu gehen, damit er die Glühbirne noch möglichst bis zur nächsten Stunde auswechseln konnte.
So musste er an seinen fröhlich lärmenden Freunden vorbeilaufen, hin zu der Wohnung des Hausmeisters im Souterrain des Schulhauses. Er sprang die wenigen Stufen hinunter und klingelte. Die Tür öffnete sich und … Benni wich zurück. Vor ihm stand der Hausmeister in seinem grauen Kittel, doch mit eisgrauen Augen blickte er ihn an. Sofort war bei ihm alles wieder da, das ganze Grauen der letzten Nacht. Unbewusst machte er noch einen Schritt zurück und brachte keinen Ton heraus.
„Was ist?“, fragte der Hausmeister unwirsch.
Da erst fand Benni zurück, brachte seinen Auftrag vor und wollte sofort weglaufen.
Doch „Halt!“, rief der Hausmeister und ließ ihn nicht gehen.
Benni musste mit ihm in das Klassenzimmer zurückkehren und die Leiter halten, während er oben die Deckenlampe aufschraubte. „Da sind ja noch drei alte Glühbirnen drin, die es jetzt nicht mehr gibt“, stellte er fest und erklärte: „Ich wechsele sie gleich gegen drei neue Halogenbirnen aus, die leuchten heller.“ Danach schraubte er die Glasglocke wieder darüber und forderte ihn auf: „So, nun geh und schalte die Lampe an, Du wirst sehen, um wie viel heller es ist.“
Während der Hausmeister abwartend auf der Leiter stehen blieb, ging Benni zur Klassentür und legte dort den Schalter um. Die neuen Birnen leuchteten auf. „Na, bitte!“, stellte der Hausmeister zufrieden fest und blickte zu ihm hinunter.
Benni aber stand wie vom Blitz getroffen, starrte hinauf und sah eine von grellem Licht umflutete Gestalt, die mit eisgrauen Augen auf ihn herabsah. Nur einen Moment dauerte es. dann riss er die Tür auf, rannte schreiend hinaus und die Treppe hinunter. Erst bevor er den Schulhof betrat, kam er wieder zu sich.
Und oben stieg der Haumeister von der Leiter herab und fragte ratlos in den Raum: „Was ist denn, Junge? Was ist denn los?“

Letzte Aktualisierung: 26.01.2014 - 18.50 Uhr
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