Sexlibris
Sexlibris
Wo ist die Grenze zwischen Pornografie und Erotik? Die 30 scharfen Geschichten in diesem Buch wandeln auf dem schmalen Grat.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Susanne Ruitenberg IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Verdammt und zugenäht | Mai 2014
Familienkaffee
von Susanne Ruitenberg

„Es ist alles eine Phase, es geht vorbei“, murmelte ich. Das hatte mir damals im Elefantenturnen meine Mattennachbarin Steffi beigebracht, als ich das erste Mal hecheln übend dort lag. Sie bekam ihr viertes und kam mir vor wie die personifizierte Coolness. Für mich war alles neu und aufregend.
Und jetzt ist mein Großer seit drei Tagen Achtzehn und mit meinem Auto unterwegs, der Mittlere ist beleidigt, weil ich ihm den Staubsauger in die Hand gedrückt habe, und die Kleine, stolze Zehn, hat sich beim Versuch, ihre Fingernägel giftrosa zu lackieren die halbe Flasche Lack über das neue Kleid geschüttet. Was sie erst fünf Minuten vor dem Eintreffen der Gäste für den gemütlichen Familienkaffee cum Grillabend anziehen sollte.
Wie machen andere Mütter das, nicht auszurasten und ihre Brut an die Wand zu nageln in solchen Situationen?
In dem Moment klingelte das Telefon. Ich streckte die Hand danach aus und griff ins Leere. „Verd..., wo habt ihr schon wieder ...?“
„Hier, Mam.“ Lennox hielt mir den Hörer hin und begrüßte die willkommene Ausrede, den Staubsauger auszuschalten. Schneller als ein geölter Blitz verschwand er aus dem Wohnzimmer. „He, komm zurück, du bist noch nicht fertig. Und du zieh dich aus.“
„Was soll ich?“, kam aus dem Hörer. Bernd. Klar. Hat er je einen Einkauf über die Bühne gebracht, ohne drei Mal dummes Zeug zu fragen? Zeug, was ich ihm schon Hundert Mal erklärt habe?
„Nicht du. Mia. Was gibt’s?“
„Was für Eier wolltest du haben? Und wie viele? Du hast nur ‚Eier‘ geschrieben. Das ist unpräzise.“
Ich zählte innerlich bis zehn. „Erstens. Wir kaufen nur Freiland oder Bio. Zweitens. Ich will nur Größe L, weil meine Rezepte sonst nicht funzen. Und drittens habe ich dir schon Tausend Mal gesagt, dass du immer mindestens zwei Zehnerpacks kaufen sollst, weil sie sonst nach einem Frühstück ...“
„Es gibt nur Sechserpacks.“
„Dann nimm vier. Ist das so schwer umzurechnen? Wer ist hier der Banker?“
Ich drückte ihn weg, bevor er mich noch mehr Stuss fragen konnte und widme mich meinem heulenden Nesthäkchen.
Die Haustür wurde aufgeschlossen und Philipp spazierte nonchalant mit Sonnenbrille und Baseballkappe herein, in jeder Hand einen Getränkekasten. „Wohin damit?“
„Wie wär‘s mit dem Gästeklo?“
Er sah mich an wie ein Auto. „Echt jetzt?“
„Natürlich nicht, du Döspaddel. Trag sie in den Keller. Und häng meinen Autoschlüssel an seinen Platz. Ich habe keine Lust, ihn zu suchen. In zwei Tagen hast du deinen eigenen.“
„Ich kann‘s kaum erwarten. Freiheit, die ich meine!“

Wir waren gerade mit dem Kaffeetrinken fertig, als es klingelte. Phil schoss zur Tür und kam kurz darauf mit einer pinkfarbenen Sporttasche zurück.
Mia sprang auf. „Sind das die Sachen? Kann ich mal sehen?“
Philipp hielt die Tasche so hoch, dass Mia keine Chance hatte.
„Später.“
„Och Menno, du hast es versprochen.“
Lennox hielt sein Smartphone in der Hand und feixte. „Das wird dein neues Profilfoto.“
„Isch mach disch platt, Alder!“
Bernd und seine Mutter wechselten ihren typischen Ich-verstehe-die-Welt-und-die-Kinder-die-Lydia-erzogen-hat-nicht-mehr-Blick, während meine Eltern abwartend grinsend der weiteren Ereignisse harrten und mein Schwiegervater, wie immer, im Hintergrund stand und tat, als ginge ihn das alles nichts an.
„Mam, kann ich morgen deine Leopardenleggins haben?“
Jetzt musste ich geguckt haben wie ein Auto. Bevor ich zu einer Frage ansetzen konnte, rief Lennox: „Philippina Wurst“ und kugelte sich vor lachen.
Phil grinste. „Diese Woche verkleiden wir uns jeden Tag, ist ja unsere letzte in den heiligen Hallen der Institution Schule. Morgen Geschlechtertausch, übermorgen Superhelden und am Mittwoch kommen wir alle in Pyjamas.“ Er öffnete die Tasche und zog einen pinkfarbenen BH heraus. „Cool.“ Er hielt ihn sich vor die Brust. „Wie funktioniert das? Ich weiß nur, wie man so was aufmacht.“
Aha. Interessant. So kommt’s raus. Andererseits, er ist achtzehn. So alt war Bernd, als wir zusammenkamen. Mein Gott, wo ist nur die Zeit hingerast?
Meine Mutti stand auf. „Das ist ganz einfach. Du machst ihn vorne zu und ziehst den Verschluss nach hinten und klappst die Körbchen hoch.“
Mia schüttelte vehement den Kopf. „Oma, das reicht nicht als Erklärung. Das ist ein Mann!“
Sekundenlange Stille.
Dann brüllten wir alle vor Lachen, auch Phil. Mia stand mit unschuldigem was-habe-ich-denn-jetzt-wieder-Lustiges-gesagt-Blick in der Mitte und bückte sich schließlich nach der Tasche. Mutti hatte Phil inzwischen den BH angelegt – sehr apart auf seinem Star Wars T-Shirt. „Passt. Am besten stopfst du Watte hinein.“
„Wie geil ist das denn?“, rief meine Jüngste und hielt eine silberblonde Perücke hoch.
„Du sollst nicht ‚geil‘ sagen“, rügte ich automatisch und stand auf, um die Leopardenleggins zu holen.
Ich verzichtete auf die Frage, wer meinem Großen die Sachen geliehen hatte und woher seine einschlägigen Erfahrungen im Öffnen dieses typisch weiblichen Bekleidungsstückes stammen.
Wenn es was Ernstes wird, erfahre ich es früh genug.


©Susanne Ruitenberg
Version 1

Letzte Aktualisierung: 20.05.2014 - 15.49 Uhr
Dieser Text enthält 5152 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.