Verschlafen | Februar 2014
| Hachila | von Glädja Skriva
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I.
Bitte helfen Sie mir, weil ... ich bin eine Frau und Sie sind ein Mann und kein – Muttersöhnchen. Sind Sie doch nicht, oder? Ein Muttersöhnchen?
Ich meine, ich, als Frau, kenne mich darin aus, wie ich meine frisch polierten Krallen ausfahren muss, um das Gesicht meiner Konkurrentin zu zerkratzen; aber Sie sind ein Mann. Wenn Ihnen einer in die Quere kommt, machen Sie kurzen Prozess, halten ihm die Knarre an die Schläfe und – peng!
Natürlich nur in Ihren Träumen, wenn Sie nachts wieder schweißnass aufwachen, weil diesem jungen Schnösel in Ihrer Abteilung all das zufliegt, was Sie sich über zwanzig Jahre hart erarbeitet haben: die Weiber und der Leitungsposten.
Ich meine, ich, als Frau, hätte in diesem Fall die Gerüchteküche im Frauenklo zum Brodeln gebracht mit einem gewisperten: „Weißt du schon, dass der Knallmeier das Pöstchen nur erhalten hat, weil er die Tochter vom Chef, na, du weißt schon, gekn ... hat?“ Ein kleiner Flächenbrand eines Zickenkrieges wäre damit entfacht worden, aus dem er hätte lange, lange das Feldlazarett zur Genesung aufsuchen müssen – ganz ohne die Tochter des Chefs als ihn mildtätig pflegende Krankenschwester.
Aber wie reagiert man als Mann, wenn man selbst eine vertrocknete Bergziege als Sekretärin im Vorzimmer sitzen hat und die eigene, brillant ausgearbeitete Geschäftsidee vom Chef nur noch zum Hinternabputzen ihre Verwendung findet?
Ich meine, wechselt man als Mann in diesem Fall die Firma? Nur, wer stellt nach zwanzig Jahren noch Auslaufmodelle ein? Oder belegt man einen Qi Gong-Kurs, um alle Mordgedanken in stoischer Ruhe wie einen Fluss an sich vorbeiziehen zu lassen, während im Nebenzimmer die aufgemotzten Designerschuhe dieses jungen Kerls durch die Chefetage quietschen?
Wäre es nicht einfacher, einen Killer zu engagieren, der diese Sache fein säuberlich und politisch korrekt für einen aus der Weltgeschichte schafft? Vielleicht in Form eines kleinen Kletterunfalls oder Straßenbahnunglücks? Kotzbrocken sollten schließlich liquidiert werden, damit die Welt wieder in Ordnung kommt.
II
N`abend. Darf ich mich vorstellen? Ich bin die Nachfolgerin dieses Kotzbrockens oder, um es vornehmer auszudrücken, des karrieregeilen Schnösels vormaleinst in unserer Abteilung. Und, um es vorwegzuschicken: „Nein, ich trage nicht den breiten Schriftzug „GENDER“ über meiner Brust, auch wenn meine Titten im Hosenanzug businesslike versteckt werden und ich habe mein Pöstchen auch nicht über die Quotenregelung erhalten. Ich bin in die Firma quasi hineingestolpert. Wir hatten zuhause seit ich denken kann eine Schafzucht und was lag näher, als sich in dem Schafzuchtverband zu bewerben? Ich kannte den Geruch von Blut, wenn die Schafe lammten, genauso wie ihr feuchtes Fell, wenn ich hineingriff, konnte sie am Blöken unterscheiden; auch nachts, wenn in der Kälte ihr Atem in Wolken hochstieg.
Was anfangs notwendiges Übel im Verband war, interessierte mich immer mehr: Labor, Versuche, Aufzeichnungen, Forschung. In den letzten Monaten speziell zur „Kolostralmilch“ und ihre Wirkung in Bezug zur Immuntherapie. Wir, das heißt, unser Forschungsteam erzielte erste Ergebnisse, die in der Fachwelt Beachtung fanden. Wir wurden eingeladen zu Kongressen, bei denen wir Vorträge zu halten hatten: Mein Forschungsleiter und ich, der mich förderte, vor Kritik schützte und unterstützte, wo er konnte.
