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Steinzeit | April 2014

Das unorganisierte Verbrechen
von Ingo Pietsch

Nur die Hälfte der Straßenlaternen brannte.
Das lag daran, dass in der Straße Gas- und Stromleitungen erneuert wurden.
Die Straße war für Fahrzeuge nicht mehr befahrbar; Berge aus feinen Kieselsteinen oder Sand und Paletten mit Pflastersteinen standen kreuz und quer.
Im dämmrigen Licht schlichen zwei dunkel gekleidete Gestalten von einer Deckung zur nächsten.
„Eckhart, nicht so schnell!“, prustete der eine. Er lehnte sich kurz an einen Steinstapel und fasste an sein Herz.
Eckhart drehte sich um: „Willst du jetzt etwa abkratzen, Heinz?“
Heinz holte tief und ging weiter: „Es geht schon.“
Eckhart schüttelte den Kopf. „In fünfzehn Minuten sind wir schon wieder zuhause.“
„Hetz mich nicht so, ich habe ja verstanden.“ Heinz trottete hinterher.
Schließlich standen sie vor dem Baugraben, der sich der Länge nach durch die Straße zog.
„Wie willst du da runter?“, fragte Heinz.
„Die Bauarbeiter lassen immer was liegen, was man benutzen kann.“ Eckhart sah sich um. An einen Sandhügel angelehnt, stand ein grobmaschiges Metallgitter. „Hilf mir mal.“
Sie schleppten es gemeinsam zur Absperrung. Dann warfen sie das Gitter in den Graben und Eckhart kletterte nach unten.
„Und du weißt wirklich, was du tust?“, rief Heinz leise nach unten.
„Ich bin Elektriker, na klar weiß ich das.“
„Du warst Elektriker. Vor ...“, Heinz überlegte. „Welches Jahr haben wir noch mal?“
„Ist vielleicht schon ein Weilchen her. Aber die Kabel sind immer noch die gleichen wie früher“, erwiderte Eckhart. „Sieh mal nach, ob das Licht der Werbetafeln noch brennt.“
Heinz drehte sich um. „Kannst hochkommen, ist alles duster im Laden.“
Eckhart kletterte umständlich hoch und Heinz hielt ihm helfend die Hand.
Ein hässliches Knacken ließ beide erstarren.
„Oh, mein Rücken!“, keuchte Heinz.
„Jetzt stell dich nicht so an. Komm schon.“ Eckhart griff seinem Kameraden unter den Arm.
Dann gingen sie zum Schaufenster der Pfandleihe und sahen sich nach allen Seiten um.
„OK, die Luft ist rein. Du kannst loslegen.“ Eckhart stellte sich hinter seinen Partner, damit niemand ihn beobachten konnte, wenn er sich an der Tür zu schaffen machte.
„Womit loslegen?“, Heinz war ein bisschen durcheinander.
„Na, mit dem Dietrich. Die Tür knacken.“ Heinz war wirklich schwer von Begriff.
„Ach, der Dietrich. Den habe ich vergessen. Ich habe nur Zeug für den Tresor dabei. Wir müssen noch mal zurück.“ Heinz begann kehrt zu machen.
„Hiergeblieben. Und du warst mal beim Schlüsseldienst.“ Eckhart schüttelte den Kopf. „So macht man das“, sagte er und zog eine Scheck-Karte aus seiner Tasche. Er zog die Karte durch den Türschlitz und sie zerbrach.
Heinz leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe nach drinnen. „Da hängt eine große Kette an den Griffen.“
„Mist, Mist, Mist. Das können wir vergessen!“
Heinz leuchtete weiter: „Kuck mal. Die Tür ist nur eingehängt. Wir müssen sie nur aushebeln. Die Alarmanlage ist eh ausgeschaltet.“
„Könnte klappen“, meinte Eckhart.
Nach zwei kräftigen Rucken an der Tür und einem erneuten Knacken in Heinz Rücken war sie offen.
Sie lehnten die Tür von Innen wieder an.
Heinz wollte schon in den rückwärtigen Teil des Ladens, als Eckhart ihn festhielt und mit seiner Lampe auf den Boden leuchtete.
„Sind das Bärenfallen?“, fragte Heinz ungläubig.
Eckhart nickte: „Ich glaube der alte Hagemeier hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.“
„Der ist nur vorsichtig - Moment! Was heißt hier alt? Er ist gerade mal fünf Jahre älter als wir!“, empörte sich Heinz.
