Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
Gamma Ray
Helen a.k.a. die deutsche Helga schreit in der Art auf mich ein, die man hysterisch nennen könnte. Weniger gut sozialisierte Menschen täten ihr einfach eine runterhauen und sie anfarzen, sie soll aufhören zu flennen.
Als Zweitsemester-SozPäd versuch ich’s mit Nähe und komm mir gleichzeitig wieder vor wie der letzte Macho-Asi, weil ich ’n Semi-Ständer krieg, als ich ihre Astro-Titten gegen meine Wuttke-Chicken-Breast drück. Trotz Helens Geflenne hör ich meine Nachbarin Frau Halberstaedt durch die Stäbe des Treppengeländers sensationsgieren: „Haben Sie sich von Beate getrennt, Herr Wuttke?“
„Steffi“, korrigier ich, während ich mein Becken diskret zurückzieh, was wahrscheinlich optisch wie ’ne schwule Mischung aus Tai Chi und orthopädischem Turnen rüberkommt.
„Ach nein, wie tragisch. Aber Sie trösten sich ja recht schnell.“
Bevor ich das Missverständnis ausräumen kann, hat sich Helen umgedreht und blökt in die Tiefen des - Halberstaedt sei Dank – Meister Proper ausdünstenden Hausflurs: „Ey, mein Alter liegt verstrahlt im Thermonuklear-Labor, also verwahr dir die Beziehungsscheiße für deine Kaffeekranz-Lesben, ja?“
Ich sag: „Schhhh, Helen! Alles wird ... extrem cremig ... irgendwie ... zu guter Letzt!“
Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass das Einzige, was wirklich cremig wird, Pavarotti seine Zellen sind, wenn er weiter in Vollzeit und ohne Schutzkleidung Ostblocktrafos auseinanderrecycelt.
Helen hockt wie das personifizierte Leiden an meinem Küchentisch. Also bau ich erst mal zwei Stifts - logo, ich würd nie ’n anderes Pils klientenzentriert oder gesprächsverführerisch einsetzen - vor uns auf und lass sie konfabulieren.
Aus dem Laber-Wust, ab und zu mit ’nem Stifts-Rülpser durchsetzt, folger ich, dass bei Pavarotti im Betrieb ’n unangemeldeter Sondertrupp vom Regierungspräsi aufgelaufen ist.
Und die Jungs haben ihre Messsonden wohl überall reingehalten. Wahrscheinlich auch in die Kerften von Pavarotti und seinen Bastelfreunden.
Und sich dann ziemlich schnell auf die Variante festgelegt, ’n Tschernobyl-Light entdeckt zu haben. Die ganze Schrauber-Gang is’ erstmal komplett auf ’ne Iso-Station gewandert und Helen hat nur durch ’ne Panzerglasscheibe mit dem Paveman quatschen dürfen, was Helen immens angepieselt hat und zu dem Spruch motiviert Wenn ihr Gas reinleiten wollt, dann holt erst meinen Typ da raus, der is’ schließlich Deutscher.
„Und dann haben die Nuttenschwestern mich rausgeworfen.“
Ich spar mir das zu Recht, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Helen/Helga kein Nazi is’, sondern nur viel Scheiße von irgendwelchen Asis nachplappert, die sie nich’ so richtig reflektieren tut.
„Was is’ mit Lonna Lindsey?“, frag ich.
Helen ext ihr Stifts. „Was?“
„Ich mein, wenn Pavarotti in Quarantäne is’ und du hier, wo is’ dann eure Tochter?“
„Ich weiß nich’ ... keine Ahnung“, sagt sie und glotzt mich an, als hätt ihr gerade jemand jegliches Hirn mit ’ner Ballpumpe aus der Rübe abgesogen.
Mir wird irgendwie etwas übel, als ich so drüber nachgrübel. „Helen, hör mir gut zu, du hast sowas Ähnliches wie ’n Schock. Denk nochmal genau drüber nach, was du gemacht hast, bevor du ins Krankenhaus bist.“
Sie schnappt sich mein Stifts und nimmt ’n Mörderhieb. „Ich hab keine Ahnung.“
„Heute Mittag, denk an heute Mittag. Da hast du sie bestimmt gewickelt, oder?“
„Oah, Wuttke , ich - weiß - es - nicht!“
O.k., I need assistance! Und zwar prontös!