Wir wurden Freunde, aber immer auf beruflicher Basis. Er lud mich ein zum Neujahrsempfang, stellte vor, knüpfte Kontakte, erwähnte meine Qualitäten, nicht nur beim Abschlag im Golfclub, sondern auch beim Barbecue in seinem Wochenendhaus im Elsaß, in dem wir abends, bei einem Glas Wein, die Diskussion der neuesten Fachergebnisse fortführten. Ich, die einzige Frau zwischen Kollegen. Anerkannt und unterstützt von meinem Förderer und Gönner.
Kleine Missstimmungen kamen auf, wenn ich alleine zu einem Vortrag eingeladen wurde. Ich erhielt Themenvorgaben, deren Abweichung davon er nicht als Bereicherung, sondern als persönliche Beleidigung und Angriff verstand. Ich wusste viel – aber er wusste es besser ... als alle.
Bis er eines Tages einen Kollegen und mich einlud in sein Wochenendhaus ins Elsaß. Ungewöhnlicherweise kamen wir auf private Dinge zu sprechen; auch, dass er früher einer schlagenden Studentenverbindung angehört hatte. Ich weiß bis heute nicht, wie es dann dazu kam. Wir im Wald standen, die Pistolen in der Hand. Den Kollegen als Adjutanten in gemessener Entfernung. Rücken an Rücken. Und wir losschritten und zählten. Vielleicht war ich noch ein Kindskopf, der nach der ernsthaften Forschungsarbeit seinen Spaß haben wollte. Vielleicht wollte ich auch nur meinen hochverehrten Herrn Professor mit einem lauten Knall aus der Schreckschusspistole ein wenig hochfahren lassen. Auf jeden Fall zählten wir: „ 1 – 2 – 3 ...“
Bei „5“ hörte ich seinen unterdrückten Schrei und ein feines Blutgerinnsel arbeitete sich durch sein gestreiftes Hemd hindurch. Ich hatte nicht abgedrückt.
Aber er behauptete es. Verzichtete gönnerhaft auf eine eingeleitete Untersuchung. Wollte die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse nicht in die Nähe der Yellowpresse rücken. Makellos wie er war. Kollegen rückten ab. Zu Vorträgen wurde ich nicht mehr eingeladen. Meine persönliche Integrität in Zweifel gezogen. – Aber ich durfte noch bleiben. Im Verband.
In diesem Moment spürte ich, ich war kein Opfer mehr. Ich würde geduldig warten, bis meine Zeit kam, um mich zu rächen – und ihn dann eiskalt über die Klinge springen lassen. Kotzbrocken mussten liquidiert werden, damit die Welt wieder in Ordnung kam.
III
Ich schmiege mich an den Hals dieses Kotzbrockens, wenn auch nicht freiwillig und das bereits seit Generationen. Ich bin sein Siegelring, sein Talisman. Das Geschenk seines Urgroßvaters, baumelnd an einem stinkenden Lederband um seinen faltigen Hals gebunden. Ich soll ihn schützen, vor den Rachetiraden, besonders, wenn er schläft, so wie jetzt, und seinen Rücken schutzlos darbietet – seinen Feinden, die sich die Erfolgreichen stets schaffen.
