Das alte Buch Mamsell
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Schmelzpunkt(e) | März 2014
Schweinereien
von Karl-Otto Kaminski

Hinrich Schliepenkötter war ein Grübler. Das heißt, von Hause, bzw. vom Hofe aus, war er Landwirt. Hinrich machte seine anstrengende Arbeit gern. Er sah mit Freuden seine Saaten aufgehen, das Vieh gedeihen. Seine Frau Meta half ihm tatkräftig dabei. Beim Arbeiten, nicht beim Grübeln. Das erledigte er beim Ausmisten, wenn er auf dem Traktor saß und Furche um Furche den Acker umpflügte oder die Wiesen und das Korn mähte. Und seine Gedanken hatten häufig mit seinem Beruf zu tun.
Warum, dachte Hinrich eines Tages, während er im Stall die Tiere versorgte, warum muss ein Landwirt eigentlich mehrere Viehsorten halten und ernähren, die alle immer nur einen oder zwei Nutzen bringen? Schweine bieten nur Fleisch, Fett und sonst gar nichts. Von den Kühen bekommt man wenigstens noch Milch und damit Butter und Käse. Schafe liefern nur Wolle und die Hühner ihre täglichen Eier. Wie praktisch und rationell wäre es doch, wenn man nur eine Spezies füttern müsste, welche die Vorteile und Fähigkeiten des gesamten Viehbestands besäßen. Dieser Gedanke beschäftigte ihn immer wieder.
Als er seiner Frau einmal davon erzählte, tippte die sich nur an die Stirn. Meta war eine praktisch denkende Bäuerin. Sie hielt von Spinnereien rein gar nichts.
„Der Herrgott hat nun mal einen so riesigen Tiergarten“, bemerkte sie. „Da wird er sich schon was bei gedacht haben.“ Damit war das Thema für sie abgehakt.
Hinrich wollte Meta nicht erzürnen, denn er hatte sie sehr gern und war auf sie angewiesen, besonders nachdem die beiden Töchter in die Stadt geheiratet hatten. Also behielt er seine Ideen für sich und grübelte schweigend weiter.
Irgendwann begann er heimlich im Stall zu experimentieren. Warum sollte es nicht möglich sein, dachte er, Kuh und Schwein zu kreuzen? Dann könnte man die so entstandenen Schweine täglich melken, sie wären nicht ausschließlich Fleisch- und Specklieferanten. Das musste doch irgendwie machbar sein.
Da eine direkte Verpaarung der beiden Viecher anatomisch nicht gut möglich war, besamte der Bauer eine seiner Sauen nach Art der Veterinäre, also eigenhändig, mit dem Sperma eines Zuchtbullen. Hoffte auf diese Weise die Natur zu überlisten. Doch das funktionierte nicht. Also begann er den Samen des Bullen zu behandeln. Er probierte die Wirkung von Kälte, Wärme, Gewitter, Zugluft, starker Beleuchtung oder Dunkelheit. Auch die Zugabe von Wasser, Doppelkorn, Baldriantropfen und anderer Ingredienzien wurde ausgetestet. Leider ohne Erfolg. Selbst die Beimischung einer der kleinen blauen Pillen, die er eigentlich Meta zuliebe heimlich gekauft hatte, brachte nichts. Er musste das Problem anders angehen.
Was mochte wohl geschehen, wenn er den Samen seines besten Ebers mit dem des Zuchtbullen mischte?
„Nur Versuch macht klug“, murmelte er und machte sich an die Arbeit. Die erwies sich allerdings als sehr mühsam. Irgendwie mochten sich die ungleichen Sekrete nicht ohne weiteres vereinigen. Sie verhielten sich so unwillig wie Essig und Öl bei der Salatherstellung. Erst nach einer langen Versuchsreihe fand Hinrich heraus, dass es zum Emulgieren eine ganz bestimmte Temperatur brauchte. Erst wenn die auf zwei Stellen hinter dem Komma stimmte, verschmolzen die beiden Komponenten miteinander. Er war sehr gespannt auf das Ergebnis.
Und siehe da: Nach normaler Tragezeit warf eine seiner Sauen sechs Ferkel, die mit der Geschlechtsreife ein richtiges Euter bekamen und täglich Milch gaben. Natürlich nur die weiblichen. Die jungen Eberchen besaßen keine derartigen Fähigkeiten.
Meta sah diese seltsamen Tiere mit unverhohlenem Missfallen an.
