Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
Afridiabetische Kräuter, oder so ähnlich von Anne Zeisig
“Und? Wie kommen Hanne und du zurecht? Jetzt, wo du deinen wohlverdienten Ruhestand hast?”, fragte Wilhelm seinen Kumpel Heinz und legte die Holzkohle zum Vorglühen auf den Grill.
Um diese Zeit war morgens in der Kleingartenanlage “Zum Abstich” noch nicht viel los. Nur die Ehemaligen von der Eisenhütte trafen sich bei trockenem Wetter gelegentlich zum Grillen, Klönen und Frühschoppen im Schrebergarten.
Heinz winkte ab. “Hab ‘n halbes Leben in der Hitze am Ofen geschuftet und nun hat mir der Arzt Alkohol und Fleisch verboten. Wegen meiner Gicht.”
“Da musste auf die Purine im Essen achten”, rief Kurt vom Gemüsebeet herüber und beäugte den Kopfsalat, welchen er gerade geerntet hatte. “Vom Kaninchenfutter kannste aber essen, so viel du willst.” Er stapfte an den Beeten entlang und wusch unter dem Kran den Salat.
Heinz winkte wieder ab, trank einen Schluck Wasser und schüttelte sich. “Ihr kennt mich doch. Um Grünzeug habe ich immer einen großen Bogen gemacht.”
Inzwischen hatte Kurt sich an den Tisch gesetzt und zupfte den Salat in eine Schüssel.
“Deine Hanne sieht man hier überhaupt nicht mehr. Gibt es einen Grund, warum sie so selten kommt?”
“Ich habe Heinz auch gerade gefragt, wie ‘s so mit dem Eheleben läuft im Ruhestand. “
Wilhelm und Kurt blickten Heinz erwartungsvoll an.
Der zuckte mit den Schultern. “Was soll schon sein. Man hockt sich plötzlich den ganzen Tag auf der Pelle und merkt, dass man sich nicht viel zu sagen hat.” Er blinzelte in die tiefstehende Morgensonne. “Aber neuerdings geht Hanne wenigstens zweimal in der Woche zu diesem Breitensportprogramm, wo man die Breite des eigenen Körpers schmälern kann.”
Die Männer lachten.
Heinz ergänzte: “Man kann schließlich nicht vierundzwanzig Stunden aufeinanderhocken.”
Wilhelm legte die Steaks auf. “Das waren noch Zeiten, wo wir Grünschnäbel nach der Schicht bei ‘Trudis Revier’ unser wohlverdientes Bier getrunken haben.”
“Und dann erst am Samstag!”, schwärmte Kurt. “Schwofen und Knutschen bei ‘Akkordeon Anton’ in der Scheune.” Er schaute suchend über die Beete. “Sach mal, Heinz, hast du mediterrane Kräuter angepflanzt?”
Der wischte über seine Bartstoppeln. “Wenn du Petersilie und Schnittlauch meinst, hinten links, neben dem Komposthaufen.”
“Oregano oder Basilikum haste nicht?”
Willhelm, auch Willi genannt, wendete die Steaks. “Müssen das denn Kräuter aus dem Mittelmeerraum sein? Früher ging ‘s doch auch ohne.”
“Früher ging Vieles ohne!”, rief Kurt und schnitt Petersilie ab, “Aber wenn man älter wird, lässt so manches nach und dann muss man eben nachhelfen!”
Willis Bauch bebte beim Lachen. “Da könntest du recht haben. Bevor sich die eigene Gattin womöglich noch in den Breitensport-Trainer verguckt, da ist Kräuter essen angesagt.”
“Wie meint du das genau?”, fragte Heinz, goss den Rest aus dem Wasserglas in die Rosen und öffnete eine Flasche Bier.
“Zum Beispiel ist dem Katlowski seine Frau mit ‘m Jüngeren durchgebrannt.”
“Meine Hanne macht sowas nicht.” Er wischte mit der Hand über den Tisch.
“Mensch, Heinz, das war doch nicht ernst gemeint.”
“Mediterrane Kräuter wirken wie ein Afrikadiatikum!” Nun schnitt Kurt auch noch Dill ab und säuselte, “der Glaube soll ja bekanntlich Berge versetzen.”
“Was hast du gesagt?”, fragten beide im Chor.
Kurt kam nun mit seiner Ausbeute wieder zum Tisch. “Heute werden die Steaks nicht mit Ketchup gegessen, heute werde ich uns eine Soße zaubern, die es in sich hat. Ich hole die Induktionsplatte aus der Laube und du trägst die Pfanne.”
Heinz nickte.
Willi schüttelte den Kopf und wendete die Steaks abermals. “Ich ess’ so eine ausländische Sosse nur, wenn sie scharf ist!” Er hörte, wie es in der Laube schepperte, und kurz darauf kamen die Kollegen mit allerlei Küchenutensilien zum Vorschein und breiteten sie auf dem Tisch aus.
Kurt klopfte Willi auf den Rücken. “Die Soße ist nicht nur scharf, die macht auch scharf.”
Er stöpselte den Stecker für die Kochplatte in die Außensteckdose.
Heinz bekam den Mund nicht mehr zu. Er stellte seine Ohren auf. “Scharf im Bett?”
Kurt nickte und bearbeitete die Kräuter mit dem Wiegemesser. “Das ist für die ätherischen Öle besser, als wenn du sie schneidest.”
