Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
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Steinzeit | April 2014
Wenn wir so weitermachen
von Elmar Aweiawa

Mit äußerster Konzentration schlichen sie sich an. Das leiseste Knacken konnte sie verraten. Ein Sindalon zu jagen, erforderte Mut und Geschicklichkeit in gleichem Maß. Das Tier hatte ein ausgezeichnetes Gehör und seine langen Reißzähne giftige Widerhaken. Wen es einmal gepackt hatte, der war verloren, selbst wenn das Raubtier dabei starb. Sein Gift ließ dem Opfer keine Chance. Bisher war es keinem Schamanen gelungen, ein Kräutlein dagegen zu finden.

Mit Gesten verständigten sich die beiden Jäger. Sie konnten sich blind aufeinander verlassen, jedes Detail war tausendmal erprobt. Wien näherte sich dem Sindalon von links, Lissa von rechts. Sie wussten, dass Sindalons niemals vorwärts oder rückwärts flüchten, sondern immer seitlich ausbrechen. Lissa sah, dass ihr Partner in guter Position für einen Wurf war. Langsam hob er den Speer und wartete gespannt wie die Haut einer Trommel, bis das Tier von seinem blutigen Mahl abließ und den Kopf hob. Sein gepanzerter Körper war für einen Speer undurchdringlich, lediglich Hals und Kopf boten eine Chance, es zu erlegen.

Mit aller Kraft schleuderte Wien den Speer, der pfeilgerade auf das Sindalon zuschoss. Doch genau in diesem Moment flog ein Waldkulmaz unmittelbar vor der Nase des Sinadlons auf. Der Vogel war bestens getarnt, bisher hatte das Sindalon ihn nicht entdeckt, obwohl es sich um seine Lieblingsbeute handelte. Der massige Kopf schnellte nach vorne, um den Kulmaz mit der Zunge zu durchbohren. Aus diesem Grund verfehlte der Speer sein Ziel und streifte nur den Hals des Raubtiers. Sofort schaltete es von Angriff auf Flucht um und raste auf den Busch zu, hinter dem Lissa sich verbarg. Als sie ihren Speer nach oben reißen wollte, flog der Kulmaz direkt auf sie zu und irritierte sie, sodass sie das Sindalon einen Moment aus den Augen verlor. Und schon war das Raubtier über ihr. Nun war ihr Speer nutzlos und sie hatte nur noch das Messer, um sich zur Wehr zu setzen. Noch niemand hatte ein Sindalon mit dem Messer erlegt. Sie war verloren. Der faulige Atem der Bestie drang ihr in die Nase, als es das Maul aufriss und sich anschickte, die Zähne in ihren Hals zu schlagen.

Doch kurz vor dem Biss drang Wiens Messer dem Tier ins linke Auge. Todesmutig hatte er sich von hinten genähert und beim Sprung auf den Rücken des Sindalons nach dem Auge gezielt. Die Klinge drang bis zum Heft in den Kopf des wilden Tieres. Aufheulend stürmte es davon, schleppte Wien noch eine kurze Strecke mit sich fort, da er sein Messer nicht verloren geben wollte. Ein Ast streifte seinen Kopf und halb betäubt fiel er zu Boden, was zwar den Verlust der Waffe nach sich zog, ihm aber vielleicht das Leben rettete.

Lissa hatte sich inzwischen hochgerappelt und half auch Wien wieder auf die Beine.
„Verdammt, das war knapp“, gab Lissa keuchend ihrer Erleichterung Ausdruck.
„War meine Schuld, ich hätte es nicht verfehlen dürfen“, antwortete Wien zerknirscht.
„Ach was, ich hätte mich nicht ablenken lassen dürfen. Dieser verflixte Kulmaz.“
„Wir gehen dem Sindalon nach, weit kann es nicht kommen mit dem Messer im Auge.“

Die Sonne hatte noch kaum ihre Stellung am Himmel verändert, als sie das verletzte Tier fanden. Es hatte sich in ein Dornengestrüpp verkrochen, das seinem dicken Panzer nichts anhaben konnte, andere Tiere aber abzuhalten vermochte.
Doch Wien und Lissa gaben nicht auf. Zu wertvoll waren die Beute und Wiens Messer. Mit Lissas Messer schnitten sie sich mühsam den Weg frei und näherten sich dem Sindalon, das sie aus dem einen verbliebenen Auge böse beobachtete. Je näher sie kamen, desto lauter wurde sein Fauchen.
„Es wird bald angreifen“, vermutete Wien. „Wir müssen es töten, bevor wir ihm zu nahe kommen.“
„Es ist dein Wurf“, meinte Lissa.
„Diesmal wirst du sterben!“, flüsterte Wien und hob den Arm mit dem Speer. So weit es das Gehölz zuließ, holte er aus und schleuderte das Wurfgerät in Richtung Sindalon. Das Tier war chancenlos, es konnte nicht ausweichen und der Speer drang tief in seine Gurgel ein. Ein Strom hellroten Blutes ergoss sich auf den Waldboden und das Röcheln wurde stetig leiser.

