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Kaltes Licht | Januar 2014

Clean up
von Klaus Freise

New Metro City. Achtzehn Millionen Menschen. Ein Moloch, der unter ständig wolkenverhangenem Himmel versuchte ein- und auszuatmen. Geld war der Sauerstoff. Macht die Moleküle. Erfolg die Atome. Wer etwas von alle dem für sich erbeuten konnte, investierte es in neue Organe oder Implantate.
Im Jahr 2034 kaufte sich der Multimilliardär Dr. McLean in den Senat der Stadt ein und versprach, mit seiner „Metro City Clean Corp.“ dem Müll und Dreck der Stadt den Kampf anzusagen.
„Helfen Sie mit, New Metro City in neuem Licht erstrahlen zulassen. Leisten Sie ihren Beitrag. Für Sauberkeit und Ordnung. Bewerben Sie sich jetzt.
Die Metro City Clean Corp.”

Ja, ich bewarb mich. Die Ausbildung bei Dr. McLean`s – Saubere-Welt-Verein wurde sogar als Ersatz für den Militärdienst angerechnet. Erst später erfuhr ich warum.
Alle meine Freunde hatten sich bei den großen Tech-Konzernen beworben. Die sich aber lieber mit Titeln wie „Familie“ oder „Gemeinschaft“ in ihren Werbebotschaften präsentierten.
Ich wartete noch auf die Ergebnisse meiner Collegeprüfungen, als Dr. McLean persönlich auf meinem Video-Pad erschien und fragte, ob ich seiner großen Familie beitreten wollte. Mann, ich war völlig baff. Er wollte mit mir noch einen kurzen Fragebogen durchgehen, wegen des Persönlichkeitsprofils.
Es war ein einfacher Ankreuztest, mit so dämlichen Fragen, wie: Ob ich Blumen und Tiere liebte oder ob ältere Menschen unserer Gesellschaft noch von Nutzen sein konnten. Natürlich kreuzte ich immer „Nein“ an. Auf der rechten Bildschirmseite konnte ich sehen, welche Auswirkungen meine Antworten auf meine zukünftige Karriere hatten. Außerdem half mir Dr. McLean, wo er konnte. Er sah natürlich nicht aus wie ein vierundsechzigjähriger, eher wie Mitte zwanzig, und lächelte mir aufmunternd zu. Schließlich musste ich noch circa fünfundzwanzig Unterschriften leisten. Auch eine seltsame Erklärung war dabei, meine Eltern nicht über diesen Vertrag zu informieren. Daddy arbeitete als Berater beim Thyrell-Konzern und Mum war vermutlich gerade wieder dabei, sich bei „Round-Up“ auf Anfang Zwanzig zu brezeln. Was soll`s, die Alten waren versorgt.
Dann gab Dr. McLean mir die Hand. Also, virtuell natürlich.

