Verschlafen | Februar 2014
| Vergessener Hochzeitstag | von Klaus Eylmann
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Hamburger Schmuddelwetter am Abend. Regen prasselte auf die Fensterscheiben. Schneider räkelte sich auf seinem Sitz, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blinzelte über die Tischlampe hinweg zu Udo.
“Bei so einem Wetter gibt es nur eines: Kopf runter und arbeiten.”
“Tu ich ja, tu ich ja.” Udo Schmitz haute in die Tasten. “Ich versuche mich an einer Story für Schreib-Lust.” Udos Blick löste sich vom Bildschirm. “Wenn es nichts zu tun gibt, kommt es mir vor, als würde die Zeit stehen bleiben, und ich sei der einzige auf der Welt, der trotzdem was macht.“
Aus dem Gebäude war kein Laut zu vernehmen.
„Fahren die Autos noch?” Unwillkürlich spähte Schneider aus dem Fenster. Er sah Scheinwerfer von Autos, die wie Käfer auf der Straße zu kriechen schienen. Schneider und Udo saßen zwanzig Stockwerke höher im Polizeipräsidium und kein Mord kam des Weges.
“Wenn nichts passiert, komme ich auf dumme Gedanken”, brummte Udo. “Wieso mordet denn niemand? Was denken sich die Leute eigentlich?”
“Wie auch immer”, Udo lehnte sich zurück. “Du wirst sicher früher nach Haus gehen, wo du doch Hochzeitstag hast.”
“Wa...? Hochzeitstag? Verdammter Mist. Hab ich doch glatt vergessen.” Schneiders Gesicht rötete sich. Er sprang vom Stuhl hoch und schlüpfte in seinen Mantel.
“Ich sause mal zum Blumenladen.”
Schneider stand wie ein begossener Pudel im Regen, zückte sein Handy und rief Udo an. “Heinrich hier. Ich komme nicht mehr zurück. Der Händler an der Ecke hat schon zu. Werde mir die Blumen im Hauptbahnhof besorgen.” Er setzte sich in sein Auto und fuhr los.
Er raste durch die Bahnhofshalle. Eine Frau rempelte ihn an. “Das ist doch...”, entfuhr es ihm. “Die Monika.” Die Frau trat zurück und lächelte.
“Wow!”, rief Schneider. “Du siehst ja aus wie damals! Ich hätte nicht gedacht, dass du es bist!”
Die Frau war jung, blond, gut gekleidet und wirkte nervös. “Ruf mich mal an, ich gebe dir meine Karte.” Sie kramte in ihrer Handtasche. Eine Pistole fiel heraus und knallte auf die Fliesen. Ein Schuss löste sich, traf einen Mann mit Hut und Spazierstock, der auf den Boden fiel.
“Oh”, rief Monika. “Das wollte ich nicht. War doch für meinen Ex!” Schneider rief Kollegen von der Einsatzpolizei sowie eine Ambulanz. Eine Menschentraube hatte sich um den alten Mann gebildet. Bahnpolizei löste die Menge auf. Sanitäter eilten mit einer Trage herbei und mit Mann und Trage wieder davon. Schneider und Monika wurden zur nächsten Wache gefahren. Dort wies sich Schneider aus und gab den Hergang zu Protokoll. Dann verabschiedete er sich hastig von Monika.
“Ich muss zurück zum Hauptbahnhof und Blumen für meinen Hochzeitstag besorgen.” Er wandte sich zum Gehen.
„Heinrich!“, rief Monika und streckte ihm eine Visitenkarte entgegen.
„Glück gehabt!“, rief Schneider, als er am nächsten Morgen ins Büro kam. „Noch Blumen bekommen. Ich habe Emma dann in Daniel Wischers Fischbratküche eingeladen. Sie war ganz aus dem Häuschen.“
„So eine Frau brauche ich auch“, meinte Udo. „Die bei Scholle mit Kartoffelsalat in Ekstase gerät.“
Schneider setzte sich an seinen Schreibtisch und holte das Schreibzeug aus der Schublade.
„In der Bahnhofshalle habe ich eine ehemalige Klassenkameradin getroffen.“ Er zog die Karte hervor. „Monika Schwarzmann. Sie sah genau so aus wie vor 30 Jahren. Hatte sich überhaupt nicht verändert. Deshalb habe ich sie nicht gleich erkannt.“
„Was?“ Udo rollte mit den Augen. „Sie sah genau so aus wie vor 30 Jahren und du hast sie nicht erkannt?“
„Alterszuschlag, Mann“, reagierte Schneider ungehalten. „Sie hätte doch anders aussehen müssen.“ Schneider hielt inne. „Irgendwas war da noch. Stimmt. Sie wollte ihren Ex erschießen.“
Schneider richtete sich auf. „Udo, da müssen wir aufpassen.“ Er erzählte Udo von der Pistole, aus der sich ein Schuss gelöst hatte und zog das Telefon zu sich heran. Schneider ließ sich mit der Polizeiwache am Hauptbahnhof verbinden. Nach einer Weile legte er auf.
