Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Der Schlüssel bewegt sich im Schloss der Haustür und Alison spürt die allabendliche Angst in sich aufsteigen. Hier kommt John von der Arbeit. Das gleich darauf folgende Knallen der Tür verrät ihr: Hier kommt ein wütender Mann nach Hause. Er betritt die Küche, wo sie am Herd steht und zitternd im glühenden Wok rührt. Das Essen für ihre Kinder und sie ist gleich fertig. John grummelt ihr ihr ein Guten-Abend entgegen. Dann stellt er wie immer ihr geliebtes Radio aus und legt eine zornige Punk-CD ein. Der heftige Beat vermischt sich mit dem brodelnden Mahl in der Pfanne. Sie weiß, was jetzt hinter ihrem Rücken vor sich geht, hört das dumpfe Schmatzen der Kühlschranktür und gleich darauf das metallische Zischen der ersten Dose Bier, die ihr Mann in hörbaren Schlucken in sich hinein schüttet. Jetzt setzt er sich auf den Küchenstuhl und hält seine allabendliche trunkene Residenz. Sie fühlte seinen vorwurfsvollen Blick zwischen ihren Schulterblättern. Angstvoll schweigend serviert sie das Abendessen, fragt die Kinder mit gedämpfter Stimme nach ihrem Schultag, füllt Saft nach. Sie sind das gewohnt, er isst nie mit ihnen. Das Beste, was ihnen passieren kann, ist eisiges Schweigen aus der Küche, durchbrochen vom Zischen beim Öffnen der nächsten Bierdose. Alle drei wissen, dass sie den von der Welt gekränkten einsamen Wolf drinnen in der Küchenhöhle nicht erzürnen dürfen.
Alison singt ihre Kinder in den Schlaf: Ade nun zur guten Nacht/Jetzt wird der Schluss gemacht, weil ich muss scheiden/Im Sommer, da wächst der Klee, im Winter, da schneit’ s den Schnee/da komm ich wieder. Sie ist todmüde und zieht sich das Nachthemd über den Kopf; verharrt lange im Dunkeln, auf der Kante des Ehebetts sitzend. Sie fröstelt, sie müssen Heizkosten sparen. Die Kälte kommt nicht von draußen, sie steigt auf von ihrem Herzen. Sie hat den ganzen Tag um des lieben Friedens willen ein falsches Leben geführt, ein schlechtes Stück gespielt und dabei immer nur gelächelt. Hier, im Ehebett, vermag ihr Körper nicht zu lügen und sie fürchtet den Augenblick, da ihr Mann ins Schlafzimmer tritt. Ihre Lustquellen sind schon vor langer Zeit versiegt. Ihr nackter Fuß stößt an die Dose Vaseline neben dem Bett. John schleppte sie eines Abends an, um die Reibungsverluste zwischen ihnen geschmeidiger zu machen. Die Dose ist inzwischen von einer dicken Staubschicht überzogen. Die Tür geht auf, ihr Mann tritt leicht schwankend ins Zimmer, stolpert, im Dunkeln unterdrückt fluchend, an ihr vorbei zu seiner Seite des Bettes. Er entkleidet sich in der Schwärze des Zimmers und legt sich wortlos neben sie. Alison hält den Atem an. Nach ein paar Minuten erfüllen unregelmäßiges Schnarchen und ein säuerlicher Geruch das Schlafzimmer.
