Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Ingo Pietsch IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Verdammt und zugenäht | Mai 2014
An der Kasse
von Ingo Pietsch

So schnell war ich noch nie einkaufen gewesen: Nach gerade mal zehn Minuten stand ich schon an der Kasse.
Vor mir standen noch ein Teenager mit Energy-Drink und eine ältere Dame, die gerade bezahlte: Sie schüttete ihre gesamte Münzsammlung neben ihre Baumwolltragetasche, in der Hoffnung, es passend zu haben. Natürlich fehlten acht Cent.
Nicht weiter schlimm, doch das Aufsammeln der kleinen Münzen mit den nicht mehr so gelenkigen Fingern dauerte seine Zeit.
Dafür war die Kassiererin so nett und half ihr. Wahrscheinlich auch, damit sie keine zweite Kasse rufen musste. Denn hinter mir hatten sich schon mehrere Frauen mit Wagen angestellt.
Mit meinem kleinen Einkauf, bestehend aus Mett und Soße, würde es eh nicht lange dauern.
Während ich den Fleischtresen noch alleine gefunden hatte, musste ich nach dem Soßen-Fix fragen. Ich erntete als erstes einen bemitleidenswerten Blick, als könne ich nicht kochen. Natürlich konnte ich das, aber meine Frau wartete schon ungeduldig zuhause auf mich.
Gerade bezahlte der Teenager das „gesunde“ Nahrungsergänzungsmittel, da erschall auf einmal der Walkürenritt von Richard Wagner. Gleichzeitig vibrierte mein Handy in der Hosentasche.
Meine Frau, wer sonst? Bis ich mein Handy aus der Tasche gefriemelt hatte, war die Melodie mit jeder Wiederholung so laut angeschwollen, dass ich schon befürchtete, eine Anzeige wegen Lärmbelästigung zu bekommen.
Ich drückte hastig auf den grünen Telefonhörer: „Ja, was ist?“
„Wir brauchen noch ...“, statisches Rauschen.
Ich sah aufs Display: Ein Balken Empfang.
Mein Blick traf den der Kassiererin.
Sie sagte: „Ich lege Ihre Sachen mal zur Seite.“
Dankbar und mit rotem Kopf nickte ich ihr zu und ging zum Schaufenster.
Drei Balken, mehr ging nicht.
„Hallo? HALLO!“, hörte ich, ohne dass ich das Handy ans Ohr hielt.
„Schatz, was ist denn? Ich stehe gerade an der Kasse.“
„Ich brauche noch eine Packung Eier. Kannst du mir die mitbringen?“
„Ja, klar. Sonst noch was?“, fragte ich genervt.
Bevor ich eine patzige Antwort bekommen konnte, übernahm ich sie selber: „Oh, kein Empfang mehr“, sagte ich und legte auf.
Ich wollte so schnell wie möglich wieder nachhause. Die Kinder waren in der Schule und da ich oft Frühschicht hatte, genoss ich die morgendliche Ruhe.
Wenigstens wusste ich, wo die Eier waren. Ich war oft genug mit meiner Frau einkaufen gewesen. Eigentlich kaufte sie ein. Ich schob nur den Wagen, packte die Sachen aufs Band, lud sie wieder ein, bezahlte und verstaute alles im Wagen, während sie sich mit irgendwelchen Leuten unterhielt, die ich nicht kannte.
Alleine kaufe ich lieber ein. Das geht viel schneller. Und ich kann mir Computerzeitungen ohne Kommentar ansehen. („Die sind doch viel zu teuer!“)
Was ich auch nicht verstehe: Sie packt den Wagen voll mit Süßigkeitenkrams, aber wenn ich eine Tafel Schokolade dazulege, werde ich gleich eines bösen Blickes bedacht.
Aber zurück zu den Eiern: Einmal quer durch den ganzen Laden, bis in die hinterste Ecke. Einkaufspsychologisch geschickt, muss man so doch alle Regale passieren. Schön fürs Geschäft. Schlecht für meine gepeinigten Füße. Rollschuhe wären jetzt schön.
Während ich nach unten auf meine Füße schaute und mir vorstellte durch die Gänge zu gleiten, trat ich auf den Rest einer Scheibe Wurst, die so großzügig an kleine Kinder an der Wursttheke verteilt wurden. Lecker.
