Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Steinzeit | April 2014
Brennholz
von Anne Zeisig

Mark saß am FrĂŒhstĂŒckstisch und ĂŒberflog die Tageszeitung. Nebenbei griff er zu einer Tasse Kaffee und verzog nach dem ersten Schluck sein Gesicht.
“Was ist das fĂŒr ein GebrĂ€u?”
“Der Kapselautomat ist defekt”, erklĂ€rte seine Frau Lena, “aber ich habe noch Kaffeepulver und einen alten Filter gefunden.”
Im Hintergrund lief die Fernsehsendung ‘FrĂŒhstĂŒcks-TV’.
Der 12jĂ€hrige Jonas und seine 14jĂ€hrige Schwester Caroline lĂŒmmelten am Tisch und schoben synchron ihre Teller in die Tischmitte.
Ein Handy klingelte. “Neee, nÀÀÀÀ!”, krĂ€hte Caroline in den Hörer.
Und kurz danach meldete sich das von Jonas. “Supi! Zocken nachher online!”
“Wollt ihr nicht FrĂŒhstĂŒcken?”, fragte ihre Mutter, “ich habe frische Brötchen geholt.” Sie biss in eines hinein.
Wieder musizierte eines der Handys von den Kindern sehr laut.
“Was ‘n das fĂŒr ‘n Havy-Metal-Mist-Klingelton?” Jonas boxte seine Schwester in die Seite. Sie wehrte ihn ab und flötete ins Telefon: “Gerne! Ja! Sehr gerne! Bis nachher dann!”
Ihr Bruder zog Grimassen und Ă€ffte sie nach. “Gerne! Oh! Ja!”
“Lass das!”, ermahnte die Mutter ihn. “Wir sollten besser ĂŒberlegen, was wir heute unternehmen.”
Mark stand auf, schaltete den Fernseher ab und setzte sich mit der Zeitung auf das Sofa. “Ich will endlich in Ruhe lesen.”
Die Kids kicherten.
Ihr Vater runzelte die Stirn. “Ab sofort wird bei Tisch nicht mehr telefoniert.”
Lena nickte. “Und der Fernseher bleibt auch aus.” Dann machte sie den Vorschlag, dass man ins archĂ€ologische Museum gehen könne.
“Ich hab’ mich online zum Gamen verabredet!”
“Ich will abchillen! Museum ist was fĂŒr Steinzeitmenschen!”
Mark tippte sich an die Stirn. “Genau! Steinzeitmenschen! Keine Handytatschdinger! Keine Computer und kein kaputter Elektroherd.”
“Aber Mark! Der Kaffeeautomat ist defekt. Nie hörst du mir zu!”
Er stellte den Lab-Top vom Tisch auf seinen Schoß. “Ich schaue mal, wo wir in den Osterferien unseren Urlaub verbringen könnten.”
Das Festnetztelefon und die TĂŒrklingel lĂ€uteten gleichzeitig.

