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Schmelzpunkt(e) | März 2014

Kupfer und Zinn
von Helga Rougui

Seit sie denken und fĂŒhlen konnten, lebten die beiden Frauen zusammen in dieser WG, von der sie nicht wußten, wann und wozu sie entstanden war.
Am Anfang herrschte ein unschuldiges KrĂ€ftegleichgewicht – es war lange Zeit nicht entschieden, wer die Oberhand hatte.

Mal gab die Oblomova ein gemĂ€chliches Tempo vor und man machte es sich nett und verbrachte Puddingschnecken essend und fernsehguckend entspannte Tage in der Badewanne. Zu anderen Zeiten nahm Frau Stolz energisch das Heft in die Hand, schmiedete PlĂ€ne hinsichtlich vitaminreicher ErnĂ€hrung, Ausdauersport speziell und Gesundheit im allgemeinen - und begann damit, sie zu verwirklichen. Woraufhin die Oblomova sich fester in ihren Morgenmantel wickelte und in die Ecke ihres CanapĂ©s flĂŒchtete, wo sie kissengestĂŒtzt die plötzlich entstandenen atmosphĂ€rischen Verwirbelungen mit Donuts jeglicher Ausgarnierung zu befrieden suchte. Sehr oft benötigte sie eine sehr große Menge GebĂ€ck, um ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen.

Durch die Jahre artete das phasenweise schon immer angespannte VerhĂ€ltnis der beiden in regelrechte GrabenkĂ€mpfe aus. Frau Stolz gönnte der Oblomova zwar Entspannung und Spaß und auch die Schlagsahne auf dem Kuchen, verstand es aber, ihr diese Momente allein durch ihre hochgezogenen Augenbrauen zu vergĂ€llen. Die Oblomova andererseits unterstĂŒtzte mental und wohlwollend die Projekte und AktivitĂ€ten der Stolz, um sie in der nĂ€chsten Minute durch ihre fĂŒllige Bewegungslosigkeit hinterhĂ€ltig zu torpedieren.

Die Situation wurde unertrÀglich.

Waren zwar ihre Ansichten, Absichten und Aktionen ganz und gar kontrĂ€r, wurden sie sich doch eines Tages einig in der Überzeugung, daß Abhilfe nottat.
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Sie suchten also einen Zauberer auf, der berĂŒhmt dafĂŒr war, die Leute, die sich mit letzter Kraft zu ihm schleppten, wie einen Handschuh umzukrempeln.
Dieser Zauberer riet ihnen, die Sticheleien aufzugeben, die sie sich bisher homöopathisch dosiert verabreicht hatten. Die Frage der Vorherrschaft mĂŒsse entschieden werden durch einen ultimativen Akt nackter, blinder, brutaler Gewalt – ein Ringkampf mĂŒsse her, um die Angelegenheit ein fĂŒr allemal zu klĂ€ren.

Es wurde keine schöne Auseinandersetzung, da sie von beiden Seiten mit messerscharfer Handgreiflichkeit gefĂŒhrt wurde. Ebenfalls ungĂŒnstig war, daß sich die Parteien als gleich stark erwiesen. So kam es, daß nach drei Tagen heftigsten Gerangels beide Frauen zerzaust, hundemĂŒde und hungrig (letzteres ein GefĂŒhl, das die Oblomova zum ersten Mal in ihrem Leben mit Erstaunen zur Kenntnis nahm) mitten auf dem Orientteppich im Salon einschliefen, innigst ineinander verwoben sowie völlig erschöpft.

In dieser Nacht ging ein Komet hernieder vom Himmel.

Und am nÀchsten Morgen, als die Oblomova und Frau Stolz zur gleichen Zeit erwachten, waren sie weg.

Eine Frau lag aber da, noch namenlos. Sie reckte und dehnte sich schlaftrunken. Sie gĂ€hnte, blinzelte in den ersten morgendlichen Sonnenstrahl und sagte zu nichts und niemandem im Raum: "Das wird ein wunderschöner Tag. Ich fĂŒhle mich wie neugeboren."

Letzte Aktualisierung: 22.03.2014 - 17.45 Uhr
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