Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Schön sein | August 2014
Creme de la Creme
von Ingo Pietsch

Der Tee dampfte, das Brötchen war mit leckerer Konfitüre bestrichen und die Tageszeitung lag aufgefaltet auf dem restlichen Frühstückstisch, da der Platz gegenüber leer war.
Klaus blätterte um. Eigentlich hatte Sabine zusammen mit ihm frühstücken wollen, da er heute frei hatte und sie später anfing.
„Bine?“, rief Klaus in den Flur hinein.
Sabine antwortete nicht, kam aber blind tastend in die Küche. Gurkenscheiben klebten ihr auf den Augen und ein weiße Creme war über das ganze Gesicht verteilt. Sie trug noch ihr Nachtshirt und hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Klaus sagte nichts und beobachtete ungläubig, Sabines Versuch ihren Platz zu erreichen.
Erst als sie schmerzhaft mit den nackten Zehen gegen das Tischbein gestoßen war, fand sie den Stuhl.
„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr. Was hast du da eigentlich in deinem Gesicht?“, wollte Klaus wissen.
„Eine Quarkmaske!“, nuschelte Sabine, damit der Quark an Ort und Stelle blieb.
Als sie sich setzte, löste sich eine Gurkenscheibe schmatzend von einem Auge und fiel mit einem Platschen auf die Zeitung.
„Also, ich habe meinen Aufstrich lieber auf dem Brötchen“, kommentierte Klaus.
Sabines Auge funkelte ihn böse an.
„War nicht so gemeint“, munterte Klaus sie auf. „Mach dich erst einmal fertig und ich mache dir inzwischen ein Brötchen.“
Sabine nickte und ging.
Klaus wusste, wie wichtig Sabine ihr Aussehen war und dass sie viel Zeit darin investierte. Aber er respektierte es.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Sabine wiederkam.
Sie trug eine Bluse und eine legere Hose. Da sie in einer angesehenen Anwaltskanzlei arbeitete, legte man dort Wert auf ein gepflegtes Äußeres.
Die Gurkenmaske war dem Make-up gewichen, dass ihr Gesicht fast vollständig verdeckte und es makellos wirken ließ.
Sabine vertrug keine Kontaktlinsen, deswegen umrahmte eine Brille mit schwarzem dicken Kunststoffgestell ihr Gesicht und passte perfekt zu dem strengen Haarknoten, um das klischeehafte Bild einer Sekretärin zu vervollkommnen.
Sabine drehte sich im Kreis und fragte fröhlich: „Und, wie sehe ich aus?“
„Perfekt, wie immer“, gab Klaus zurück. Und das war nicht gelogen.
Sie warf ihm noch einen Luftkuss zu und schnappte sich ihre Tasche. Damit verließ sie die Wohnung.
Klaus freute sich schon auf den Abend, wenn sie wieder da war und sich abgeschminkt hatte. Dann bekam er die „echte“ Sabine zu sehen, die er so liebte. Den weichen Schmollmund; die Lachfältchen um die Mundwinkel und Augen; die feinen Unregelmäßigkeiten an der Stirn von Windpocken, die Sommersprossen auf den Wangen und die Narbe auf dem Kinn von einem Fahrradunfall in ihrer Kindheit.
So war Sabine für Klaus perfekt. Klaus seufzte und genoss den Tag.