„Die Waffe war registriert“, meinte er. „Und der Mann war nur hingefallen, weil die Kugel seinen Spazierstock getroffen hat. Monika wurde nach Hause geschickt.“
Udo machte sich an der Tastatur zu schaffen. „Hier ein Wikipedia-Eintrag. Monika Schwarzmann, Chemikerin, geboren 5.10.1966. Verheiratet mit einem Boris Schwarzmann“.
Udo sah zu Schneider herüber. „Und hier ist ein Bild von ihr. Darauf sieht sie eher aus wie fünfzig.“
Schneider ging um die Schreibtische herum, sah auf Udos Bildschirm und kratzte sich am Kopf.
„Unmöglich. Die Frau in der Bahnhofshalle sah aus wie 20. Das muss dann die Tochter sein.“
Schneider ging an seinen Platz zurück, sah auf die Karte und langte nach dem Telefon. „Udo, wir sollten sie mal besuchen.“
Monika Schwarzmann trug Jeans und einen Pullover im Schlabberlook. Darin sah sie noch jünger aus. Schneider und Udo saßen mit ihr in einem gemütlich wirkenden Wohnzimmer und tranken Tee.
„Fehlt nur noch Captain Picard. Der trank auch immer Earl Grey“, meinte Udo. Schneider rollte mit den Augen. Er zog den Ausdruck des Wikipedia-Eintrags aus seiner Tasche und schob ihn zu Frau Schwarzmann hinüber.
„Monika. Auf dem Foto siehst du älter aus. Wie hast du es hinbekommen, dich zu verjüngen?“
„Mein Geheimrezept.“ Monika sah die beiden Männer an. „Ich sage nur so viel:
Hormone.“ Die Frau fuhr sich mit den Händen durch das Haar. „Heinrich, du bist Polizist. Das wusste ich. Das Rezept ist in falsche Hände geraten. Mein Ex hat sich eine Kopie verschafft und eine Firma gegründet, die mit Badezusätzen handelt.“
„Und der Verdacht liegt nahe, dass er seine Bade-Öle mit deiner Mixtur anreichern will?“, fragte Schneider.
„Badedas, der Jungendspaß“, ulkte Udo.
Monika nickte. „Ich habe die Hormonzusammenstellung an Mäusen getestet, sie ihnen injiziert. Und erst danach an mir ausprobiert. Badezusätze ungetestet mit diesen Hormonen zu vertreiben ist verantwortungslos. Deswegen war ich so wütend und mit der Pistole in der Handtasche losgezogen.“
Udo erhob sich. „Die Mäuse, wo sind die?“
„In meinem Labor nebenan.“ Monika zeigte auf eine Tür. Udo öffnete sie, schaltete das Licht an und rief: „Uh, oh“!
„Was ist?“, fragte Schneider und sprang vom Sitz. Er ging zu Udo ins Labor. Sie sahen einen Käfig aus Plexiglas mit verschrumpelten Mäusekadavern.
„Monika!“, rief Schneider. „Irgendetwas stimmt wohl mit der Rezeptur noch nicht.“ Sie hörten ein Röcheln. Schneider und Udo liefen ins Wohnzimmer zurück. Monika lag zusammengefallen in ihrem Sessel. Spasmen durchliefen ihren Körper. Falten bildeten sich wie im Zeitraffer auf Gesicht und Armen. Sie riss ihre Augen weit auf. Dann bewegte sie sich nicht mehr.
Die beiden Polizisten starrten düster auf die Frau.
„Plötzlich und unerwartet…“. Schneider ließ die Worte im Raum stehen und griff zum Telefon.
„Ich rufe einen Krankenwagen.“ Er telefonierte und blieb für eine Weile stumm. Dann erhellte sich sein Gesicht und er schlug Udo auf die Schulter. „Badezusätze, wie? Da sag mir jemand noch mal, wir hätten nichts zu tun.“
Version 3
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Letzte Aktualisierung: 18.02.2014 - 07.12 Uhr Dieser Text enthlt 7250 Zeichen. www.schreib-lust.de |