„Als du! Egal, wir machen einen großen Bogen um die Dinger.“ Damit gingen sie nach hinten.
Der Tresor war als Kühlschrank getarnt. Hinter der Kühlschranktür befand sich die des Tresors.
„Der ist sogar unter Strom gesetzt.“ Heinz zeigte auf die Drähte. „Aber da du das Kabel durchtrennt hast, ist das wohl hinfällig.“ Er zauberte einen langen Schlüssel in seine Hand und drehte ihn mehrmals im Schloss hin und her, bis es klickte. „Woher wusstest du eigentlich, dass es ein niederländisches Modell ist? Sonst hätte ich hier ewig herumprobieren können.“
„Mein Informant hat mir das geflüstert“, brüstete sich Eckhart.
„Der gleiche, der dir auch die Steinchen abnimmt?“ Heinz drehte den Griff und zog die schwere Tür auf.
„Genau.“ Beide leuchteten in den Tresor. Dort lagen Wertpapiere, ein Bündel Bargeld, ein paar goldene Uhren und ein Säckchen.
Heinz steckte das Geld ein und Eckhart nahm den Beutel und schüttete den Inhalt auf die Handfläche seines Handschuhs.
Mindestens dreißig kleine durchsichtige Edelsteine schimmerten im Taschenlampenlicht.
Eckhart füllte die Steine in einen Plastikbeutel und steckte ihn in seine Jackentasche.
„Los, nichts wie weg hier.“ Heinz schloss den Tresor und sie verließen die Pfandleihe.
Sie hängten die Tür wieder ein - was nur zur Hälfte gelang. Aber bis morgen früh würde der Einbruch wahrscheinlich unentdeckt bleiben.
So schnell wie möglich gingen sie weiter und blieben plötzlich wie festgewachsen stehen.
Ihnen kam ein Polizist entgegen.
Eckhart steckte Heinz die Steinchen zu. „Nimm du sie!“
„Ich bin doch nicht verrückt!“ Heinz wollte sie zurückgeben, doch Eckhart wehrte sich.
Der Polizist kam näher. Heinz überkam die Angst. Er wollte auf keinen Fall ins Gefängnis. Kurzer Hand stopfte er den Beutel in den nächsten Kieselsteinhaufen.
„Guten Abend die Herren! Na, auf einen abendlichen Spaziergang unterwegs?“ Der Polizist tippte sich an den Mützenschirm.
Heinz brach in Schweiß aus, aber Eckhart blieb ruhig: „Ja, wir wollten das schöne Wetter nutzen.“
„Kann ich verstehen.“ Der Polizist sah kurz nach oben in die sternenklare Nacht. „Haben Sie zufällig etwas ungewöhnliches beobachtet? Randalierer oder so? Eine Anwohnerin meinte verdächtige Personen gesehen zu haben.“
„Nö. Du etwa Wolfgang?“, Eckhart zog den Namen extra in die Länge.
Heinz schüttelte energisch den Kopf.
„Also dann schönen Abend noch!“, der Polizist verabschiedete sich mit einem Tippen an die Mütze.
Als er um die Ecke gegangen war, stürzte sich Eckhart auf den Haufen und zog den Beutel heraus.
„Nein! Was hast du getan?“, fragte er bestürzt. Der Beutel war gerissen und sein Inhalt zwischen den Kieselsteinen verschwunden. „Es ist viel zu dunkel. Und bei den vielen schimmernden Kieselsteinen finden wir die Edelsteine so schnell nicht wieder. Wir kommen bei Tagesanbruch zurück.“

Am nächsten Morgen
Eckhart und Heinz hatten sich mit Schaufel, Eimer und Sieb der Nachbarskinder bewaffnet und bogen in die Straße ein.
Wie angewurzelt blieben sie stehen, bei dem Anblick, der sich ihnen bot:
Sand und Kieselsteine waren verschwunden, die Straße wurde gerade geteert und die letzten Pflastersteine verlegt.
„Du Idiot!“, schimpfte Eckhart und warf seinen Eimer auf den Boden.
„Moment, wir haben noch das Bündel Scheine!“, Heinz zog das Geld so aus der Tasche, das nur sie beide es sehen konnten.
„Lass uns bloß abhauen, nicht dass uns irgendwer erkennt. Und deinen Bündel Reichsmarkscheine kannste zum Verfeuern nehmen!“
Mit hängenden Schultern verließen die den Tatort und trotteten davon.

Letzte Aktualisierung: 27.04.2014 - 17.42 Uhr
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