Jetzt beginnt ihre Nacht, die Stunde der Wahrheit. Im Dunkel des schweigenden Hauses breitet sich die Wüste in ihrem Herzen aus und überzieht die Gegenstände mit ihrem trockenen Staub. All die Pflänzchen der Liebe, die sie in den Sand ihrer Ehe setzte, sind längst verdorrt und sie sucht, endlos um ihr einsames Herz kreisend, nach irgendeiner Oase, in der die Hoffnung noch erblühen könnte. Die unruhigen Suchbewegungen ihres Geistes kreisen um den Schatten der schönen marokkanischen Lampe, die sie einst liebevoll über dem Ehebett anbrachte. Sie stoßen sich am Druck der nacktsinnlichen Modigliani-Frau, die über dem Kopf des schnarchenden Mannes hängt, sie brechen sich an den Kinderbüchern, die ihre Süßen um das Ehebett verstreut haben. Der Grübel-Alb zieht seine endlosen Gedankenschleifen durch das schlafende Haus, nach einem Licht am Ende des Tunnels spähend, und kehrt doch immer wieder mit leeren Händen zu ihr zurück. Der Grübel-Alb nimmt Fahrt auf, die Suchbewegungen werden panisch, sie erfüllen das stille Haus mit dem Lärm ihres sinnentleerten Tanzes. Es ist der Todestanz von Bruder Schlaf. Für ihn ist kein Platz in ihrer lärmenden Wüste. Da geht die Schuldkiste auf, die sie hinten im Wandschrank versteckt hat. Die alten Schatten springen heraus, wabern um das Ehebett, fallen über sie her und zwicken sie am ganzen Körper mit ihrer bekannten Litanei: Du kannst diesen Mann nicht verlassen, denn du bist selbst schuld an der Situation. Wenn du ihn nur bedingungslos lieben würdest, dann könntest du ihm helfen, denn er braucht Hilfe. Aber er ist zu stolz, um Hilfe von dir anzunehmen. Außerdem schaffst du das nicht allein mit den Kindern, du brauchst ihn. Also halt durch, gib klein bei und schlaf jetzt, damit deine Kinder morgen eine fröhliche Mutter haben. Schlafe! hämmert es in ihrem zermarterten Kopf. Schlafe! Wenn Du jetzt nicht sofort schläfst, wird das Morgen genauso qualvoll wie das Heute. Schlafe! Das Gebrüll in ihren Ohren schwillt an zum Orkan.
Sie hält das nicht mehr aus, springt aus dem Bett und verlässt das bierdunstige Schlafzimmer, schleicht im Dunkeln die Treppe hinunter. Schlaflos wird diese Nacht bleiben wie die letzte und unzählige zuvor – aber sie gehört ihr. Sie tritt ans Küchenfenster und schiebt den Vorhang beiseite – Da ist sie wieder, ihre Füchsin. Wie immer um diese nächtliche Stunde streift sie durch die Siedlung, nach Nahrung suchend für ihre Kinder. Ihr geschmeidiger, stark abgemagerter Körper bewegt sich lautlos im gelblichen Schein der Straßenlaterne. Alison kann sogar ihre Zitzen sehen. Die Füchsin hält kurz inne, reckt ihre Schnauze prüfend in die Nachtluft und scheint plötzlich in ihre Richtung zu sehen. Ihr Herz beginnt freudig zu klopfen, da ist das Tier schon in einen dunklen Gang gehuscht. Gleich darauf hört Alison das Gepolter einer umgeworfenen Abfalltonne. Ihre Füchsin ist stark und schlau. Sie überwindet jedes Hindernis, um an Nahrung zu kommen, die sie an ihre Brut weitergibt. So abgezehrt ihr schlanker Körper wirkt, sie ist eine fuchsschlaue Mutter, die für ihre Kinder sorgt – koste es, was es wolle. Im Rascheln, das von der Mülltonne zu ihr dringt, spürt Alison eine starke Energie, die sie mit der Füchsin verbindet. Es ist der Mutterinstinkt, der sie beide im einsam nächtlichen Kampf ums Überleben durchhalten lässt. Die Liebe einer Mutter ist reine Hingabe an das Leben und lässt sie Dinge vollbringen, die sie sich im Traum nicht zugetraut hätte. Aus reiner Liebe kann sie sich in unbekannte Gefahrenzonen begeben, nicht wissend, was es sie kosten wird, ihre Kinder groß und stark zu machen. Danke, Füchslein, flüstert Alison, du hast mich an etwas erinnert.
Die Füchsin tritt aus der dunklen Gasse, im Maul einen Klumpen Abfall. Für einen Moment verharrt sie unschlüssig am Bordstein. Dann trippelt sie eilig mit ihrer Beute davon, mitten auf der Fahrbahn. Alison geht zum Küchentisch, schlägt ihr Tagebuch auf und schreibt: Ich werde es machen wie die mutige Füchsin. Ich werde meinen Mann verlassen und mich zum Schutze meiner Kinder auf die Reise ins Unbekannte begeben. Auf mich selbst gestellt – wie mein Füchslein.
Sylvia Schöningh-Taylor
Letzte Aktualisierung: 14.05.2014 - 18.31 Uhr Dieser Text enthält 7010 Zeichen.