Heinz schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. “Siehste! Hanne schneidet sie immer. Kein Wunder, dass sich da nichts mehr bei mir regt, äh, ja.” Nun hielt er sich die flache Hand vor den Mund. Zu spät, es war ihm nun herausgerutscht.
“Was raus muss, muss raus, Heinz, aber ich stehe eher auf Fleisch. Saftiges Muskelfleisch vom Jungbullen!” Willis dröhnendes Lachen ließ die Pappeln erzittern. “Bis jetzt konnte sich mein Mädchen jedenfalls nicht beklagen.”
“Angeber”, zischte Heinz und nahm einen großzügigen Schluck aus seiner Bierflasche. “Ich habe doch gesagt, dass ich kein Fleisch mehr essen darf.”
Kurt goss Öl in die Pfanne. “Olivenöl wäre zwar besser, aber auf jeden Fall ist Pflanzenfett gesünder als tierisches, weil das die Venen verklebt. Sie werden immer enger und lassen nicht mehr genug Blut durch.” Er tippte Heinz auf die Brust. “Und wenn dein Schniedel nicht mehr genügend durchblutet wird, was passiert dann?”
Heinz zuckte mit den Schultern.
“Dann passiert nichts mehr! Da regt sich nichts.”
“ Aha. Und das hilft?”, argwöhnte Heinz.
“Wichtig ist, dass das Öl nicht zu stark erhitzt wird, nicht höher wie hundertsechzig Grad, sonst werden krebserregende Stoffe freigesetzt.” Er rührte die Kräuter ins Fett hinein.
“Einhundertsechzig Grad? Mensch, Jungs! Da haben wir aber früher am Hochofen ganz andere Temperaturen ausgehalten!” Willi gönnte sich am Grill auch einen Schluck Bier.
* * *
“Und nun noch meine leckere afrodiagonale Soße über die Steaks.”
Heinz zierte sich, ließ sich aber überreden.
Just in dem Moment kam Hanne um die Laubenecke.
“Heinz! Weder Fleisch noch Bier hat der Doktor gesagt!”
Dem Ertappten fiel vor Schreck die Gabel aus der Hand.
Willi und Kurt beschwichtigen sie, es sei eine Ausnahme, weil Kurts Tunke heute was Besonderes sei.
“So? Lass mal probieren.” Sie zog den Teller ihres Mannes zu sich heran und begann zu essen.
“Das ist nur was für Männer!” Heinz stand abrupt auf, stieß gegen den Tisch, Flaschen und Besteck fielen klirrend zu Boden. Er zog seiner Frau den Teller weg, lief in den hinteren Teil des Gartens, schmiss das Essen samt Teller auf den Kompost, warf sich auf die Knie ins Kräuterbeet, riss wahllos Kräuter heraus und stopfte sie sich in den Mund.
“Bist du verrückt geworden?” Hanne lief zu ihm. “Benimmst dich ja wie ‘n Karnickel.”
Die Kollegen eilten auch zum Beet. “Mensch, Junge, was soll das?”
Willi zog ihn hoch. “Was ist in dich gefahren?”
Heinz riss sich aus der Umklammerung seines Kollegen, ging mit erhobenen Zeigefinger auf seine Frau los und schrie mampfend: “Dass ich im Bett besser bin als dieser breite Sporttrainer, werde ich dir beweisen!” Und lief zur Gartenpforte hinaus.
Hanne blickte in vier männliche Augenpaare, die immer so schauen wie sie gucken, wenn sie was ausgefressen haben.
“Und?”, fragte sie mit einem gewissen Wimpernaufschlag.
“Was?”
“Was und?”
“Warum stopft Heinz Kräuter in sich hinein? Und wie kommt er auf die Idee, ich steige mit meinem Trainer ins Bett, wo ich doch einen weiblichen Trainer habe?”
“Du hast eine Trainerin?”, fragten Beide gleichzeitig.
Sie nickte. “Habt ihr Heinz etwa einen Floh ins Ohr gesetzt?”
“Nö, es ist nur so, Kurts Soße ist ausschließlich was für echte Männer, oder solche, die es werden wollen”, erklärte Willi.
“Quatsch! Willi! Was erzählst du denn da. Das war eine scharfe Soße. Nichts für Frauen. Nicht dein Geschmack.”
Willi nickte eifrig zustimmend und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. “Die Schärfe Afrikas ist da drin wegen der Kräuter.”
Kurt trat ihn auf den Fuß. “Lass gut sein. Ist nur Petersilie, Dill und Schnittlauch drin. Für Heinz war sie aber zu scharf wegen dem Pfeffer, sind auch zu viele Purine drin, deshalb hat er das Essen weggeschüttet.”
Willi nickte nun eifrig zustimmend. “So war ‘s.”
Sie stupfte ihren kleinen Finger in die Pfanne, schleckte ihn ab und verzog das Gesicht. “Ist wirklich überwürzt.”
Gerade wollte sie die Mannsbilder zum Abräumen und Abspülen verdonnern, da klingelte ihr Handy. Es war Heinz.
“Komm sofort nach Hause”, flüsterte er, “der Sekt steht schon neben dem Bett. Und in Zukunft wirst du Kräuter nie mehr schneiden, sondern wiegen, dann wirken sie Afrikadiabetisch.”
Ihr fiel das Handy aus der Hand.