Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Mark saĂ am FrĂŒhstĂŒckstisch und ĂŒberflog die Tageszeitung. Nebenbei griff er zu einer Tasse Kaffee und verzog nach dem ersten Schluck sein Gesicht.
âWas ist das fĂŒr ein GebrĂ€u?â
âDer Kapselautomat ist defektâ, erklĂ€rte seine Frau Lena, âaber ich habe noch Kaffeepulver und einen alten Filter gefunden.â
Im Hintergrund lief die Fernsehsendung âFrĂŒhstĂŒcks-TVâ.
Der 12jĂ€hrige Jonas und seine 14jĂ€hrige Schwester Caroline lĂŒmmelten am Tisch und schoben synchron ihre Teller in die Tischmitte.
Ein Handy klingelte. âNeee, nÀÀÀÀ!â, krĂ€hte Caroline in den Hörer.
Und kurz danach meldete sich das von Jonas. âSupi! Zocken nachher online!â
âWollt ihr nicht FrĂŒhstĂŒcken?â, fragte ihre Mutter, âich habe frische Brötchen geholt.â Sie biss in eines hinein.
Wieder musizierte eines der Handys von den Kindern sehr laut.
âWas ân das fĂŒr ân Havy-Metal-Mist-Klingelton?â Jonas boxte seine Schwester in die Seite. Sie wehrte ihn ab und flötete ins Telefon: âGerne! Ja! Sehr gerne! Bis nachher dann!â
Ihr Bruder zog Grimassen und Ă€ffte sie nach. âGerne! Oh! Ja!â
âLass das!â, ermahnte die Mutter ihn. âWir sollten besser ĂŒberlegen, was wir heute unternehmen.â
Mark stand auf, schaltete den Fernseher ab und setzte sich mit der Zeitung auf das Sofa. âIch will endlich in Ruhe lesen.â
Die Kids kicherten.
Ihr Vater runzelte die Stirn. âAb sofort wird bei Tisch nicht mehr telefoniert.â
Lena nickte. âUnd der Fernseher bleibt auch aus.â Dann machte sie den Vorschlag, dass man ins archĂ€ologische Museum gehen könne.
âIch habâ mich online zum Gamen verabredet!â
âIch will abchillen! Museum ist was fĂŒr Steinzeitmenschen!â
Mark tippte sich an die Stirn. âGenau! Steinzeitmenschen! Keine Handytatschdinger! Keine Computer und kein kaputter Elektroherd.â
âAber Mark! Der Kaffeeautomat ist defekt. Nie hörst du mir zu!â
Er stellte den Lab-Top vom Tisch auf seinen SchoĂ. âIch schaue mal, wo wir in den Osterferien unseren Urlaub verbringen könnten.â
Das Festnetztelefon und die TĂŒrklingel lĂ€uteten gleichzeitig.
* * *
âZurĂŒck zu den Wurzeln!â Mark stellte in der BlockhĂŒtte zwei Koffer ab und atmete tief ein. âKein Elektrosmog, sondern Natur und Ruhe.â
âUnd was sollen wir in dieser Einöde machen?â, fragte der JĂŒngste und warf seinen Rucksack auf den Holzboden.
âNichmal ân Netz hat man in dieser Pampa!â, stellte seine Schwester fest. âWenn ich mich nicht regelmĂ€Ăig melde, denken meine Freunde, dass es mich nicht mehr gibt!â Sie lieĂ sich auf einen Holzstuhl fallen.
âMark? Wo sind Elektroherd und Waschmaschine? Im Keller?â, fragte die Mutter.
âKeller? Mama! In so einer Dreckshöhle gibt es keinen Keller!â
âCaroline hat teilweise rechtâ, antwortete Mark, âdiese urgemĂŒtliche HĂŒtte hat keinen Keller, aber einen Kamin zum Kochen und Heizen.â
Die Kids blickten entgeistert zur offenen Feuerstelle.
âUnd wo soll ich WĂ€sche waschen?â, frage Lena.
