'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Verdammt und zugenäht | Mai 2014
Josis große Stunde
von Klaus Freise

„Er lebte einst im Grenzland, brachte Tod und Verderben über die Menschen. Fraß das Vieh von den Weiden, verbrannte die Ernten und Höfe und …“ Willard sah von dem Buch auf und eine Motte befreite sich aus seinem zerzausten Bart. Sie flog zu einer der rußenden Talgkerzen und bevor der Falter der Flamme zu nahe kam, griff Josi behutsam zu.
„Ja, wie den Hof meiner Eltern“, sagte sie, während die Motte in ihrer Hand kitzelte.
Betreten schob Willard seine Gläser höher auf die Nase. „Tut mir Leid, Josi, ich wollte dich nicht wieder daran erinnern, aber sieh einmal, hier ist eine Zeichnung.“
Er drehte das schwere Buch mit den vergilbten Seiten so, dass Josi und Uslan der Schmied besser sehen konnten. In Willards kleiner Bauernkate spendeten nur drei Talglichter spärliches Zwielicht. Die Fenster waren, wie auch alle Wände mit Büchern, Schriftrollen und allerlei Gefäßen vollgestellt. An der niedrigen Decke hingen Sträucher und Kräuterbündel. Es roch nach Erde und frischen Blumen. Uslan hatte bisher kaum zugehört und sich in der Hütte umgesehen. Er hatte zusammen mit seiner Frau die kleine Josi bei sich aufgenommen, nachdem ihre leiblichen Eltern bei einem Feuer umgekommen waren. Jetzt beugte er sich vor und sagte erstaunt:
„Es gibt ein Bild von dem Viech?“ Dabei wollte er Josi mit der Hand über den Kopf wuscheln, aber sie duckte sich.
Willard räusperte sich: „Ja, es gibt nur noch diesen Einen.“
Josi sah genau hin und tippte auf das Bild.
„Was ist das hier für eine Figur, Onkel Willard?“
„Hm, sieht aus wie ein Mensch.“
„Der sieht aber sehr klein aus.“
Willard zwinkerte ihr zu. „Vielleicht ist der Drache einfach nur sehr groß.“
Josi hielt ihre geschlossene Hand ans Ohr. „Ich glaube, ich bringe mal meinen kitzeligen Freund nach draußen.“ Sie ging durch den vollgestellten Raum zur Tür.
Kaum war sie draußen, zischte Uslan los: „Verdammt, Willard. Was habe ich denn über Drachen gesagt? Hör auf der Kleinen diesen Blödsinn zu erzählen.“
„Ich? Sie hat doch den Drachen während des Überfalls gesehen, okay, nur sein Auge durch den Kamin. Aber trotzdem.“ Dabei hielt er einen Lederflicken hoch, auf dem Josi ein Auge gemalt hatte. „Damals war sie fünf. Heute wird sie zehn und heute ist wieder Vollmond, wie damals.“
„Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, drehe ich dir deinen verschrumpelten Hals um.“
Willard schlug mit der Hand auf den Tisch. „Verdammt und zugenäht, ich habe ihn selbst gesehen.“
Uslan schreckte zurück und stammelte: „Du hast was? Ihn gesehen? Einen Drachen?“
Der alte Mann straffte sich. „Allerdings. Oben am Sichelberg hat er seine Höhle. Ich war dort und habe etwas gefunden. Es liegt dort auf den Büchern.“ Er deutete auf einen Stapel in einem Regal, dessen Brett sich unter der Last durchbog. Langsam erhob sich Uslan und nahm zwei bräunliche Platten in die Hände.

