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Verdammt und zugenäht | Mai 2014
Trivial Pursuit
von Reiner Pörschke

„Ich hab so Hunger“, zwei Augen voller Angst schauen ihn an, „ muss ich sterben?“ Er drückt seine Kleine zärtlich an sich. „Mein Schatz, nein, ich hol dir was, morgen.“ Die Mutter schweigt, verzweifelt, sie kann ihr Kind nicht anlügen. Das kalte Bauernhaus ist alles, was sie noch haben, die Vorratskammer ist leer. Die Ernte ist schlecht gewesen, und jetzt ist es Herbst.

Novemberabend, Nebelschwaden, ein feiner Regen fällt. Die nahen Berggipfel sind wie von Zauberhand verschwunden, nur graue Fichten verstellen seinen Weg. Das macht nichts, im Wald hinter seiner Hütte kennt er sich aus wie kein zweiter. Er hastet weiter ins Dunkel. „Nicht so schnell“, ruft ihm sein Knecht zu, der drei Schritt hinter ihm ist und immer wieder stolpert. „Ich hab’s eilig“, ist die Antwort, „heute muss es klappen. Du weißt, dass wir schon halb verhungert sind. Vreni liegt halbtot auf dem Heu, kein Wunder bei der ewigen Milchsuppe und dem alten Brot, was uns noch geblieben ist. Ein Braten muss her, mit kräftiger Brühe. Egal wie!“, bricht es aus dem Bauern hervor. Mit dem Mute der Verzweiflung blickt er um sich. Nichts, außer jagenden Wolken am nächtlichen Himmel und dem Rauschen des Sturmwinds im Wald. Endlich, ein Schatten taucht vor ihm auf. Zitternd vor Kälte in den Gliedern wickelt er seine alte Büchse aus der löchrigen Wolldecke. „Tu’s nicht“, wispert sein Knecht. „Ich muss“, ist die karge Antwort, „einer muss dran glauben, meine Familie, die Hirschkuh oder...“ Er denkt lieber nicht weiter.

Sorgfältig zielt er auf das große Tier zwischen den Bäumen, ein Knall, die Hirschkuh kracht zu Boden, nicht ohne furchtbare Todesschreie auszustoßen. Schnell sind die beiden Männer bei ihrer Beute, stoßen ihre Messer in den noch zuckenden Körper, schneiden hastig große Brocken Fleisch heraus. Dann ein Klirren von Metall, andere Schatten tauchen vor den beiden auf. „Verdammt, die Knechte des Bischofs“, stößt der Bauer hervor. Er blickt in lange eiserne Spieße, auf seinen Hals gerichtet. Sie sind umstellt, Widerstand ist zwecklos. Sie werden gefesselt und zum Hohensalzberg gebracht.

Der Bischof stiert in der Gerichtsverhandlung wortlos auf den Bauern, sein Richter führt das Wort. „Wilderei hast du begangen, auf frischer Tat ertappt. Du weißt, welche Strafe darauf steht, der Tod. Tod durch das Schwert.“ Der Bauer schweigt, nichts anderes hat er erwartet.
Da ergreift der Bischof das Wort und lächelt: „ Du hast doch die Hirschkuh so geliebt, du sollst sie ganz nah bei dir haben.“ Der Bauer guckt verwundert hoch, sollte der verhasste Bischof einmal Menschlichkeit zeigen und seine Familie mit dem Fleisch vor dem Verhungern bewahren? Er blickt in dessen Gesicht, hofft auf ein mildes Urteil. Da verzerrt sich die Miene des Bischofs zur grimmigen Fratze. „ Du wirst Sonntag auf dem Marktplatz sterben, doch nicht durch das Schwert. Das Fleisch der Hirschkuh ist fort, aber wir haben ja noch die Haut. Da passt du rein und wirst es bequem haben.“ Der Bauer blickt verstört um sich. Er versteht den Richterspruch nicht, auch nicht die Zuhörer, die unruhig werden. Der Bischof fährt mit eisiger Miene fort: „Ich will es euch erklären. Die Haut der Kuh wird zugenäht, damit er es im Innern recht warm hat. Wenn auch nicht lang, dann lass ich meine hungrigen Doggen los, damit die auch ihren Sonntagsschmaus bekommen.“

So geschieht es an einem Sonntag vor Weihnachten in Salzburg. Nach der Messe im Dom wird die Hinrichtung um die Mittagszeit mit johlenden Zuschauern zum Volksfest. Zwei Ochsen bringen auf einem Holzkarren die aufgeblähte Hirschkuh zur Mitte des Marktes, wo die Knechte des Bischofs die schwere Last auf die Pflastersteine werfen. Die Schergen machen sich einen Spaß daraus, mit ihren Lederstiefeln immer wieder auf die unförmige Masse einzutreten, die Branntweinflasche kreist, aus der sie sich bedienen. Das Opfer sieht man nicht, nur markerschütternde Schreie voller Angst, Schmerz und Wut gellen über den Platz. Da ertönt das Kommando: „Hunde los.“ Frau und Tochter des Bauern müssen mit ansehen, wie sich die hungrige Meute wild bellend auf die tote Kuh stürzt. Die scharfen Zähne der Doggen schlagen sich durch die Haut, beißen weiter und fressen mit blutigen Lefzen begierig zerfetztes Fleisch. Die Schreie des Opfers verstummen...


***


Wir saßen beim sonntäglichen Kaffee, als sich ein wenig Langeweile ausbreitete. Ein Spiel zur Unterhaltung musste her, die Wahl fiel auf „Trivial Pursuit“. Ich zog zufällig eine Spielkarte, die die obige Geschichte in vier dürren Zeilen zusammenfasste, wobei die Jahreszahl des Geschehens zu schätzen war. Diese Geschichte hat sich im 16. Jahrhundert in Salzburg zugetragen. Trivial Pursuit, alltägliche Verfolgung.

Version 2

Letzte Aktualisierung: 13.05.2014 - 08.53 Uhr
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