Ihr Mann warf sich den Parka ĂŒber. âUnten am Fluss. AuĂerdem haben wir die Erlaubnis, Holz im angrenzenden WĂ€ldchen zu schlagen.â Er ging hinaus. âWer hilft mir beim Brennholzsammeln?â
Lena folgte ihm und hielt ihn am Ărmel fest. âFindest du nicht, dass das ĂŒbertrieben ist? Wenn ich gewusst hĂ€tte, dass du neuerdings auf Primitivurlaub stehst, hĂ€tte ich nicht zugestimmt.â Sie blickte zum Himmel. âDa oben braut sich was zusammen. Warte lieber mit dem Holzholen.â
Mark winkte ab. âSoll ich mir das Gejaule der Kids anhören, wenn sie frieren? Bis es anfĂ€ngt zu regnen, bin ich lĂ€ngst wieder zurĂŒck.â
Plötzlich wurde die TĂŒr aufgestoĂen. âHinter der HĂŒtte gibt es nur ein Plumpsklo! Und die Dusche ist im Freien!â, kreischte Caroline hysterisch. Ihr Bruder stand grinsend im TĂŒrrahmen. âHaste Angst, dass die Vögel bei deinem Anblick blind werden?â
âMama!â, sie warf sich in Lenas Arme, âich will nach Hause.â
Mark boxte seinen Sohn leicht in die Seite. âHilfst du mir beim Holzsuchen? Nachts kann es hier empfindlich kalt werden.â
Jonas scharrte unschlĂŒssig mit den Schuhen in der Erde. âNeeee. Vielleicht morgen.â Er folgte seiner Mutter und Caroline in die HĂŒtte.
Der Vater zuckte mit den Schultern. âOkayâ, murmelte er, âaber morgen mache ich euch Beine. Verwöhnte Gören.â Er schnallte sich die Trage auf den RĂŒcken und nahm die Axt.
* * *
Die Kinder hatten es sich, eingemummelt in ihre Jacken, auf der Strohunterlage gemĂŒtlich gemacht. Sie blĂ€tterten im Schein der Petroleumlampe in einem Elektronik-Katalog und fachsimpelten ĂŒber Neuerungen.
Lena ging nervös von einem Fenster zum anderen. DrauĂen war es bereits stockdunkel und Mark war immer noch nicht da.
âHelft ihr mir, den Proviant zu verstauen?â Sie musste sich ablenken.
Die Kinder packten bereitwillig mit an und durchstöberten den Inhalt auf SĂŒĂes. Sie wurden zunĂ€chst enttĂ€uscht.
Lena stellte Konserven in ein Regal.
âWie geil ist das denn!â, ihr JĂŒngster hielt eine Dose in der Hand. âSchoki in einer Konserve!â
Caroline sprang auf und wĂŒhlte in einer Schublade. âWetten, hier gibt es nicht mal einen Dosenöffner!â
âKomissproviant ist das. Eurer Vater kennt sowas aus seiner Zeit bei der Bundeswehr.â Sie zwang sich zu einem LĂ€cheln. âMöchte nur wissen, wo eurer Paps bleibt.â Lena nahm eine Taschenlampe aus dem Karton. âSagt bloĂ, er ist ohne Lampe unterwegs?â
âWenn Papa bei den Soldaten war, dann findet er den Weg auch so.â Die Mutter streichelte ihrem JĂŒngsten ĂŒbers Haar.
Die Kinder öffnen endlich die Konserve.
âNur Bitterschoki! Die mag ich nicht!â, stellte Jonas fest und verkroch sich wieder auf das Stroh.
Ein starker Wind pfiff um die HĂŒtte. Das GebĂ€lk Ă€chzte.
âWir mĂŒssen Papa suchen!â, brach es nun aus Lena heraus. âEr könnte verletzt sein. Vielleicht hat er sich den Knöchel verstaucht.â Sie zog ihre Jacke ĂŒber und nahm die Taschenlampe. âCaroline, du begleitest mich. Jonas bleibt hier.â
âIch soll bei Nacht und Sturm im Wald umherirren? Nimm doch Jonas mit.â
Lena legte ihrer Tochter einen Schal um den Hals. âKeine Widerrede. Du bist Ă€lter als dein Bruder.â Sie steckte die Taschenlampe ein und packte den Erste-Hilfe-Kasten in einen Rucksack. âZu zweit können wir ihn besser stĂŒtzen, falls das nötig sein sollteâ, ergĂ€nzte sie.