„Sieht aus wie Schindeln für ein Dach, sie sind sehr leicht. Was ist das?“
„Tja mein Freund, es sind Schuppen. Die Schuppen eines fast tausend Jahre alten Drachen. Hier in diesem Buch hat ein … nun ja, sagen wir mal Zauberer oder Gelehrter, alles über Drachen niedergeschrieben.“ Er tippte auf die aufgeschlagenen Seiten. „Ich vermute, alle fünf Jahre wird dieser nordische Dornenkopf wieder über das Land ziehen und seine Opfer suchen.“
„Und was hat das mit mir zu tun?“ Josi stand an der Tür und starrte die beiden an.
Uslan hob seinen Becher, sah hinein und murmelte: „Jetzt brauche ich etwas zu trinken, aber nicht dieses heiße Wasser mit Kräutern.“ Während Willard Josi auf seinen Schoß hob, damit sie besser sehen konnte, nahm sich Uslan einen Krug aus einer Ecke.
„Alles hat mit dir zu tun, Josi. Ich versuche es dir zu erklären. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Uslan hatte inzwischen den Krug entkorkt und roch daran.
„Puh, was ist denn da drin, Willard?“
Ohne von dem Buch aufzusehen, sagte dieser: „Kuhpisse, Uslan. Ich dicke sie an und mache daraus Salbe gegen meine Gicht. In dem Krug dort an der Erde ist Honig-Met.“
Schnell knallte Uslan den Korken wieder auf das Gefäß, holte das Met und schenkte sich den Becher voll. „Ah, endlich was für einen durstigen Schmied.“
„Wenn du mit trinken fertig bist, nimmst du den Topf da drüben und schmierst die Räder meines alten Karren hinter dem Haus.“ Uslan stutzte.
„Was für einen Karren?“
„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich zu Fuß bis zum Sichelberg laufe?“ Bei diesen Worten hatte Willard sehr bestimmt und fest geklungen. Als Uslan sprechen wollte, wischte Willard mit der Hand durch die Luft. „Schluss jetzt, wichtig ist, dass ihr mir nun unbedingt vertraut.“ Verdattert nahm Uslan den Topf, roch daran und meinte:
„Riecht wie Schmalz.“
Willard verdrehte die Augen. „Es ist Schmalz und nun pack dich fort.“
Als Uslan die Hütte verlassen hatte, sah Josi sich das Bild des Drachen an.
„Sind das die Dornen, da an seinem Kopf, Onkel Willard?“
„Ja genau, er hat einen Kragen aus Knochen, die so dick wie mein Unterarm sind und er lebt oben am Sichelkopf in seiner Höhle. Dort wollen wir jetzt hin. Du brauchst keine Angst zu haben, Josi.“ Die schüttelte nur den Kopf.
„Was macht der Mann dort mit dem Drachen? Reden die?“
„Tja, sieht so aus.“ Willard tippte auf eine Textstelle. „Hier steht, was er sagt. Aber das interessiert dich sicher nicht. Aber hier siehst du die Schuppen in den Händen des Menschen.“ Willard gab Josi die beiden Drachenschuppen.
„Danke, Onkel Willard, aber lies es mir doch vor. Ich kann ja noch nicht lesen, genau wie Uslan.“ Sie kicherte. Und Willard las.


Leichte Schneeflocken tanzten um das seltsame Gespann. Auf der Ladefläche des Karren hatte Willard sich mit Josi im Arm in eine dicke Decke gehüllt. Uslan saß auf seinem Pferd und zog die Fuhre. Er drehte sich in seinem Pelzmantel um und rief: „Wie weit noch, Willard?“ Dieser hatte sich flüsternd mit Josi unterhalten und antwortete:
„Bis der Schnee endet.“
Und tatsächlich wurde der Schnee weniger und der Weg steiniger. Nach fast zwei Stunden holpriger Fahrt hatten sie ein Geröllfeld erreicht. Das fahle Mondlicht ließ keine Bäume mehr erkennen. Uslans Pferd stemmte sich noch ein paar Schritte weiter und blieb dann trotzig schnaufend stehen. Am Ende des steinigen Feldes ragte der Sichelberg in den sternklaren Himmel empor.
„Helft einem alten Mann mal vom Wagen“, bat Willard. „Und seid jetzt leise. Seht ihr den großen gezackten Block? Von dort kann man den Höhleneingang sehen.“
Uslan strich dem Pferd über die Nüstern. „Wonach riecht es hier?“
„Schwefel und Ruß. Josi, bleib dicht bei mir. Gehen wir.“ Gemeinsam kletterten sie bis zu dem großen Stein vor. Vorsichtig lugten sie daran vorbei. Gerade hundert Schritte vor ihnen öffnete sich im Fuß des Berges ein halbrundes Loch, so groß wie eine hohe Tanne. Im Inneren glitzerten die Wände wie poliertes Glas. Willard flüsterte: „Er hat mit seinem heißem Atem das Gestein geschmolzen. Seht ihr die dunkle Masse im Eingang, mit den unregelmäßigen Kanten? Das ist sein Kopf.“ Uslan packte Willard an der Schulter.
„Willard, das ist doch Wahnsinn, lass uns …“ Aus der Höhle klang ein Knacken, als würde trockenes Holz zerbrechen. Tiefes Schnauben, das durch ein Echo aus der Höhle noch verstärkt wurde. Alle drei standen erstarrt. Atemlos.
„Geh jetzt und denk an die Schuppen“, flüsterte Willard. Uslan streckte die Hand nach Josi aus. „Sie wird nirgendwo hingehen, ich werde nicht zulassen …“