Er beglückwünschte mich und ich durfte ihn jetzt duzen.
Ich meine, echt Hammer! Ich durfte den Chef von zweiundachtzigtausend Mitarbeitern duzen! Wahnsinn. Das war aber noch nicht alles. Martin, also Dr. Martin McLean, nannte mir dann auch noch meine Prüfungsergebnisse. Eine glatte Eins, ohne was hinterm Komma. Uno, fertig. War für ihn wahrscheinlich ein Klacks, an die Ergebnisse zu kommen. Ich saß dann noch eine Weile fassungslos vor meinem Video-Pad. Voll cool. Schade, dass mein Lehrer meinen Aufstieg nicht mehr mitbekam, aber warum musste er auch so einen dämlichen Vortrag ins Netz stellen. „Die Entmenschlichung unserer Gesellschaft“ Seitdem war er plötzlich verschwunden, aber er war eh schon über vierzig.
Ich war jetzt Teil der Gemeinschaft. Alle duzten sich und jeder half dem Anderen. Ich bekam Credits ohne Ende und laut Vertrag für die nächsten fünfundzwanzig Jahre immer die neusten Implantate. Außerdem konnte ich eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Blue-Light-Plaza beziehen, bekam einen Firmengleiter, und während die anderen sich auf ihren gummibereiften Kasperwagen durch den Stau quälten, konnte ich mit der neusten Trafficsoftware staufrei über sie hinwegzischen.
Jeder fing erst mal als Cleaner an und musste ein halbes Jahr bei den Blauen mitfahren. Die Blauen waren sowieso die Coolsten, kein Vergleich mehr zur alten Stadtreinigung mit ihren Stinkschüsseln. Ich bekam sogar die graublaue Body-Protect-Uniform und eine komplette Sicherheitsausbildung, schließlich wurden unsere Jungs auch zur Unterstützung der Metro-Police angefordert. Falls mal wieder ein paar Untengebliebene eine Demo in der Innenstadt veranstalteten. Dann bekam unser Truck vorne ein Räumschild und eine Schallkanone angebaut. Ich fuhr mit Simon. Man steckte immer einen Neuen mit einem alten Hasen zusammen. Wir warfen die Müllsäcke hinten rein. Sobald die Luke wieder zu war, knisterte es im Inneren und ein blaues Licht schimmerte unten an den Kotflügeln kurz auf. Der Müll war verschwunden, wie von Zauberhand. Simon zeigte mir, wie man mit dem Zipper Zigarettenkippen und Kaugummireste vom Bürgersteig vor den Edelschuppen wegschmolz. Aus dem Stab kam vorne ein kalter, blauer Lichtbogen. Simon sagte dann immer: „Und das Tolle ist, es stinkt nicht mal.“ Tatsächlich gab es keine Flamme oder Rauch. Der Plasmabogen entfernte alles. Immer wenn wir irgendwo anhielten und ausstiegen, machten die Leute sofort einen großen Bogen um uns. Nachdem wir von einem Versicherungsgebäude ein Graffiti entfernt hatten, machte ich Simon darauf aufmerksam, dass die Stelle jetzt viel heller aussah. Er meinte: „Das bringt immer prima Folgeaufträge, schließlich lassen die Leute dann immer die ganze Fassadenfront reinigen, naja und es stinkt nicht mal.“
Wir fuhren gerade durch eine Fußgängerzone, als Simon plötzlich stoppte und wütend schnaufte: „Das gibt’s ja wohl nicht! Jetzt schau dir das an, ausgerechnet mitten im Weihnachtsgeschäft. Direkt vorm Schaufenster. So ein Stinker.“ Ich konnte durch das Menschengedränge nicht erkennen, was er meinte. Erst als wir ausstiegen und die Menge sich schlagartig teilte, sah ich den alten Mann. Er saß auf einer Decke in einem verfilzten Mantel und seine grauen Haare standen ihm wirr vom Kopf. Er sah aus, als wäre er hundert Jahre alt. Sein Gesicht, die Hände, einfach alles war verdreckt. Vor ihm stand ein altmodischer Einkaufskorb, in dem weggeworfene Essensreste lagen.
Simon stemmte die Hände in die Hüfte und lachte. „Na davon sollten wir erst mal ein Bild machen. So was habe ich ja lange nicht mehr gesehen, aber manchmal in der Weihnachtszeit kommt schon einer von denen auf verrückte Ideen.“
Ich stand stocksteif da, mein Magen fing an sich zu verknoten. Als Simon sich zu mir umdrehte, verging ihm das Lachen. Er flüsterte:
„Okay Junge, setz dich schon in den Wagen, na los.“ Irgendetwas in seiner Art trieb mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich blieb an der Beifahrertür stehen. Simon beugte sich zu dem Alten runter.
„Na Stinker, du hast doch bestimmt keine ID-Card oder? Na dann komm mal schön mit, Alter.“ Er zog seine Handschuhe zurecht und wollte nach einem der dürren Arme greifen, als der Alte losschrie:
„Ihr seid die Stinker, ich hab die scheiß Karte verloren, lass los.“ Ich trat ein paar Schritte auf die beiden zu, da drehte sich Simon um und rief mir zu:
„Steig in den verdammten Wagen, hab ich gesagt. Mach die Luke hinten auf.“ Er wollte ihn tatsächlich mitnehmen. In meinem Mund sammelte sich gallige Flüssigkeit. Keiner der vorbeieilenden Passanten sah in unsere Richtung. Ja, es war ein Test. Der letzte, bevor...was? In ein paar Wochen werde ich das alles vergessen haben und Karriere machen. Niemand wird je danach fragen. Niemand?
Hatte mein Lehrer damals danach gefragt? Simons Lieblingssatz schoss mir durch den Kopf: „Und es stinkt nicht mal.“


Klaus Freise Version 2

Letzte Aktualisierung: 26.01.2014 - 10.44 Uhr
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