Ich versuchte meinen Schuh auf dem Boden sauber zu klopfen und wirkte dabei wahrscheinlich wie ein Stepp-Tänzerauf Extasy. Jedenfalls schüttelte die junge Frau mit Wurst kauendem Kind an der Hand den Kopf, als sie mich passierte. „Am helllichten Tag schon“, murmelte sie vor sich hin.
Immerhin passte mein Tanz gut zu der Melodie, die gerade im Einkaufsradio gespielt wurde. Angeblich sollte sie ja verkaufsfördernd wirken. Aber die einschläfernde Fahrstuhlmusik, mit der man berieselt wurde, ging mir auf die Nerven.
Nach einer gewissen Zeit hörte ich sie sowieso nicht mehr.
Ich nahm eine Abkürzung durch die Drogerieabteilung. Hier hatte ich auch schon so manche einschlägige Erfahrung gemacht. Auf dem Einkaufszettel meiner Frau hatte einmal nur Shampoo gestanden. Das war bei der riesigen Auswahl schwierig. Für mich selber war das einfacher. Ich kaufte eins für alles.
Ich rief also zuhause an und sie sagte: „Das rote!“
Das half mir auch nicht weiter.
Sie dachte kurz nach: „Zweiter Meter von Links. Dritter Boden von oben. Viertes von rechts.“
„Da steht aber ein blaues!“, sagte ich schadenfroh.
„Ja, genau das. Die haben die Verpackung geändert.“
In Gedanken daran bei den Eiern angelangt, bückte ich mich und stach mir fast ein Auge an einem dieser Reduziert-Schilder aus, das aus der Etikettenschiene ragte. Die günstigen Eier standen nun mal unten und waren vollkommen ausreichend.
Ich hatte mal gelesen. dass wir Deutschen die billigsten Lebensmittel kaufen und die teuersten Autos fahren. Das traf zwar nicht auf mich zu, aber irgendwo musste man ja sparen.
An der Kasse hatte sich eine ellenlange Schlange gebildet. Komischerweise waren alle gleichzeitig dorthin gegangen, denn hinter mir war niemand mehr zu sehen.
Ich hatte die Packung Eier gerade aufs Band gelegt, als eine zweite Kasse geöffnet wurde. Die drei Damen vor mir hatten auch nicht viel zu bezahlen. Im Nachhinein stellte sich das aber als Fehler heraus, denn die Großeinkäufe nebenan waren schneller abkassiert.
Schließlich war ich dran. Die Kassiererin reichte mir das Mett und das Fix.
Sie scannte alles und fragte: „Haben Sie unsere Bonuspunktekarte?“
Ich zog den Stapel mit meinen Bonus- und Mitgliedskarten aus meinem Portmonee und fand sie tatsächlich auf Anhieb.
„Das macht dann vier Euro achtundachtzig bitte.“, sagte sie freundlich.
Mein Kleingeld hatte ich am Vortag ins Sparschwein geworfen. Also öffnete ich das Geldscheinfach, und zog, ohne hinzusehen, einen beschriebenen Zettel heraus und reichte ihn der Kassiererin
„Tut mir Leid, wir nehmen nur Bargeld, keine Schuldscheine.“
Ich starrte auf den Zettel, den sie mir unter die Nase hielt: „Danke Papa, dass du mir Zwanzig Euro geliehen hast!“, stand darauf mit rosa Filzstift geschrieben.
Ich zerknüllte ihn. „Kann ich mit Karte zahlen?“
„Erst ab fünf Euro.“
Toll! Ich schnappte den erstbesten Schokoriegel und schon war das kein Problem mehr.
„Bitte Karte entnehmen. Brauchen Sie den Kassenbon?“
„Ja, bitte.“ Ich nahm ihn entgegen.
„Und noch einen Rabattcoupon dazu. Möchten Sie Treuepunkte, Sammelbilder oder den Prospekt für nächste Woche?“
Irgendwie fühlte ich mich erschlagen von den vielen Fragen und die Kassiererin redete sich den Mund fusselig.
Ich nahm meinen Einkauf in die rechte Hand und versuchte am Auto vergeblich mit der linken Hand den Autoschlüssel aus der rechten Hosetasche zu fischen.
Ich stellte alles aufs Dach und schloss auf. Dann verstaute ich die Sachen auf dem Rücksitz und fuhr, mit dem Schokoriegel im Mund, völlig entspannt nach Hause.

P.S.: Beim Ausladen stellte ich fest, dass ich die Eier auf dem Dach vergessen hatte.

Letzte Aktualisierung: 21.05.2014 - 13.28 Uhr
Dieser Text enthält 7050 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.