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Verschlafen | Februar 2014

Gegen den Strom
von Helga Rougui

Das ist schlimm, daß sie alt ist und immer noch weiß, wie das ist, in einen jungen Mann verliebt zu sein.

Er, jung, weich, bärtig, staunend, weil noch alles vor sich, leicht angestrengt von der zahlreich versammelten Großfamilie, die Opas Neunzigsten beim kinderfreundlichen Italiener feiert.
Diesen Freitag abend kein Clubbing für ihn, kein Dance Floor.
Aber da ist er sowieso nicht der Typ dafür, da ist sie sich sicher.
Dafür sieht er zu sensibel, zu müde, zu verhalten aus.

***

Beschäftigen wir uns mit dem Zustand der Ruinen, die das Schlachtfeld darstellen mögen.
Desaströs.
Aber es gibt die Camouflage.
Mit jeder Aktion verlieren sich Jahrzehnte.
Operation, Implantate, Botox, Designerklamotten, High Heels, Extensions hüftlang.
Aber vor allem die High Heels.
Wer darauf laufen kann, beweist, daß er Fesseln hat wie eine 18jährige, bzw. braucht niemals jemandem nichts je wieder zu beweisen.
Das Alter mit seinen orthopädisch korrekt mit medizinischen Einlagen versehenen geschnürten Bequemschuhen scheint da noch fern.
Zalando, schreit die deinhardbesoffene overaged Lady ausgelassen vor Freude, den kieksenden Ton der jungen Frauen getroffen zu haben und auf den 20 Zentimenter hohen Absätzen nicht umzukippen.

***

Anstatt also am nächsten Abend vor dem Fernseher zu sitzen und den schon dreimal wiederholten Disneyfilm auf Sat1 zu gucken, hat sie sich die Disco, wie sie das noch nennt, verschrieben.
Diana muß dort jagen, wo die Beute sich herumtreibt. Der Prinz, und vor allem der blutjunge, klingelt nicht freiwillig an der Haustür einer alten Kuh.
Dabei denkt sie lediglich zurück an die verhangenen Augen des jungen Mannes, den sie nur ein paar Sekunden lang gesehen hat. Der, um seiner lärmenden Sippe zu entfliehen, so tat, als hätte er das Rauchen wieder angefangen, nur um einen Moment, einen winzig kleinen, an die frische Luft zu kommen, allein. Der beim Hinausgehen ihr, die in ihre Einsamkeit eingesponnen vor dem letzten Schluck Wein am Nebentisch gesessen hatte, einen Blick zugeworfen hatte, vertraut und ohne Umwege.
Da war es einen Wimpernschlag so, als wäre sie nicht mehr durchsichtig. Als existierte sie unabhängig von der Zeit. Vor allem, weil sie den Moment des Alleinseinwollens besser verstehen konnte als alles Liebessehnen der Welt.

Diesen Blick, den wollte sie dauerhaft auf sich gerichtet wissen.

Was zeigt: Altsein macht nicht schlau.

Und dennoch. Nicht aufgeben. Kämpfen.
So müde ab und an.
Sich mit dem Alter abfinden ist eine Möglichkeit.
Es einfach ignorieren, eine andere.
So müde.
Mag sein, daß mit geschlossenen Augen durchs Leben stolpern zum Leben dazugehört.
Warum war ich nicht wach, als ich jung war.
Fünf Jahrzehnte verschlafen, nichts passiert. Erst jetzt weiß ich es.

Jetzt will ich nichts mehr aufschieben.
Aber da ist das Problem.

***

Friday. Clubbing.
Clubbing!!
Augenlider schillernd in fünf Schatten, High Heels pink, High Heels gold. High Heels cold, High Heels high, perfekte endlos schlanke Beine, Ausschnitt tief bis hin zur Sünde, Wolken von Parfum und Schweiß getränkt mit Wodka, Menschen einzeln eine Menge bildend, in Enge erstarrte Bewegung, Brillen Schwärze aussendend, der DJ hoch über allen ein Gott im nachtdunklen Raum und
ICH BIN
Im Rhythmus.
Im Magma der Bässe.
Der Körper weicht dem Hämmern aus, fast träge.
Irrende Laserblitze, schriller Spot, es erscheint
ER – der Zwilling jenes Traums, den ich träume.
Er weiß von nichts.
Er sieht nicht viel. (Ray Ban ...)
Er sieht meine Fassade.

***

Am nächsten Morgen.
Ich wache auf neben diesem Jungen.
Der Schutz der Nacht ist jetzt verloren.
Ich betrachte ihn.
Und mir dämmert - ich wäre für ihn die Plastikperle auf der Schnur seines Liebeslebens.
Aber – muß er es wissen?

Ich wache auf: er ist der falsche Mann, ich bin die falsche Frau.
Wenn er aufwacht, bin ich Vergangenheit.

Ich bin die anachronistische Frau.

Letzte Aktualisierung: 22.02.2014 - 17.38 Uhr
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