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Schmelzpunkt(e) | März 2014

Ping pong
von Monika Heil

Es ist kurz nach sieben, als Lauras Wecker klingelt. Verschlafen drückt sie die Ausschalttaste. „Mein Kopf, mein Kopf“, wimmert sie. Was hat Steffen da gestern nur für einen Fusel mitgebracht? Steffen! Sie tastet über das Kissen neben sich, fährt hoch, reißt die Augen auf – Steffen ist weg! Mit unterdrücktem Stöhnen lässt sie sich zurückfallen. Ihr Blick schweift umher und sie kann kaum fassen, was sie sieht. Ihre Wäsche und das schwarze T-Shirt sind – sorgfältig zusammengelegt - auf dem roten Ledersessel placiert, die Jeans über die Lehne gehängt. Ihre Pumps stehen brav nebeneinander. Was hat sie sich da gestern Abend für einen Pedanten aufgegabelt? Laura muss grinsen, wenn sie an das Tempo denkt, mit dem sie beide heute Nacht ihre Klamotten auf dem Weg vom Wohn- zum Schlafzimmer von sich geworfen hatten, weil der Zeiger ihrer beider Gefühlsskala kurz vor dem Siedepunkt stand.

Vorsichtig streckt sie ihre Füße aus dem Bett, bleibt einen Moment sitzen, bis sich ein kurzer Schwindel gelegt hat. Barfuß tappt sie ins Bad. Auch hier – kein Steffen, kein Hinweis, dass sie die letzte Nacht nicht allein in ihrer Wohnung war. Nachdem sie geduscht, eine Kopfschmerztablette geschluckt und sich angezogen hat, freut sie sich auf eine Tasse Kaffee. Die wird sie endgültig munter machen. Ein Glück, dass sie heute erst am Nachmittag in die Praxis muss. Während sie die Kaffeemaschine in Gang setzt, läutet das Telefon. Steffen, oder?
„Bötsch“, meldet sie sich.
„Anja hier! Laura, stell dir vor, der Dreckskerl ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen!“ Lautes Schluchzen folgt. Der `Dreckskerl` muss `Mausibär`, der neue Lover ihrer besten Freundin, sein. Laura kennt ihn nicht und so, wie Anja ihn beschreibt, verspürt sie auch keine Lust, das zu ändern.
„Anja, Süße, beruhige dich. Kein Mann ist es wert, dass du seinetwegen heulst. Habt ihr euch gestritten?“
„Ja, heftig sogar. Weißt du, Mausibär ist ein bisschen pingelig und ich hatte die ganze Woche keine Zeit abzuwaschen. Du weißt, wenn ich an meinem Roman schreibe, vergesse ich alles um mich herum. Und eingekauft hatte ich auch nicht. Bärchen wollte für uns kochen ...“ Immer wieder werden die heraussprudelnden Sätze von Schluchzern unterbrochen. Laura lässt sie reden. „... und als er in die Küche kam, ist er sofort explodiert. `Wie kann man nur in so einem Saustall leben?`, hat er gebrüllt und dann gab ein Wort das andere. Dann hat er seinen mitgebrachten Wein geschnappt und ist gegangen.“
„Anja, der kommt zurück. Du sollst mal sehen ...“
„Das glaube ich nicht, denn am Abend rief er aus dem ´Grünen Eck´ an und wollte, dass ich dorthin komme. Da habe ich halt ein bisschen rumgezickt und als er drohte, er suche sich eine Andere, habe ich den Hörer aufgeknallt.“ Laura schließt die Augen, atmet tief durch und lässt den Redeschwall stumm über sich ergehen.
„Laura, tust du das für mich?“
„Ehm, entschuldige, was hast du gerade gesagt?“
„Ich habe dich gefragt, ob du heute Mittag mit mir in das Restaurant vom Kaufhaus Meier gehst. Da isst Steffen jeden Mittag das Stammessen und da könnten wir beide ...“
Nicht mehr Mausibär. Steffen!
„Anja, du sagtest gerade Steffen, oder?“
„Ja, wieso?“
„Und weiter?“
„Steffen Wagner, der Penible, Penetrante. Warum?“ Lauras Gedanken rotieren, wie Tintenfische beim Laichen.
„Anja, Liebes, tut mir leid. Ich muss gleich in die Praxis. Das schaffe ich nicht mehr“, lügt sie. Wut überflutet sie in heißen Wellen. Dieser Dreckskerl. Das ist der Lover ihrer besten Freundin! Die Anzeige auf ihrer Steffen-Gefühlsskala rast vom Schmelzpunkt in den Frostbereich.
„Laura, bitte!“ Anjas Stimme klingt schrill. Wenn sie jetzt erzählt, was heute Nacht noch geschah, ist ihre Freundschaft im Eimer. Oder? Schließlich trifft ihre Wut die Entscheidung.
„Okay, ich disponiere um und ich komme mit. Anja, jetzt hör m i r bitte mal zu. Ich muss dir was erzählen, das dir nicht sehr gefallen wird.“
Laura berichtet. Anja tobt.
„Wie konntest du nur?“
„Ich wusste doch nicht ...“
Bald wird ihnen klar, es gibt nur einen Feind und der ist männlich. Diese Nacht wird ihre Freundschaft nicht sprengen.
„Das muss er büßen! Öffentlich!“
„Im Kaufhaus Meier! Da werden wir Steffen-Bärli einen Denkzettel verpassen. Versprochen.“
Sie besprechen ihre Strategie und beschließen, Lauras Bruder Christian mitzunehmen. Zur Verstärkung sozusagen.
„Übrigens, der Wein war billigster Fusel. Da hast du nichts verpasst. Der Typ ist nicht nur pedantisch, der ist auch geizig.“ Beide können schon wieder lachen, als sie ihr Gespräch beenden.