âWettenâ, maulte die Pubertierende abermals, âder sitzt auf einer Lichtung an einem Lagerfeuer und findet das wildromantisch!â
* * *
âWir bleiben auf dem Wegâ, schlug Lena vor, âdann verlaufen wir uns nichtâ, und hielt den Lichtkegel der Taschenlampe vor ihnen auf den Boden. Caroline stakste ungelenk neben ihr, knickte immer wieder um. âIch hatte doch gesagt, dass du die derben Wanderschuhe mitnehmen sollst! Was willst du mit diesen Tretern in der Natur?â
âNennst du diese Schotterschlammpiste etwa Natur?â, fauchte ihre Tochter und fiel ihrer Mutter urplötzlich in die Arme. âEs rauscht und knackt so laut.â
âDer Wind saust durch die Ăsteâ, flĂŒsterte Lena, âdas kennst du doch vom Stadtpark.â Caroline löste sich von ihr und stolperte zitternd ihrer Mutter hinterher. âIch war noch nie bei Dunkelheit im Park.â
âMark! Mark?â, rief Lena wiederholt und zog sich ihren Schal enger um den Hals. Eigentlich war es verantwortungslos, dass sie und Caroline sich bei diesem Wetter im Wald aufhielten. Vielleicht hatte Mark sich in einer Senke in Sicherheit gebracht und wollte abwarten, bis der Sturm nachlieĂ. Oder war er womöglich von einem umgestĂŒrzten Baum getroffen worden? In ihr mischten sich Sorge und Ărger. Sie hatte ihn doch gewarnt!
âIch könnte entspannt in einem FĂŒnf-Sterne-Schuppen am Pool liegen und twitternâ, bemitleidete sich Caroline und stĂŒrzte ĂŒber eine Baumwurzel. Sie fluchte, als ihre Mutter ihr aufhalf.
Nun begann es auch noch zu regnen.
âGuck mich ma an! Wie ich aussehe! Voller Schlamm!â, geiferte Caroline.
Lena drÀngte nun zur Umkehr.
âMama! Da! Licht!â, rief die Tochter.
âWo?â
Sie zeigte in Richtung Dickicht.
âTatsĂ€chlich!â
Lena kÀmpfte sich durchs Unterholz. Caroline war ihr bereits vorausgeeilt.
âMama! Hier her! Ich glaube es nicht!â, zischte Caroline und drĂŒckte sich an einer stark verschmutzten Fensterscheibe die Nase platt.
Lenas Atem dampfte. Sie lockerte ihren Schal und schaute auch hinein.
âKein Elektrosmog, sondern Natur und Ruheâ, wiederholte sie enttĂ€uscht die Worte ihres Mannes.
Der saĂ gemĂŒtlich mit einem Kerl im karierten Flanellhemd vor einem Fernseher, wo gerade ein FuĂballspiel ĂŒbertragen wurde. Auf einem Tisch standen zwei Flaschen Bier und im Kamin prasselte anheimelnd die Glut.
Neben der TĂŒr angelehnt stand die Trage voller Brennholz.
âHast du gesehen? âne TĂŒte Chips haben sie auch. Und wir sollen Dosenfutter essen.â
âWir gehen sofort zurĂŒckâ, sagte Lena resolut und zog ihre Tochter von der Scheibe weg, âpacken unsere Sachen ins Auto und fahren heim.â
âOhne Papa? Das können wir nicht machen!â
âUnd ob wir das können! Wasser predigen und Bier trinken, das ist nicht glaubwĂŒrdig.â
âAber vielleicht gibt es dafĂŒr eine plausible ErklĂ€rungâ, die Tochter zeigte zum Fenster.
âWir fahren! Basta.â
* * *
Mark humpelte aus der HĂŒtte heraus. âDanke fĂŒr den Verband und das Schmerzmittel.â
Der Mann mit dem karierten Hemd winkte ab. Er blickte zu den Baumwipfeln. âDer Sturm hat nachgelassen.â Er hĂ€ngte sich die Trage mit dem Holz um und ging los. âWird Zeit, dass deine Familie eine warme HĂŒtte kriegt.â
Mark folgte ihm.