* * *

“ZurĂŒck zu den Wurzeln!” Mark stellte in der BlockhĂŒtte zwei Koffer ab und atmete tief ein. “Kein Elektrosmog, sondern Natur und Ruhe.”
“Und was sollen wir in dieser Einöde machen?”, fragte der JĂŒngste und warf seinen Rucksack auf den Holzboden.
“Nichmal ‘n Netz hat man in dieser Pampa!”, stellte seine Schwester fest. “Wenn ich mich nicht regelmĂ€ĂŸig melde, denken meine Freunde, dass es mich nicht mehr gibt!” Sie ließ sich auf einen Holzstuhl fallen.
“Mark? Wo sind Elektroherd und Waschmaschine? Im Keller?”, fragte die Mutter.
“Keller? Mama! In so einer Dreckshöhle gibt es keinen Keller!”
“Caroline hat teilweise recht”, antwortete Mark, “diese urgemĂŒtliche HĂŒtte hat keinen Keller, aber einen Kamin zum Kochen und Heizen.”
Die Kids blickten entgeistert zur offenen Feuerstelle.
“Und wo soll ich WĂ€sche waschen?”, frage Lena.
Ihr Mann warf sich den Parka ĂŒber. “Unten am Fluss. Außerdem haben wir die Erlaubnis, Holz im angrenzenden WĂ€ldchen zu schlagen.” Er ging hinaus. “Wer hilft mir beim Brennholzsammeln?”
Lena folgte ihm und hielt ihn am Ärmel fest. “Findest du nicht, dass das ĂŒbertrieben ist? Wenn ich gewusst hĂ€tte, dass du neuerdings auf Primitivurlaub stehst, hĂ€tte ich nicht zugestimmt.” Sie blickte zum Himmel. “Da oben braut sich was zusammen. Warte lieber mit dem Holzholen.”
Mark winkte ab. “Soll ich mir das Gejaule der Kids anhören, wenn sie frieren? Bis es anfĂ€ngt zu regnen, bin ich lĂ€ngst wieder zurĂŒck.”
Plötzlich wurde die TĂŒr aufgestoßen. “Hinter der HĂŒtte gibt es nur ein Plumpsklo! Und die Dusche ist im Freien!”, kreischte Caroline hysterisch. Ihr Bruder stand grinsend im TĂŒrrahmen. “Haste Angst, dass die Vögel bei deinem Anblick blind werden?”
“Mama!”, sie warf sich in Lenas Arme, “ich will nach Hause.”
Mark boxte seinen Sohn leicht in die Seite. “Hilfst du mir beim Holzsuchen? Nachts kann es hier empfindlich kalt werden.”
Jonas scharrte unschlĂŒssig mit den Schuhen in der Erde. “Neeee. Vielleicht morgen.” Er folgte seiner Mutter und Caroline in die HĂŒtte.
Der Vater zuckte mit den Schultern. “Okay”, murmelte er, “aber morgen mache ich euch Beine. Verwöhnte Gören.” Er schnallte sich die Trage auf den RĂŒcken und nahm die Axt.

* * *

Die Kinder hatten es sich, eingemummelt in ihre Jacken, auf der Strohunterlage gemĂŒtlich gemacht. Sie blĂ€tterten im Schein der Petroleumlampe in einem Elektronik-Katalog und fachsimpelten ĂŒber Neuerungen.
Lena ging nervös von einem Fenster zum anderen. Draußen war es bereits stockdunkel und Mark war immer noch nicht da.
“Helft ihr mir, den Proviant zu verstauen?” Sie musste sich ablenken.
Die Kinder packten bereitwillig mit an und durchstöberten den Inhalt auf SĂŒĂŸes. Sie wurden zunĂ€chst enttĂ€uscht.
Lena stellte Konserven in ein Regal.
“Wie geil ist das denn!”, ihr JĂŒngster hielt eine Dose in der Hand. “Schoki in einer Konserve!”
Caroline sprang auf und wĂŒhlte in einer Schublade. “Wetten, hier gibt es nicht mal einen Dosenöffner!”
“Komissproviant ist das. Eurer Vater kennt sowas aus seiner Zeit bei der Bundeswehr.” Sie zwang sich zu einem LĂ€cheln. “Möchte nur wissen, wo eurer Paps bleibt.” Lena nahm eine Taschenlampe aus dem Karton. “Sagt bloß, er ist ohne Lampe unterwegs?”
“Wenn Papa bei den Soldaten war, dann findet er den Weg auch so.” Die Mutter streichelte ihrem JĂŒngsten ĂŒbers Haar.
Die Kinder öffnen endlich die Konserve.
“Nur Bitterschoki! Die mag ich nicht!”, stellte Jonas fest und verkroch sich wieder auf das Stroh.
Ein starker Wind pfiff um die HĂŒtte. Das GebĂ€lk Ă€chzte.
“Wir mĂŒssen Papa suchen!”, brach es nun aus Lena heraus. “Er könnte verletzt sein. Vielleicht hat er sich den Knöchel verstaucht.” Sie zog ihre Jacke ĂŒber und nahm die Taschenlampe. “Caroline, du begleitest mich. Jonas bleibt hier.”
“Ich soll bei Nacht und Sturm im Wald umherirren? Nimm doch Jonas mit.”
Lena legte ihrer Tochter einen Schal um den Hals. “Keine Widerrede. Du bist Ă€lter als dein Bruder.” Sie steckte die Taschenlampe ein und packte den Erste-Hilfe-Kasten in einen Rucksack. “Zu zweit können wir ihn besser stĂŒtzen, falls das nötig sein sollte”, ergĂ€nzte sie.
“Wetten”, maulte die Pubertierende abermals, “der sitzt auf einer Lichtung an einem Lagerfeuer und findet das wildromantisch!”