Als er sich im Bett dreht und ich dabei über seinen Pyjama rutsche, entdecke ich die Beiden: Eine Frau, die meinem Schützling bereits seit längerer Zeit auf der Spur ist, und ihr Begleiter. Lautlos sind sie, mit verengten Augen und angespannten Gesichtszügen, die Frau hält ein Stiletto in der Hand. „Hallelujah“, denke ich, „hoffentlich sind meine magischen Kräfte nicht eingenickt, aber bisher war mein Personenschutz ja stets perfekt. Schließlich laufen immer noch ziemlich viele Kotzbrocken herum.“
Der Begleiter der Frau will in diesem Moment zum Sprung ansetzen. Mit Pratzen wie ein Neandertaler aus der Vorzeit, aber sie hält ihn zurück und formt ein lautloses „Nicht“ mit ihrem Mund. Ich atme erleichtert auf und tue das, was ich in den letzten Wochen immer tat, wenn mir nach Party als Abschluss eines anstrengenden Arbeitstages zumute war (und viele Möglichkeiten hat man dazu nicht, wenn man als Siegelring an einem Lederband auf einer alternden Männerbrust baumelt): Ich sauge den scharfen Ledergeruch ein, bis mir schwindlig wird und ich in Kamelhaare greife und zur nächsten Oase in bunten Farben zu sphärischer Musik schaukle, aus deren Horizont sich eine hochgewachsene Frau schält. Es glitzert.
Das Stiletto der Frau. Es schwebt direkt über dem Hals meines Schützlings. Weit oben. Um mit voller Wucht hineingerammt werden zu können. Jetzt. Ihre Augen sind hasserfüllt und gelangweilt zugleich, so, als ob sie sich bei einem Kaffeekränzchen leicht angeekelt nicht entscheiden könne, ob sie ein Stück Zucker nehmen wolle oder doch zwei. Ich nutze die Gunst der Sekunde und - bremse das Messer aus. Nur seine Spitze arbeitet sich noch fein unter die Haut des Schlafenden. Er stöhnt. Ein kleiner roter Fleck bildet sich knapp neben der Halsschlagader. Sein Atem stockt. Das Messer rutscht. In Richtung Gurgel, unter das Lederband, das sich strafft, als die Schneide sich daran lautlos reibt ...
Zwei Tage später sitze ich, sein Talisman mit Lederband, abgedunkelt, nein, nicht in Einzelhaft wegen mangelnder Bodyguardqualitäten, sondern in einem muffigen, gepolsterten Briefumschlag, adressiert an ein Wochenendhaus im Elsass mit folgendem Begleitbrief:
„Sehr geehrter Herr Professor Wedekind,
Sie erinnern sich an das Duell im Wald vor beinahe zehn Jahren? Ich vertraute Ihnen. Kehrte Ihnen schutzlos meinen Rücken zu.
Vergangenen Sonntag traf ich Sie ähnlich an. In Ihrem Schlafzimmer. Den Rücken mir zugewandt. Sie waren mir ausgeliefert, wie ich Ihnen damals ausgeliefert war.
Sie vermissen seit vergangenem Sonntag Ihren Talisman? Ein tiefroter Fleck ist an ihrem Hals zu sehen und zu spüren? Er schmerzt? Er kam nur mit dem Hauch meiner Messerspitze in Berührung, mit der ich Ihnen in diesem Moment hätte die Kehle durchschneiden können. Sie schliefen fest. Beinahe für immer. Wer wäre schon auf mich als Täterin gestossen, nach all den Jahren und den vielen Feinden, die Sie haben. Mein Begleiter wäre zu mir gestanden. Mit seinem, meinem Alibi.
Ich spürte den Knauf des Messers in der Hand. Die Kraft. Die Macht. Und dann zerschnitt ich - das Band. An manchen Tagen hasse ich sie noch immer, aber ich bin keine Marionette mehr, die am Faden ihres Peinigers geführt wird. Ich lebe wieder und werde nicht mehr von ihnen gelebt.
Zum Zeichen des Verzichtes meiner Rache sende ich Ihnen Ihren Siegelring zurück.
(In Anlehnung an die Geschichte in der Volxbibel, 1. Samuel 26: http://wiki.volxbibel.com/1.Samuel_26)
© P.S./Glädja Skriva/ Febr. 2014/ Endversion
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Letzte Aktualisierung: 14.02.2014 - 05.42 Uhr Dieser Text enthält 9641 Zeichen. www.schreib-lust.de |