Gestein splittert. Der Kopf ruckt hoch. Die Schnauze schiebt sich ins Mondlicht. Ein Klaue schabt wie Kreide über eine Schiefertafel. Zwei orange Punkte fixieren sie. Uslan schreckt zurück und stolpert zu Boden. Der Drache ist erwacht.
Josi hört Willard rufen. Uslan liegt benommen am Boden. Der Drache schiebt sich knirschend weiter aus der Höhle. Sie läuft los. Behände klettert sie über die Steine. Der Kopf des Drachen erhebt sich, pendelt hin und her. Neigt sich nach unten. Josi bleibt stehen, ihr Herz hämmert gegen die Brust. Direkt vor ihr saugt er die Luft ein. Ihr Mantel zieht sich ihm entgegen. Dampfender Geifer tropft vor ihre Füße. Der Gestank von Tod und Schwefel lässt sie den Atem anhalten. Sie schließt die Augen und streckt die blau schimmernden Schuppen dem Drachen entgegen. Seine Schnauze ruckt hoch, er legt den Kopf in den Nacken und holt rasselnd Atem. Josi steht erstarrt vor ihm. Da senkt er das geöffnete Maul und fauchend sprüht ein Strahl gleißendes Feuer hervor. Doch Josi spürt die Hitze nicht. Vor ihren ausgestreckten Händen weichen die Flammen in alle Richtungen davon. Ein Schild aus blauem Licht steht vor ihr. Als der Feuersturm endet und Josi wieder atmen kann, ruft sie:
„Du kannst mich nicht töten. Damals nicht und heute nicht. Ich verdamme dich. Dein Atem soll nie wieder Tod und Verderben über die Menschen bringen. Du sollst in die ewige Dunkelheit verbannt werden. Ich befehle dir: Weiche in die Dunkelheit.“

Uslan war von Willard auf die Beine gezerrt worden und hörte Josis Stimme. Laut und kristallklar. Der Drache riss schnaufend und fauchend den Kopf zurück. Sein Dornenpanzer stieß knirschend gegen den Eingang. Steine und Staub rieselten herab. Unter sichtbaren Qualen rutschte der Körper zurück. Brüllend schlug der Kopf gegen die Decke. Gestein prasselte auf sein Maul. Krachend lösten sich Blöcke über der Höhle. Der Kopf verschwand unter einer gewaltigen Staub- und Steinmasse. Der Boden bebte und der Aufprall der Gesteinsblöcke presste Uslan die Luft aus dem Körper. Hustend vor Staub tappte er über die Steine und krächzte: „Josi?“ Dann lauter: „Josi?“ Schreiend: „Joosii?“
Eine staubbedeckte Gestalt kam auf ihn zu und warf sich in seine Arme. „Hier, Vater, hast du das gesehen, Vater?“ Uslan liefen die Tränen über das Gesicht, als Josi ihn Vater nannte und fest an sich drückte.
„Ja, mein Kind, das habe ich.“



Klaus Freise ,Version 2

Letzte Aktualisierung: 27.05.2014 - 08.49 Uhr
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