Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Verdammt und zugenäht | Mai 2014
Zugenäht und ... Plan gelungen!
von Helga Rougui

Will aus Quellen Qualle quillen
Schnelle Stroms zu Wassers Fall
Wally wallt in Wolle Wellen
Orlla millcht geWellten All

***

All? Aal? Lalala?
Kuno legte den Stift beiseite.
So ging das schon einen ganzen Monat. Dummsinn. Sinnentleerte Wortspielerei.
Thema verfehlt. Überflüssig. Albern. Blöd.

Er seufzte.

Er hatte von Frau R. den Auftrag bekommen, eine Geschichte zum Monatsthema Mai zu schreiben, weil ihr nach sieben Jahren Fließbandproduktion - verdammt und zugenäht! - nicht mehr so recht was einfallen wollte. Der Text sollte elegant, tiefgründig, wortgewaltig, sensibel, themengerecht und mit einem generellen humanistischen Anspruch daherkommen, und keinesfalls sollte in irgendeiner Form auf der Klaviatur der Ideenlosigkeit einer verkanteten Autorin herumgeklimpert werden – Geschichten, die mit dem Gedanken kokettierten, daß dem Schreiberling zum Thema nicht mehr so recht was einfallen wollte, hatte es in den letzten Jahren genug gegeben. (Auch gern immer wieder mal aus der Feder von Frau R. ...)

So also hatten die Anweisungen gelautet, die Kuno erhalten hatte, bevor Frau R. mit zwei riesigen Koffern, 30 Kilo Übergewicht (was nicht an den Gepäckstücken lag), einer Kollektion schriller Bikinis Größe XXXL und diversen Flaschen altersgerechter Sonnenmilch SF 60+ sowie einem auf stumm gestellten Smartphone in die Karibik entschwunden war. Offensichtlich waren Rückfragen, Gemaule und Wehklagen von seiten ihres Schreibkulis unerwünscht.

Was macht denn nun die Maus, wenn ihr so recht nichts einfallen will?
Kuno rief sich zur Ordnung. Darauf sollte er gerade nicht herumreiten, das war ihm ja verboten. A propos herumreiten, er könnte vielleicht einen kleinen Ritt zur nächsten Kneipe wagen, um seine Gehirnströme zu lockern und die quellenden Quallen daraus zu vertreiben. Dafür brauchte er eine solide Grundlage. Also briet er sich ein Spiegelei und dann deren drei, und er aß sie alle auf, und er machte sich Eier Benedikt und anschließend Rührei mit Kräutern, und er aß sie alle auf.
So ging das noch eine Weile weiter. Kuno liebte Eier – Symbol des Lebens und der nahtlosen Vollkommenheit. Just als er überlegte, ob er vielleicht noch einen winzigen Strammen Max ...? - da klingelte das Telefon. Kuno schaute auf das Display: sein bester Freund Bruno Spaßprotz!

- Na, schmeckts? Leugne nicht, ich kenne dich. Mon cher ami, pack den Pfannenwender weg. Meine Idee für heute abend: Maskenball in der Waldhalle! Ich hab auch schon die Kostüme für uns. Gleich bin ich da.

Kuno hatte eben den Hörer aufgelegt, da klopfte es auch schon an der Baumhaustür.
Fein, fein, würde er sich halt einen netten Abend machen. Sollte doch die Pflichtgeschichte für eine Weile dahin verschwinden, wo der Pfeffer wächst – geradewegs in die Gewürzlande, wo sich Frau R. vermutlich räkelte. (Hoffentlich an einem Strand voller wabbeliger Quallen.) Gar nix würde er jetzt schreiben, auch wenn zehnmal morgen der Abgabetermin war. Er war zwar Frau R.s Geschöpf, aber nicht ihr Sklave. Er hatte schließlich auch ein Privatleben.

Während er sich mental von seiner Ghostwriterabhängigkeit zu distanzieren suchte, hatte sein Freund die Kostüme ausgepackt, und – Kuno traute seinen Augen nicht – seins war eine naturgetreue Nachbildung – fein gehäkelt und gestrickt aus den echtesten Kunstfellen und mit allen grimmigen Details versehen– seines Erzfeindes Pauli!

Das war doch mal was anderes als immer nur als Cowboy oder Waldblume oder Biene Maja zu gehen!

