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Verschlafen | Februar 2014

Hinter dem Vorhang
von Jochen Ruscheweyh

Er lag unbekleidet auf dem Rücken, als er erwachte. Die Bettdecke neben ihm war zur Seite geschlagen. Eine einzelne Nachttischlampe erhellte das Zimmer.
Er versuchte, die Geräusche, die wie durch Watte an sein Ohr drangen, einzuordnen. Das gemächliche Plätschern eines Wasserhahns. Kein Strahl, der hart auf oder in das Waschbecken traf, eher schwach, ungleichmäßig, teilweise unterbrochen, nicht mit den konstanten Amplituden einer Sinuskurve vergleichbar. Dann das kräftige Rauschen einer Toilettenspülung.

Das Bett stand mit dem Kopfteil an der Wand, genau mittig zwischen zwei Türen, deren Abstand voneinander er auf gute sechs Meter schätzte.
Den Geräuschen nach zu urteilen vermutete er das Badezimmer hinter der linken Tür.
Er untersuchte die Bettseite neben sich, sie fühlte sich warm an, strich das Laken glatt und roch an dem Kopfkissen. Ein Duft, mit dem er nichts verband.
Dort wo die Oberfläche noch ein wenig eingedrückt war, fand er ein einzelnes Haar, blond, lang und weniger kräftig als eines von seinen.

Sein Blick wanderte über die Wände, die karg wirkten, gestrichen in einem undefinierbaren Graugrün-Ton, und ihn an ein Labor erinnerten.
An der dem Bett gegenüberliegenden Wandseite schien es ein Fenster zu geben. Zumindest deuteten die zugezogenen Vorhänge darauf hin.
Er überlegte, wie und wann er in dieses Zimmer gekommen war.
Eine Erinnerungsinsel, die zu schnell versank, um mehr als die gesichtslose Silhouette einer Frau zu retten und einen Namen: Ingrid.

Das Wasserrauschen hinter der linken Tür verebbte langsam und endete schließlich deutlich in einem letzten Gluckern des Abflusses.
Die Klinke senkte sich. Durch den Türspalt fiel gelblich-warmes Licht schräg in den Raum und bildete ein langschenkeliges Dreieck auf dem Boden.
Ein Schatten drängte sich in die geometrische Figur, brach ihre Umrisse und löste sie schließlich ganz auf, als ein Schalter umgelegt wurde.
Eine junge Frau, die ihre Haare frottierte, war in den Raum getreten und lächelte ihn an.
Sie sagte etwas in einer Sprache, die für ihn fremd und unverständlich klang.
Er lächelte zurück, ohne etwas zu erwidern, da er sich nicht erinnern konnte, diese, ihre Sprache zu sprechen.

Sie kam zu ihm und legte ihren Kopf auf seinen Bauch. Ohne näher darüber nachzudenken, streifte er ihr das Handtuch ab, das sie sich um den Kopf gebunden hatte, wickelte eine ihrer Locken um seinen Zeigefinger und begann, damit zu spielen.
Sie gab einen vertraut klingenden, weichen Laut von sich. Er schlussfolgerte, dass ihr gefiel, was er tat und daher machte er weiter.
Dann entdeckte er die Hautabschürfungen auf seinem rechten Handknöchel, von denen er nicht wusste, woher sie kamen und was oder wer sie ihm zugefügt hatte.
„Ich kann mich nicht an das hier erinnern“, sagte er, aber die Worte, die er sich sprechen hörte, klangen so fremd wie die der jungen Frau.
Was sie bedeuteten, wusste er nicht, aber sie blickte ihn an, lächelte noch einmal und legte die Hand an seine Wange.
„Wer bist du?“, flüsterte er, aber wieder gehorchten ihm die Worte nicht.
Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und sah ihm in die Augen. Ohne den Blick von ihm zu wenden, zog sie die Bettdecke über sie beide, und er hatte das Gefühl, dass die Dunkelheit alles andere selbstverständlich werden ließ.

Irgendwann später - Stunden oder war bereits ein ganzer Tag vergangen? - stand er auf, streifte sich fremde Kleidung über, die er wie selbstverständlich von einem Haken an der Wand nahm, neben dem eine Jesus-Figur am Kreuz hing, und zog die Vorhänge zur Seite.
Dahinter entdeckte er eine Art Erker, dessen Fenster bis auf eine kleine, ungefähr faustgroße Öffnung zugemauert waren. Gerade passend, um den Lauf des Gewehrs aufzunehmen, das sich auf einem Stativ davor befand.
Er blickte durch das Zielfernrohr hinaus in die unbekannte Welt, die dort vor ihm lag.
Flaggen wehten im Wind.
Die Parade verließ den Platz.
Dort, wo die Straße sich den Hügel hinaufschlängelte, sah er den Wagen; bereits außer Reichweite.
Er strich über seinen Handrücken. Die Schlägerei. Weil er sie hatte schützen wollen, die direkt vor seinem Tisch bedrängt worden war. Ihre Dankbarkeit. Der Gastwirt, der ihre Gläser wieder und wieder füllte. Ein metallischer Geschmack, der sich in seinem Mund ausgebreitet hatte und auch dann nicht verschwunden war, als sie sich später in einer Seitenstraße an ihn gedrückt und ihn geküsst, seine Weigerung nicht hingenommen, ihn gedrängt hatte ... das Abbruchhaus, von dem der Zirkel angenommen hatte, es würde keinen Verdacht erregen. Warum gerade ich, warum ein Physiker, warum kein Soldat?“- „Weil du am wenigsten verdächtig bist, Hermann. Er vertraut dir. Sei nur zur rechten Zeit vor Ort, um den Rest kümmern wir uns!“
Wie eine zu schnell laufende Aufnahme, deren Geschwindigkeit synchronisiert wird, veränderten sich die Worte, die seinen Mund verließen, wurden wieder zu den seinen, als er sagte: „Du hast es so arrangiert, Ingrid.“
Er hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete, hinter ihn trat und die Arme um seine Taille legte. „Du solltest jetzt heimgehen zu deiner Familie, Hermann.“
„Warum?“, fragte er. „Du hättest mich auch umbringen können und verschwinden lassen. Ihnen den Zirkel liefern.“
Sie hielt ihm die Zigarette an die Lippen. „Du lebst, weil er will, dass du ihm diese Waffe baust.“

Letzte Aktualisierung: 01.02.2014 - 18.22 Uhr
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