„Warum musste das blöde Vieh sich derart tief hier drin verkriechen“, schnaufte Wien, als sie versuchten, den Kadaver aus dem Dornbusch zu befreien.
„Sei froh, dass es nicht noch weiter gelaufen ist. Und dein Messer hast du auch wieder.“ Lissa war wie immer die Realistische von den beiden.
Sie mühten sich ab und keuchten heftig, als das Tier endlich außerhalb der Dornen lag.
„Da werden sich Paris und London freuen!“, triumphierte Lissa, „sie lieben Sindalonsteak. Wenn die verdammten Gentechniker die Viecher nur nicht so wehrhaft gemacht hätten!“
„Immerhin kann man sie essen, nicht wie diese Schifteriten, die nur gefährlich sind. Die Viecher hasse ich wirklich!“

“Oh, ein Sindalon! Das habt ihr prima hinbekommen. Und nur mit Speer und Dolch, nehme ich an.“ Blitzschnell fuhren Wien und Lissa herum, die Messer stoßbereit in Händen. Doch der Fremde, der eben gesprochen hatte, war etliche Meter von ihnen entfernt. Und er hielt etwas in Händen, das die beiden zuvor noch nie gesehen hatten, doch von dem sie durchaus wussten, wie es hieß und wozu es diente. Die Mündung war auf Wien gerichtet, weshalb Lissa sich sofort von ihrem Mann entfernte. Mit einer derartigen Waffe hatten sie noch nie zu tun gehabt.

„Ihr habt keine Feuerwaffen, aber eure Speere sind erstklassig. Aus einem olympischen Trainingszentrum, vermute ich. Karbon?“
Obwohl der Fremde plauderte, als wären sie auf einem Warentauschplatz, gaben sich Wien und Lissa keinen Illusionen hin. Der Mann war gefährlich. Wer solche Waffen trug, benutzte sie auch. Wenn er Munition dafür hatte. Doch das herauszufinden, mochte das Leben kosten.

„Was wollen Sie? Wir haben nichts außer unseren Waffen. Und die brauchen wir zum Überleben.“
„Ich will doch nichts von euch! Mich nur ein wenig unterhalten. Ihr habt eben von Paris und London gesprochen. Eure Kinder?“

Jetzt wurde es ernst. Diese Frage und die Vermutung, die sich dahinter verbarg, waren gefährlicher als die feindlichste Drohung. Wenn der Fremde in Lissa eine gebärfähige Frau vermutete, war allerhöchste Vorsicht geboten.
Nur noch eine von zehntausend Frauen konnte Kinder bekommen. Jahrzehntelang hatte man die Gefahren für die Menschheit an der falschen Stelle gesehen. Atomwaffen, biologische und chemische Waffen. Dabei waren die schleichende Vergiftung der Umwelt durch die chemischen Düngemittel und die allgegenwärtigen biologischen Kontaminierungen es letztlich gewesen, die der Menschheit in der alten Form den Garaus gemacht hatten.
Eine Frau, die Kinder gebären konnte, war eine Rarität und entsprechend wertvoll.

„Kinder? Gibt es überhaupt noch welche?“, fragte Wien zurück. Nun war klar, wieso der Angreifer seine Waffe auf ihn gerichtet hielt. Lissa war die Beute, die unbedingt lebendig gefangen werden musste.
„Nun, wir werden es herausfinden. Ich töte ungern Menschen, doch wenn es nötig ist, zögere ich nicht. Deine Frau kommt mit mir, und wenn sie sich weigert, werde ich dich erschießen. Ist das klar?“
„Lassen Sie ihn am Leben! Ich werde mitkommen. Allerdings werden Sie eine Enttäuschung erleben, ich kann keine Kinder bekommen. London und Paris sind mein Bruder und dessen Frau. Sie können nicht jagen, denn London hat ein Bein bei der Jagd verloren und Paris ist ohne Hände geboren. Sie sind auf uns angewiesen.“ Lissa ging während ihrer Worte weiter auf den Eindringling zu.
„Deshalb lasse ich deinen Mann ja auch leben, wenn ihr kooperiert. Ich bin kein Unmensch“, erwiderte dieser.

Wiens Augen folgten Lissa, die nun fast bei dem Fremden angekommen war.
„Bleib stehen!“ befahl der Mann, denn er witterte eine Gefahr, „leg die Hände hinter den Kopf, damit ich sie sehen kann.“
Eine letzte Verständigung mit den Augen, und Wien hechtete aus dem Stand ins Gestrüpp, nutzte die Schneise, die sie eben für das Sindalon geschlagen hatten. Bevor der Fremde die Waffe wieder auf ihn richten konnte, stand Lissa hinter ihm und drückte ihr Messer an seine Kehle. Ein Blutstropfen fand seinen Weg am Hals herab.
„Denk nicht einmal daran abzudrücken!“, sprach sie leise ins Ohr des Überrumpelten. „Dein Tod wäre nicht schnell und barmherzig, das garantiere ich dir. Und jetzt lass deine Waffe fallen.“
Der Mann zögerte, doch als der Druck an seiner Kehle zunahm und ein kleines Rinnsal entstand, ließ er die Waffe los. Sie fiel ins weiche Gras.
„Und jetzt verschwinde“, befahl Wien, der nähergekommen war und den Mann nach weiteren Waffen abgetastet hatte. Die Munition für die Pistole steckte er ein. „Dreh dich nicht um und schau nicht zurück, dann kannst du weiterleben.“

„Wir müssen in Zukunft noch vorsichtiger sein“, flüsterte Lissa, als der Angreifer verschwunden war, „niemand darf auch nur das Geringste von unseren Kleinen ahnen.“

© aweiawa, 2013
Version 2

Letzte Aktualisierung: 14.04.2014 - 13.32 Uhr
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