Gegen Abend stürmte eine völlig aufgedrehte Sabine durch die Tür. Sie warf ihre Tasche in eine Ecke, ihre Brille fiel auf die Erde, weil Sabine das Sideboard verfehlt hatte und löschte mit dem Wind, den sie verursachte die Kerzen auf dem Tisch, mit dem Essen, das Klaus vorbereitete hatte.
„Bine? Alles in Ordnung?“, fragte Klaus verwundert. „Ist irgendwas Schlimmes passiert?“
„Nein, alles ok“, antwortete sie durch die Badezimmertür.
Erst ging die Toilettenspülung, dann der Wasserhahn. Dann strömte ein Alkoholgeruch in den Flur, dass Klaus leicht benebelt wurde. Schließlich hörte er ein Reißen von Papier.
„In der Drogerie gibt es diese neue Creme. Die trägst du auf, lässt sie einwirken und brauchst dann den ganzen Tag kein weiteres Make-up, weil es die Haut glättet“, nuschelte Sabine.
Klaus hatte zwar nur etwas von neuer Creme verstanden, dachte sich aber seinen Teil dazu. Es klang für ihn irgendwie nach Spachtelmasse aus dem Baumarkt, die wahrscheinlich den selben Zweck erfüllte.
„Und du bist sicher, dass das gut für deine Haut ist?“, wollte er wissen, während er ein Ohr an die Tür gelegt hatte. Sonst war Sabine immer skeptisch gegenüber solch radikalen Produkten, die in der Werbung mehr versprachen, als sie hielten.
Klaus hörte, wie sie ihre Hände rieb. „Das ist Hundert Prozent Bio. Die Stars in Amerika nehmen das alle. Es hat nur ein bisschen gedauert, bis es hier genehmigt wurde.“
Klaus fragte sich nur, warum.
Er fiel fast ins Badezimmer, als unerwartet die Tür aufging. Dann wäre er beinahe einen Schritt zurückgesprungen, als er Sabine musterte: Sie sah aus wie Schlumpfine! Ihr Gesicht und ihre Arme waren blau!
„Was guckst du so?“, fragte Sabine erstaunt.
Klaus wurde bewusst, dass er seine Augen weit aufgerissen hatte.
„Die Farbe ändert sich noch, wenn die Creme getrocknet ist.“
„Wenn du das sagst.“ Klaus war nicht sonderlich überzeugt davon.
„Ich lege mich ein wenig auf den Balkon und lasse das Ganze einziehen und dann essen wir Abendbrot.“
Klaus konnte gar nicht antworten, da war sie auch schon wieder verschwunden.

Das Essen war inzwischen kalt und Klaus brachte die Teller in die Küche, um sie in der Mikrowelle aufzuwärmen.
Sabine saß vor dem Fenster und war immer noch blau. Jetzt war die Farbe sogar noch intensiver geworden, während sich Sabine von der Sonne bescheinen ließ.
Klaus kam das merkwürdig vor und holte die Anleitung aus der Packung. Der Tiegel mit der Creme war halb leer.
Klaus faltete den Beipackzettel auf Größe einer Straßenkarte aus und las ihn sich durch.
„Sabine, hast du auch wirklich die Anleitung durchgelesen?“
„Jaah, alles bestens.“
Klaus las in Gedanken: Nur ganz dünn auftragen; nur in geschlossenen Räumen benutzen; auf keinen Fall beim Trocknen dem direkten Sonnenlicht aussetzen.
Klaus stürmte zum Balkon. „Bine, komm sofort rein!“
„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen, Klaus.“
Klaus wusste nicht, ob er lachen oder schreien sollte.
Sabine strahlte in einem Neonblau. Das UV-Licht der Sonne verhinderte eine Farbänderung in einen normalen Hautton. Ihr Gesicht und die Arme waren mit schwarzen Punkten übersäht, die sich als Fruchtfliegen herausstellten, die in die Maske eingetrocknet waren, da die Creme eine Art Pheromon enthielt.
Sabine hatte die Creme so dick aufgetragen, dass sie mindestens eine Woche auf der Haut haftete. Vielleicht sogar noch länger und sich ohne Schmerzen nicht ablösen ließ.
„Komm lieber mit,“ Klaus half ihr auf, in dem er ihren Rücken von der Liege hochdrückte, denn anfassen wollte er sie nicht. „Und sieh auf keinen Fall in einen Spiegel.“
Wer schön sein will, muss leiden, dachte Klaus. Und wie die beiden die nächsten zwei Wochen zusammen litten.

Letzte Aktualisierung: 16.08.2014 - 09.11 Uhr
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