Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Oder so ähnlich.
Im Grunde kann ich mit Sprichwörtern nicht viel anfangen.
Ebenso wenig wie mit Klischees.
Und doch fand ich mich plötzlich mitten drin wieder.
Aber der Reihe nach!
Rundum fit, beruflich erfolgreich, gesegnet mit einer gesunden, hübschen Tochter (wenn auch mitten in der Pubertät!) und einer ausgeglichenen Partnerschaft erschien mir mein Leben wie ein nicht enden könnender, beschwingter Tango. Mit Mitte vierzig hatte ich mehr erreicht, als ich zu träumen gewagt hätte und das Alter lag weit weg im Nebel der Zukunft. Ich war mehr als zufrieden. Ich war glücklich!
Irgendwann kam diese Elfriede in unser Haus, eine unattraktive Person mit Adlernase und mattbraunen, stumpfen Haaren. Ihre blecherne Stimme, das laute scheppernde Lachen und ihre herrische Art passten blendend zu ihrem Aussehen. „Eine ganz liebe Freundin“, wurde sie mir vorgestellt. Nun ja ...
Wir waren uns in der Wahl unserer Freunde und Freundinnen immer mit Offenheit, Toleranz und Akzeptanz begegnet. Es gab für mich keinen Anlass, dies jetzt zu ändern. Selbst als diese Person begann, mich mit reichlich aggressiven Sprüchen zu attackieren, ging ich ihr lieber aus dem Weg anstatt ein Familiendrama daraus anzuzetteln. Zickige Weiber gibt es nun einmal. Vielleicht hatte sie ja ihre Tage oder befand sich, was ich bei ihrem Äußeren für wahrscheinlicher hielt, mitten in den Wechseljahren? Alles nicht so wichtig. Von SO einer ließ ich mir mein Wohlgefühl gewiss nicht verderben!
Nach einem unserer regelmäßigen Besuche im Fitnesscenter sprach mich Jojo, mein alter Freund noch aus Kindergartenzeiten, darauf an. „Findest du nicht, dass diese Elfriede sich arg viel herausnimmt? Stört dich das nicht?“ Souverän winkte ich ab: „Die ist so blöd, die baut sich selbst wieder ab, wirst sehen! Und außerdem“, ich grinste ihn an, „verschafft uns das Freiräume. Wir können ohne schlechtes Gewissen dreimal die Woche hier trainieren und anschließend noch ein Bierchen trinken. Ist doch auch nicht übel, oder?“
Der Groschen fiel bei mir erst, als mich meine Tochter Pia eines Abends beim Heimkommen abfing. Sie zog mich in die Küche, verriegelte die Tür und sah mir mitten ins Gesicht. „Papa, merkst du wirklich nicht, was hier abgeht?“ Mein Gesicht verwandelte sich in drei Fragezeichen.
„Mensch Papa! Elfriede und Mama ...“ Tränen stiegen ihr in die Augen. Arglos fragte ich: „Ja und? Sie sind Freundinnen. Was soll´s?“ Jetzt rollten die Tränen über Pias Wangen. „Mensch Papa! Mach doch mal die Augen auf! Die haben doch was miteinander!“ Pia schluchzte herzerweichend.
In meinem Kopf erhob sich ein heftiges Getümmel. Pias Schmerz. Jojos seltsames Gebrabbel. Die schiefen Blicke der Nachbarn. Kristinas ungewohnte Launenhaftigkeit ...
Aus dem Getümmel in meinem Kopf wurde ein einziger, großer Knoten. Wie ein Panther sprang er mich an, spuckte mir seinen stinkenden Atem ins Gesicht und rülpste: „Kristina und Elfriede! Lesbisch! Verpiss dich, Kurt!“
Es war zum Lachen.
Ich lachte. Es klang wie das Röhren eines waidwunden Hirsches.
Doch nicht zum Lachen. Zum Weinen.
So wie Pia das schon eine ganze Weile tat. Ich nahm sie in den Arm. „Pia, Mäuschen, das kriegen wir schon wieder hin! Mama gehört doch zu uns! Jetzt geh mal in dein Zimmer und beruhige dich. Ich klär das!“
Da war es, das Klischee. Alle hatten es offenbar gewusst, nur ich nicht. Beschämend!
Aus dem Wohnzimmer klang kirrendes Kichern, dann dröhnendes Lachen. Da hockten sie wohl beisammen, die Liebenden. Machten sich lustig über den dämlichen Kurt, der als einziger vertrauensvoll eine angebliche Freundschaft geduldet, ja begleitet hatte. Kurt, der blöde Blinde. Haha.