* * *
“Wir bleiben auf dem Weg”, schlug Lena vor, “dann verlaufen wir uns nicht”, und hielt den Lichtkegel der Taschenlampe vor ihnen auf den Boden. Caroline stakste ungelenk neben ihr, knickte immer wieder um. “Ich hatte doch gesagt, dass du die derben Wanderschuhe mitnehmen sollst! Was willst du mit diesen Tretern in der Natur?”
“Nennst du diese Schotterschlammpiste etwa Natur?”, fauchte ihre Tochter und fiel ihrer Mutter urplötzlich in die Arme. “Es rauscht und knackt so laut.”
“Der Wind saust durch die Äste”, flĂŒsterte Lena, “das kennst du doch vom Stadtpark.” Caroline löste sich von ihr und stolperte zitternd ihrer Mutter hinterher. “Ich war noch nie bei Dunkelheit im Park.”
“Mark! Mark?”, rief Lena wiederholt und zog sich ihren Schal enger um den Hals. Eigentlich war es verantwortungslos, dass sie und Caroline sich bei diesem Wetter im Wald aufhielten. Vielleicht hatte Mark sich in einer Senke in Sicherheit gebracht und wollte abwarten, bis der Sturm nachließ. Oder war er womöglich von einem umgestĂŒrzten Baum getroffen worden? In ihr mischten sich Sorge und Ärger. Sie hatte ihn doch gewarnt!
“Ich könnte entspannt in einem FĂŒnf-Sterne-Schuppen am Pool liegen und twittern”, bemitleidete sich Caroline und stĂŒrzte ĂŒber eine Baumwurzel. Sie fluchte, als ihre Mutter ihr aufhalf.
Nun begann es auch noch zu regnen.
“Guck mich ma an! Wie ich aussehe! Voller Schlamm!”, geiferte Caroline.
Lena drÀngte nun zur Umkehr.
“Mama! Da! Licht!”, rief die Tochter.
“Wo?”
Sie zeigte in Richtung Dickicht.
“TatsĂ€chlich!”
Lena kÀmpfte sich durchs Unterholz. Caroline war ihr bereits vorausgeeilt.
“Mama! Hier her! Ich glaube es nicht!”, zischte Caroline und drĂŒckte sich an einer stark verschmutzten Fensterscheibe die Nase platt.
Lenas Atem dampfte. Sie lockerte ihren Schal und schaute auch hinein.
“Kein Elektrosmog, sondern Natur und Ruhe”, wiederholte sie enttĂ€uscht die Worte ihres Mannes.
Der saß gemĂŒtlich mit einem Kerl im karierten Flanellhemd vor einem Fernseher, wo gerade ein Fußballspiel ĂŒbertragen wurde. Auf einem Tisch standen zwei Flaschen Bier und im Kamin prasselte anheimelnd die Glut.
Neben der TĂŒr angelehnt stand die Trage voller Brennholz.
“Hast du gesehen? ‘ne TĂŒte Chips haben sie auch. Und wir sollen Dosenfutter essen.”
“Wir gehen sofort zurĂŒck”, sagte Lena resolut und zog ihre Tochter von der Scheibe weg, “packen unsere Sachen ins Auto und fahren heim.”
“Ohne Papa? Das können wir nicht machen!”
“Und ob wir das können! Wasser predigen und Bier trinken, das ist nicht glaubwĂŒrdig.”
“Aber vielleicht gibt es dafĂŒr eine plausible ErklĂ€rung”, die Tochter zeigte zum Fenster.
“Wir fahren! Basta.”

* * *
Mark humpelte aus der HĂŒtte heraus. “Danke fĂŒr den Verband und das Schmerzmittel.”
Der Mann mit dem karierten Hemd winkte ab. Er blickte zu den Baumwipfeln. “Der Sturm hat nachgelassen.” Er hĂ€ngte sich die Trage mit dem Holz um und ging los. “Wird Zeit, dass deine Familie eine warme HĂŒtte kriegt.”
Mark folgte ihm.

© anne zeisig fassung ZWEI

Letzte Aktualisierung: 06.04.2014 - 07.20 Uhr
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