Die beste Steffi der Welt hält Helen im Arm und säuselt so auf sie ein wie die Pu-Bären mit Bei-Bauchdruck-Kinderlied-Aktiviere. Babsi hört sich das ’ne Weile an, aber als kranke Schwester mit Psychiatrie-Zusatz-Quali hat sie ’ne andere Lösungsstrategie, holt kurz aus und knallt - apropos Sozialisation - Helen voll eine links und rechts mit der Flachen. Fehlen nur noch die roten Zöpfe und das unter der Nase Reiben, weil Helen reflexmäßig ausspuckt: „Ich hab’s, Lonna Lindsay is’ bei meinem Dad.“
„Na bitte, geht doch“, meint Babsi und knallt Helen gleich noch eine. „Und das ist dafür, dass du Wuttke kurz vor den Herzinfarkt getrieben hast.“
Ich überleg noch, ob ich das richtigstellen soll, aber Babsi hat bereits ’n Plan: „Ich guck jetzt mal, was du im Kühlschrank hast, Wuttke, dann mach ich uns ein paar Schnitten für den Weg, und dann gucken wir, wie wir Rene fix aus der Quarantäne holen können. Das heißt“, sie dreht sich zu Steffi, „wenn du damit einverstanden bist, dass ich den Kühlschrank von deinem Freund durchforste, Cherie!“
Steffi wirft ihr ’ne Kusshand zurück.
Irgendwie macht mir so viel Harmonie Angst. Und dass die beiden plötzlich französisch kommunizieren auch ...
„Meinst du Lonna Lindsay is’ gut bei Helens Punk-Dad aufgehoben?“
Steffi zuckt mit den Schultern: „Er wird mit der Kurzen Oi-Videos gucken und ’n riesigen Pott Brei für sie beide kochen. Ich glaub, da lebt sie bei Pavarotti und Helga, äh, Helen gefährlicher.“
„Hmm, vielleicht haste Recht“, sag ich und dann, weil’s mich einfach plötzlich überkommt, als wir in ’ne Abteilung einbiegen, über der ’n fettes Schild Ultraschall/Sonographie prangt: „Wie is’ das eigentlich mit uns und Kindern?“
Steffi bleibt stehen. „Wird das jetzt ’ne amtliche Diskussion über Verhütung oder willst du heute noch ganz dringend eins haben?“
Ich sag: „Nee, ich wollt nur mal so hören, wie du grundsätzlich dazu stehst ...“
„Ich hasse kleine Terrorblagen, die keine Ordnung halten können und mit ihren Rotznasen überall hintropfen, oder die plötzlich im REWE verschwinden, und du denkst, die sind entführt und dann krabbeln sie irgendwo unter ’nem Sonderangebots-Tisch raus und du darfst ihnen noch nicht mal ’n Klapps auf den Hintern geben, weil die Kassiererin sonst das Jugendamt ruft ...“
„Steffi ...“
„Und dann kriegst du keinen Kindergartenplatz und kannst nur noch in Teilzeit arbeiten oder musst irgend’nem unzuverlässigen Blöd-Teenie Geld für’s Babysitten in den Rachen stopfen, von dem du eh weißt, dass er entweder seine sämtlichen Teenie-Freunde zum Videogucken in deine Bude einlädt oder sich von ’nem anderen Blöd-Teenie in deinem Bett nageln lässt, während dein Kind mit beschissener Buchse im Kinderzimmer hockt. Aber im Prinzip ...“
„Steffi ...“
„Lass mich ausreden. Aber im Prinzip wär so ’n kleiner Mini-Woody recht witzig ...“
„Wow.“
„Aber ich werd mich nich’ in so’n Krankenhaus legen, ohne ’ne anständige Bikini-Zonografie vorher.“
„Häh?“
„Das is ab heute mein neues Codewort für Schamhaare gut in Shape gebracht kriegen.“
„Und wer macht sowas?“
„Ach, vergiss es, Woody, wenn ich’s erklären muss, is’ es nich’ mehr lustig.“
Die Station selbst kommt so asig rüber wie dieser eine Pseudopuff, wo’s unter der Bahn her in den Dortmunder Norden geht.
Pavarotti sieht echt scheiße aus, was aber auch dran liegen könnte, dass jeder in ’nem gepunkteten OP-Hemd scheiße aussieht. Die Situation is’ denkbar bizarr. Wir stehen also vor der Panzerglasscheibe und Pavarotti residiert dahinter auf ’nem 70er-Jahre-Kackstuhl.