Christian spielt mit. Er freut sich auf die kommende Stunde, auch wenn er es verabscheut, im Kaufhausrestaurant zu essen. Stammessen! Muss er ja nicht bestellen. Hauptsache, die Mädels haben ihren Spaß und können diesen Spießer so richtig schön auflaufen lassen.

Von der Rolltreppe aus schaut man durch eine große Glasscheibe direkt in das Restaurant. Sie entdecken Steffen sofort. Lachend und eng umschlungen wie ein Liebespaar betreten Laura und Christian das Restaurant. Zielsicher steuern sie auf den Nebentisch zu, scheinbar ohne die anderen Gäste zu beachten. Steffen hat sich blitzartig hinter einer Zeitung verschanzt. Laura setzt sich mit dem Rücken zu ihm. Christian soll ihn im Auge behalten. Der winkt die Bedienung herbei.
„Eine Flasche Champagner bitte. Vom besten.“
„Da sind Sie bei uns aber an der falschen Adresse, junger Mann, Sekt können Sie haben.“
„Na gut, dann aber den teuersten.“
„Wir haben nur Hausmarke.“
„Schade“, murmelt Christian und bestellt.

Vorsichtig lugt Steffen hinter der Zeitung hervor. Kein Zweifel, das ist Laura, die mit diesem gammeligen Typen so laut – viel zu laut – lacht. Champagner, pfff! Er legt die Zeitung beiseite, tupft sich mit der Serviette die Lippen ab, greift nach seinem Colaglas, will einen Schluck trinken. Mitten in der Bewegung verharrt seine Hand. Mit strahlendem Lächeln kommt Anja durch die Tür und steuert mit ausgestreckten Armen seinen Tisch an. Christian nickt Laura zu. Die steht auf. Kurz danach legt sie ihre schmale Hand auf die Schulter des Fassungslosen.
„Hallo Steffen!“, rufen Anja und Laura gleichzeitig. Der Angesprochene rührt sich nicht. Der Griff auf seiner Schulter wird stärker. Spitze Fingernägel bohren sich durch seine Strickjacke. Steffen verabscheut lange Fingernägel. Er will aufstehen, Anja begrüßen. Daran hindern ihn nun schon zwei Hände auf seinen Schultern. Von den anderen Tischen schauen die Leute herüber. Steffen hasst es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und die Situation nicht zu beherrschen. Mit wachsendem Entsetzen hört er:
„Hallo Anja, kennst du Steffen, meinen neuesten Lover?“
„Hi, Laura, klar, das ist doch Mausibärchen, der mir letzte Nacht abhanden gekommen ist. Mein Liebhaber seit drei Wochen.“ Nun kommt auch Christian an den Tisch.
„Lass ihn los, Laura. Du siehst doch, dass der Herr gehen möchte. Hallo Anja, schön dich mal wieder zu sehen.“ Und zur Bedienung gewandt: „Fräulein, der Herr möchte zahlen. Er hatte einmal Stammessen und bei den beiden Damen noch eine Rechnung offen. Also einmal Stammessen, einmal Cola und eine Flasche Champagner, äh - Sekt.