„Wenn du nicht aufhörst, solches Viehzeug zu züchten, werde ich es dem Pastor sagen müssen. Das ist doch Gotteslästerung oder so was!“ Hinrich murmelte ärgerlich Unverständliches in seinen Dreitagebart. Wenn jemand vor der Zeit Wind bekäme von seinem Erfolg, sei es auch nur der Pfarrer, wäre es sicher aus mit der ruhigen Forschungsarbeit. Er dachte gar nicht daran aufzuhören und begann unverzüglich mit einer weiteren Versuchsreihe.
Darin verschmolz er den Samen des Ebers mit dem eines seiner Schafböcke. Damit besamte er eine der Milch gebenden Säue. So gelang ihm im Jahr darauf die zweite gentechnische Sensation: Die derart gezeugten Ferkel trugen ein dichtes, wolliges Fell, die weiblichen bekamen mit ihrer Geschlechtsreife ein Euter und gaben Milch. Irgendein genetischer Seitensprung förderte den Wuchs der Wolle derart, dass die Tiere sogar mehrmals im Jahr geschoren werden mussten.
Nun kannte Hinrichs Forscherdrang keine Grenzen. Gelegentlich vernachlässigte er darüber sogar seine täglichen Obliegenheiten auf Hof und Feldern. Meta hatte dadurch mehr zu tun. Sie war natürlich sauer und beschwor ihren Mann immer wieder, sich nicht zu versündigen.
„Mann, du darfst dem Allmächtigen nicht ungestraft ins Handwerk pfuschen! Das bringt nur Unglück.“ Aber der Landwirt war wie im Rausch. Er, Hinrich Schliepenkötter, fühlte sich als Forscher, Wissenschaftler, Biologe. Er würde berühmt werden als Revolutionär auf dem Gebiet der Viehzucht. Seine Versuchsreihen und deren Ergebnisse hatte er in einer dicken Kladde akribisch notiert, immer morgens, zwischen dem ersten Füttern und dem eigenen Frühstück. Und er hielt sie gut versteckt. Erst wenn jetzt auch noch der nächste Coup gelang, wollte er das Ergebnis stolz dem Landwirtschaftsministerium, der Presse, ja, der ganzen staunenden Welt offenbaren.
Aber das neue Experiment endete leider ergebnislos. Schuld daran war Henning. Der wehrte sich schon vehement gegen das Gefangenwerden. Und wenn Hinrich ihn dann endlich doch gepackt hatte, weigerte sich der stattliche Hahn mit kräftigen Schnabelhieben eisern, sich als Samenspender missbrauchen zu lassen. Der Versuch, seinem Multifunktionsvieh jetzt auch noch die Fähigkeit anzuzüchten, Eier zu legen, misslang somit kläglich.
Das machte den Forscher sehr traurig. Doch noch tiefer traf es ihn, als sich herausstellte, dass die genetischen Fähigkeiten sich offenbar bestenfalls zweimal vererbten. Die dritte Generation geriet wieder völlig normal. Die wolligen, melkbaren Säue warfen, wie bei Schweinen üblich, wieder süße, rosige Ferkelchen, ohne Locken und Euter. Nur der Zuchteber schien sich über diese Entwicklung sehr zu freuen. Er biss Hinrich übermütig ins Bein.
„Da siehst du es!“, triumphierte Meta. „Das sind doch wohl Zeichen genug. Wurde Zeit, dass der Unfug ein Ende hat. Unser Herrgott lässt sich eben nicht ins Handwerk pfuschen. Und jetzt gehst du zum Pfarrer und beichtest ihm die ganze Geschichte!“ Hinrich murrte zwar, aber seine Frau blieb hart. Also ging er brav in den Beichtstuhl.
Zutiefst erschreckt ob der unerhörten Blasphemie, bekreuzigte sich der Geistliche und beschwor sein fortschrittswütiges Gemeindeglied, solcherlei Eingriffe in die göttliche Schöpfung ab sofort zu unterlassen, wenn ihm sein ewiges Seelenheil lieb sei.
„Ego te absolvo, wenn du mir versprichst, nie wieder derartige Schweinereien zu veranstalten.“ Hinrich Schliepenkötter versprach es, wenn auch widerwillig.
Als die beiden sich beim Abendspaziergang trafen, bummelten sie gemeinsam durch die Felder und genossen schweigend die Natur.
„Hinrich, Hinrich“, seufzte der Gottesmann irgendwann nachdenklich. „Wie konntest du nur auf solche abstrusen Gedanken kommen?“ Der Angesprochene kniff wortlos die Lippen zusammen.
„Andererseits“, überlegte der Gottesmann nach einer Weile laut, „andererseits wäre solch eine Eier legende Wollmilchsau wirklich recht praktisch.“

Letzte Aktualisierung: 18.03.2014 - 18.56 Uhr
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