Und was mich, zugegeben, am Ärgsten traf war die Tatsache, dass mich offensichtlich eine hässliche, uncharmante alte Ziege aus der Arena geworfen hatte. Elfriede! Kein Wunder, dass die lesbisch war! Kein Mann hätte sich je nach der umgedreht! Was konnte Kristina nur an ihr finden?
Wäre es ein gut aussehender, erfolgreicher, finanzstarker und berühmter Mann gewesen – ja, das hätte mich schon ins Grübeln gebracht. Das wäre eine echte Konkurrenz gewesen! Eine Herausforderung! Einer Anstrengung wert! Aber E l f r i e d e??? Eine Lachnummer, oder?
Selbstverständlich stürmte ich trotzdem ins Wohnzimmer. Angespannt, aber gesprächsbereit.
Irgendwie klappte es nicht. Kristina schien erleichtert, dass ihr jemand meine Aufklärung abgenommen hatte. Und diese Elfriede schwang große Reden, denen zu Folge ich Kristina niemals verstanden hätte, immer nur an mich dächte, überhaupt und generell nur mich sähe, ein „selbst aufgeblasener Luftballon“ sei.
Auch meine Toleranz kennt Grenzen!
Ich packte das Weib und zerrte es nach draußen.
Kristina blieb noch diese eine Nacht.
Sprachlos.
Am nächsten Tag war sie mit ihren Sachen verschwunden.
Pia heulte sich durch den Tag, verweigerte Nahrung und Ansprache.
Das Leben ist ein Kampf!
Was uns nicht umbringt, macht uns härter!
Ich fand eine ausgezeichnete Psychotherapeutin, bei der Pia in den besten Händen ist.
Mein Anwalt regelt die rechtlichen Schritte. „Böswilliges Verlassen“ gibt es leider nicht mehr. Aber er leuchtet alle Möglichkeiten aus, dass Kristina nicht das hauptsächlich von mir erarbeitete Vermögen mit dieser Elfriede verprassen kann. Gespräche verliefen leider völlig unangemessen, waren genau genommen nicht möglich, so dass wir inzwischen alles über Anwälte regeln müssen. Zum Glück kann ich mir den ausgefuchsteren leisten ... Alles, was Recht ist, aber ich kann mir schließlich nicht die Butter vom Brot lutschen lassen!
„Kurt, du musst wieder mehr unter Menschen gehen! Das Leben geht schließlich weiter!“ Wie recht Jojo hat!
Wobei die Agentur, die er mir empfohlen hat, ein echter Reinfall war!
Blind Date.
Oha.
Fünf Minuten für jede Kandidatin.
Mehr als genug!
Normalerweise hätte ich nicht mal eine an diese Damen verschwendet.
Ein Forum für Selbstdarsteller.
Blablabla ...
„Ich weiß, was richtig ist, mein Herr.“
„Ihre Meinung in allen Ehren, aber leider ist sie zu widerlegen – mit meiner!“
Zwanzig Narzistinnen.
Das hatte ich schon.
Nein danke!
Dann lieber ohne ...
Nun ja.
Nicht wirklich.
Drei Monate ist es her, dass Kristina ausgezogen ist.
Und vorher war es auch nicht mehr ..., nun ja, wie soll ich sagen?
Sie hatte ständig Migräne ...
Ich habe mich dann im Alpenverein angemeldet.
Die bisherigen Treffen waren vielversprechend, muss ich sagen.
Bei Wanderungen bin ich immer vorne dran.
Das Fitnesstraining zahlt sich eben aus.
Die Damen honorieren das mit Bravorufen.
Männer sind ohnehin wenige dabei, offenbar fehlt ihnen die nötige Kondition. Wer weiß, wobei noch?
Ich glaube kaum, dass die wandernden Frauen alle Singles sind.
Männer haben nun einmal, äh, Bedürfnisse.
Frauen auch, nehme ich an.
Wenn auch nicht so.
Wahrscheinlich.
Wie auch immer ...
Sie heißt Renate.
Und hat wirklich flinke Beine.
Hübsche Beine obendrein.
Kräftige Wadeln, schmale Fesseln, glatte Haut.
Letzten Sonntag waren wir wieder unterwegs.
Bis die anderen nachkamen, hatten wir auf der Hütte schon zwei Radler gezischt.
Geredet haben wir nicht viel.
Aber manchmal ist man im Einklang, ohne Worte bemühen zu müssen, nicht wahr?
Sakradi!
Wie heißt es so schön?
Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Ich denke, ich werde auch das selbst übernehmen ...
Barbara Hennermann
Mai 2014 V 2
Letzte Aktualisierung: 25.05.2014 - 17.58 Uhr Dieser Text enthält 7397 Zeichen.