„Ey, ich bin sowat von froh, dat da getz Schluss is’...“
„Das hab ich dir schon tausend Mal gesagt, dass du dir einen vernünftigen Job suchen sollst“, farzt Helen ihn durch die Scheibe an. Neben ihrem irren Blick irritiert mich vor allem diese knallrote Pagenkopf-Perücke von Babsi, die wir ihr aufgestülpt haben, weil sie ja eigentlich Hausverbot hier im KH hat.
„Und ich hab dir schon tausend Ma’ gesagt, dat dat nich’ so easy is’, da regulär auszusteigen, ohne dat dir jemand ’ne Kalischnikov anne Rübe hält.“
„Was ist denn bis jetzt an Routine gelaufen, Rene?“, erkundigt sich Babsi.
„Ey, keine Peilung, wir kriegen ja nur ’n einziges Programm“, meint Pavarotti und zeigt auf seinen ost-irgendwas-ischen Kollegen, der auf der TV-Bedienung rumhackt, als wär’s ’n verfickter Taschenrechner.
„Ich meinte eigentlich eher Untersuchungen“, konkretisiert Babsi.
„Ey, woher soll ich dat wissen? Frag doch ma’ Mr.Sulu“, gibt Pavarotti ’n dezenten Hint auf den Doc, der grad reinkommt.
„Sind Sie verwandt mit die Herr Pavermann? Ansonsten muss ich bitten Sie gehen.“
Babsi zischt Helen zu, sie soll bloß die Fresse halten.
Und in Ermangelung ’ner richtig geilen Idee zieh ich die alte Ramones-Nummer ab: „Klar, Herr Doc, ich bin Jonny Pavermann, das is’ DeeDee Pavermann, sie is’ Tommy Pavermann und die dahinten Joey Pavermann.“
„Halten Sie mich für eine komplette Idiot?“, entrüstet sich der Doc, der mich mehr an Gung aus der Lindenstraße als an Mr.Sulu erinnert, „habe ich alle Alben von die Ramones seit Blitzkrieg-Bop.“ Was ich dringend nachprüfen muss, weil ich mein, Blitzkrieg Bop is’ nich’ der Titel der Scheibe.
„Sorry, Doc, wir meinen das nich’ so“, lenkt Steffi ein, „wir machen uns halt nur Sorgen um unseren Kumpel Rene, weil er ist ’n echt toller Sänger.“
„Wenn er ’n bisschen weniger am Saufen wär“, relativier ich, was mir ’n Bofrost-Blick von Steffi einbringt.
„Wie schlimm ist das denn mit der Verstrahlung?“, fragt Helen, und irgendwie glitzern ihre Augen so, als wenn sie gleich bleddern würd.
Gung/Sulu schweigt sich ’n Moment aus und erklärt dann: „Wegen Strahlung mache mich keine Sorgen, wir beobachten, und in zwei Wochen neutralisiert. Was mir Angst mache, ist dies hier“, und er knallt zwei von Pavarottis Text-Inspirations-Materialien auf den Tisch: Liebling, ich habe die Hoden geschrumpft und James Bondage - Gerüttelt, nicht geschnürt ...
Steffi und ich sitzen in unserer Lieblingsfrittenschmiede Hermann der Chorizo und hauen uns jeder ’n Po-Westfalica-Teller rein. Auf einmal meint Steffi: „ Lonna Lindsay is’ schon süß.“
„Mmmh“, sag ich, weil mir grad ’n fingerdickes Stück Wurst die Spreche sperrt.
„Ach Scheiße, Woody, ich will bestimmt mal Kinder mit dir haben, aber ich will das jetzt noch nich’ planen ...“
„Geht mir genauso.“
„Gut“, seufzt Steffi, „ich hab schon befürchtet, ich wär jetzt der Arsch.“
„Quatsch, wieso das?“
Sie beugt sich zu mir rüber und gibt mir ’n Frittenfett-Knutscher: „Aber vielleicht sitzt ja heute trotzdem noch ’ne kleine Bikinizonografie dran ...“
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Letzte Aktualisierung: 27.07.2014 - 19.21 Uhr Dieser Text enthält 10404 Zeichen.