Während Bruno sein Bärenkostüm zurechtzupfte, versuchte Kuno in sein Katerkostüm zu schlüpfen, und das ging auch ganz gut, bis er den Reißverschluß, der auf der Vorderseite der Länge nach angebracht war, schließen wollte. Er mußte wohl das eine oder andere Ei zuviel eingesaugt haben in letzter Zeit, denn die Zipperzähnchen rissen sich voneinander los und Kuno stand da wie eine aufgeplatzte Frucht, fühlte sich nicht Katz noch Maus beziehungsweise beides zugleich und keines so ganz.
Unhaltbarer Zustand. Blöde Idee, dieser Maskenball. Er würde zuhause bleiben, sich ein Omelett braten und brav diese dämliche Geschichte schreiben -

- aber da stand schon Bruno vor ihm mit spitzer Nadel und lang eingefädeltem festem Leinenfaden, halt still, sonst piekts, und begann Kunos Anzug bäuchlings in kleinen, akkuraten Stichen von oben bis unten zuzunähen. Dabei summte er aus erfindlichen Gründen "Happy Birthday Mr. President". Als er fertig war, trieb er Kuno zur Eile an, denn " wir wollen doch nicht the Late Kuno&Bruno sein", nicht wahr?

2500 Straßsteinchen blinkten in memoriam MM an der Decke der Waldhalle, als Kuno und Bruno den Tanzsaal betraten. Kuno fühlte sich hervorragend, sein Kostüm saß wie eine zweite Haut, war praktisch mit ihm verschmolzen, und die leicht angegruselten, aber von seiner Erscheinung höchst faszinierten Blicke der Partygäste und besonders der Gästinnen machten sein Inneres prickeln, und diesmal war eine andere Art von Appetit als sonst der Grund. Eine Mischung aus Respekt, Furcht, Bewunderung und Lüsternheit schlug ihm entgegen – derartiges hatte er als kleine graue Maus nie erlebt. Was ein Paar spitze Ohren, ein seidiges Fell, elegant gedrechselte Schnurrhaare und einige scharfe Krallen – besonders letztere – doch für einen entscheidenden Unterschied machten!

Katz und gut, Kuno verbrachte mit seinem Freund und den schönsten Mäusedamen, die ihm allesamt zu Pfoten lagen, einen wunderbaren Abend und eine rauschende Ballnacht.
Als er im Morgengrauen ins Bett taumelte, hatte er nicht mehr die Kraft, sein Kostüm aufzutrennen und auszuziehen, Das konnte warten, bis er ausgeschlafen hatte.

***

Als Kuno sich gegen Abend den Sandmann aus den Augen gerieben hatte, mußte er feststellen, daß das Unterfangen, sich seines Kostüms zu entledigen, sogar noch länger warten mußte als gedacht.
Vielleicht sogar bis an sein Lebensende.
So sehr er auch seinen Bauch absuchte, die von Bruno gelegte Naht war nicht mehr aufzufinden, sie war einfach nicht mehr da.
Gleichzeitig merkte er, wie ihm das Kostüm nun endgültig nicht mehr wie übergestülpt am Körper saß, sondern als ein ihm zugehöriger Teil seines ureigenen Seins mit ihm verwachsen war.
Und das Wichtigste – er fühlte sich anders als sonst.
Mutig, stark, lustvoll, weniger hungrig.
Und frei.

Da kam ihm die ultimative Idee. Er ging zu seinem Schreibtisch, fuhr seinen Laptop hoch und schrieb folgende Mail:

From
kuno53@gmail.com
To
hochladen@schreib-lust.de
Cc
cannelle53@gmail.com
Date
22. Mai 2014 19:37
Subject
Mai-Geschichte 2014 – Verdammt und zugenäht

Hallo Andreas,

leider hat sich Frau R. in die Karibik abgesetzt.
Sie wollte ein bißchen betrügen und mich die Geschichte für sie schreiben lassen.
Ich habe aber ab sofort nichts mehr mit der Dame, weil verdammt noch mal Besseres zu tun.

Das Leben wartet auf mich!

Also, very sorry, keine Geschichte im Mai von Frau R.

Mit freundlichen Grüßen
Kuno der endlich Zugenähte

***

Derweil am anderen Ende der Welt, siebentausend Kilometer entfernt.

Tiefblaues Meer, Tropensonne satt, ein endloser – völlig quallenfreier - Sandstrand, schattenspendende Palmen, Cocktails mit und ohne Schirmchen rund um die Uhr.

Frau R. liegt tiefenentspannt in ihrem Liegestuhl. Sie läßt ihren Blick schweifen bis zum Horizont und murmelt wie von ungefähr:
- Jetzt dürfte der Kleine die Kurve gekriegt haben. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert ...

Noch mal sechstausend Kilometer weiter ordnet Mr. T seine Goldketten und grinst.

Letzte Aktualisierung: 27.05.2014 - 22.03 Uhr
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