“ Laura lässt los, zieht ein Papiertaschentuch aus ihrer Jackentasche und wischt sich demonstrativ die Hände ab. Dass ihr dabei ein Geldschein herunterfällt und direkt neben Steffens Aktentasche landet, entgeht ihr leider. Steffen registriert es sofort. Mit hochrotem Kopf bückt er sich, um sein Portemonnaie aus dem Innenfach des Aktenkoffers zu holen. Blitzschnell greift er zu. Noch immer bringt er keinen Ton heraus. Als er sich wieder aufrichtet, rinnt ihm der Schweiß in den Kragen. Die Bedienung präsentiert die Rechnung. Wortlos zahlt Steffen tatsächlich den gesamten Betrag und steht auf. Er befürchtet, seine Beine seien zu schwach, doch sie tragen.
„Auf Wiedersehen Mausibärchen, tschüß Steffen, tschau, tschau Herr Wagner“, hallt es dreistimmig in seinen Ohren. Nie wieder wird er hierher kommen. Er schließt die Tür. Wellen der Erschöpfung rollen über ihn hinweg.

„Na, wenn das kein ärmlicher Abgang war. Hach, Rache ist wirklich süß! Fräulein bringen Sie bitte noch ein Glas.“
Anja kommen fast die Tränen vor Lachen. Laura stimmt ein.
„Trinkt, Freunde, trinkt, die Flasche geht auf mich“, ruft sie und greift in die Jackentasche, in der seit ihrem Boutiquebesuch gestern noch ein Fünfzig-Euroschein stecken muss. Eine dumme Angewohnheit, das mit den losen Scheinen. Sie findet ihn nicht.
„Schadenfreude ist die reinste Freude“, feixt Anja gerade. Laura denkt da eher an ein anderes Sprichwort. Wer den Schaden hat ...

Steffen steht auf der Straße, holt tief Luft. Langsam beruhigt er sich. Plötzlich muss er grinsen und setzt sich in Bewegung. Mit federnden Schritten eilt er durch die Fußgängerzone, bis er Feinkost-Heller erreicht hat. Jetzt freut er sich auf einen schönen ruhigen Abend in seinem kleinen, gepflegten Appartement. Auf den Schreck wird er sich was richtig Gutes gönnen. Auch am Wein wird er heute nicht sparen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, denkt er und betritt den Laden.

Er kann sich kaum entscheiden. Egal. Heute gilt´s. Großzügig kauft er ein, geht zur Kasse.
„Fünfzig Euro dreiunddreißig bitte.“
Geschenkt. Steffen feixt, zahlt und bemerkt nicht den Blickkontakt zwischen der Verkäuferin und einem sportlich gekleideten Herrn im Hintergrund. Der kommt auf ihn zu und zeigt seinen Dienstausweis.
„Kriminalhauptmeister Carlson, darf ich bitte mal den Inhalt Ihres Portemonnaies sehen?“
„Was soll der Quatsch?“
„Reine Routine. In den letzten Tagen sind vermehrt falsche Fünfzig-Euro-Noten in der Stadt im Umlauf. Besonders betroffen sind offenbar Feinkostgeschäfte und teure Boutiquen. Wissen Sie, wann und wo Sie diesen Schein hier erhalten haben?“
„Warum?“
„Weil das eindeutig ein falscher Fünfziger ist.“
Das ist ja nun wirklich zu blöd, denkt Steffen und schluckt schwer.
Version 2

Letzte Aktualisierung: 16.03.2014 - 17.38 Uhr
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