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Schön sein | August 2014

Wunderschön. NatĂŒrlich.
von Anne Zeisig

Lukas blÀtterte in seinem Sammelordner.
“Wie wunder-wunderschön sie ist”, flĂŒsterte er und knabberte an seinen FingernĂ€geln.
Zuzanna-Alina! DAS Top-Model!
Er hatte alle Fotos, welche er nur irgendwie aus der Yellow-Press ergattern konnte, abgeheftet.
Sanft strich er ĂŒber die Abbildungen.
Diese langen Beine. Geschickt in Szene gesetzt mit hochhackigen Schuhen und schwarzen NetzstrĂŒmpfen. Auf dem nĂ€chsten Bild sind sie in weißen, unschuldigen KniestrĂŒmpfen zu sehen.
Er sah sie vor sich, wie sie anmutig ĂŒber den Catwalk stolzierte, ihre zarte Figur von Roben umschmeichelt wurde.
Ihr unbewegliches Gesicht. Die stolze Mine eingefroren.
Aus Porzellan.
Das schwarze Haar streng zu einem Nackenknoten frisiert.
Schwarzblau und glÀnzend.
“Was fĂŒr eine Frau!”
Eine unnahbare Grazie.
Nicht aus Fleisch und Blut.
Unerreichbar und makellos.
Behutsam schloss er den Ordner und stellte ihn in den Schrank, als sei sein Inhalt zerbrechlich.

* * *

Lukas war neu in der Großstadt. Sein WG-Genosse, sie teilten sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit KĂŒche, hatte ihn gedrĂ€ngt, endlich mal auszugehen.
“Das ist ‘ne angesagte Szene-Kneipe”, erklĂ€rte er.
Lukas sah sich um. Am roten Lacktresen mit Chromreling stand ein GrĂŒppchen laut kichernder Frauen. Sie nippten an farbenfrohen Drinks.
“Möchtegern Darstellerinnen von gegenĂŒber. Schauspielschule.”
Viel war hier nicht los.
“Und die da hinten?” Lukas zeigte auf ein MĂ€del, welches im hinteren, dunkleren Teil des Lokals an einem Einzeltisch saß. Sie blickte gedankenverloren ins Leere.
Sein WG-Kamerad zuckte mit den Schultern. “ ‘n Aktmodell ist die jedenfalls nicht”, er grinste breit, “dafĂŒr hat sie zu wenig Kurven und auch kein Holz vor der HĂŒtten.”
“Du stehst auf FĂŒllige?”
“Es geht nicht darum, auf was ich stehe. Es geht darum, dass man nur das zeichnen kann, was man sieht. Du verstehst?”
Er verstand nicht.
“RUNDUNGEN! Ausladende Formen! Schwungvolle, runde Pinselbewegungen!” Der Freund malte mit den HĂ€nden Kreise und Ovale in die Luft, bildete die Form eines Cellos nach.
“Aha”.
“Brust, Taille, Po, BĂ€uchlein, das macht eine Frau doch aus. Oder? So eine weibliche Figur strahlt Fruchtbarkeit aus. Und genau darauf fahren wir MĂ€nner unbewusst ab.”
Nicht Lukas.
Er liebte Zusanna-Alinas Knabenfigur. Allenthalben tolerierte er, wenn sich am oberen Rand ihres Dekolletees als einzige Erhebung zarte Rippen andeuteten.
Sein Begleiter knuffte ihn in die Seite. “Die da in der Mitte. Am Tresen. ‘n bißchen weniger Bauch und sie hĂ€tte die Idealfigur.”
“Als Aktmodell?”
“Jau. Aber auch fĂŒrs Bett.”
“Die lacht zu laut”, stellte Lukas fest.
Sein Freund flĂŒsterte. “Wenn die mit mir auf der Matratze liegt, lacht sie nicht mehr, das kannst du mir glauben. Dann jauchzt sie.”
Lukas wandte sich ab. FĂŒr ihn war nicht vorstellbar, mit einer Frau ins Bett zu steigen, die er nicht vergötterte.
Eine Frau musste unnahbar sein. MĂŒsste sich erobern lassen. Ihre glatte, eisige OberflĂ€che mĂŒsste langsam zum Schmelzen gebracht werden.

Sein Freund hatte sich wider Erwarten zu der einsamen, vertrĂ€umten Lady an den hinteren Tisch gesetzt, flirtete ĂŒbertrieben, nestelte an ihren blonden Locken und legte eine Hand auf ihr Knie. Sie blickte verstohlen um sich. LĂ€chelte leise.
‘Was fĂŒr ein unscheinbares blasses HĂ€ufchen Frau sie doch ist’, dachte Lukas, stand auf und ging.

* * *

“Nicht mein Typ, aber im Bett ist die abgegangen wie ‘ne Granate!”
Lukas hatte die gesamte Nacht kein Auge zubekommen. “Ich hab ‘s gehört.”
Sein Freund klopfte ihm auf die Schulter. “Sorry, Kollege, aber so sind die prominenten Weiber. Wenn die sich unters gemeine Volk mischen, lassen sie so richtig die Sau raus.” Er klopfte sich mit der flachen Hand auf den Mund. “Aber ich kann schweigen wie ein Grab.”
“Prominent?”
“Alter! Ich hab sie zuerst ja auch nicht erkannt!”
“Wen nicht erkannt?”
“Na! Die dĂŒrre Blonde!”
“Das war ‘ne bekannte Persönlichkeit?” Lukas ging in Gedanken die Yellow-Press durch.
Sein Kollege blickte sich in der KĂŒche um, als könnten dort Wanzen versteckt sein und wisperte Lukas ins Ohr. “Ist dir der Name Zuzanna-Alina ein Begriff?”
FĂŒr einen Moment begann sich die KĂŒche um Lukas zu drehen.
Er sprang hoch. “Aber die ist nicht blond und sieht wesentlich attraktiver aus!”
Sein WG-Genosse legte eine Autogrammkarte auf den Tisch. “Lies selbst!”
“FĂŒr-FĂŒr-FĂŒr mei-mein-nen”, die Buchstaben verschwammen vor Lukas Augen. Er wollte nicht weiterlesen.
“Klar! Auf der Card ist sie geschminkt und trĂ€gt ‘ne PerĂŒcke, das verlangt ihr Beruf”, er ging ins Bad. “Findest du nicht auch, dass sie privat viel hĂŒbscher aussieht? NatĂŒrlicher und zugĂ€nglicher!”

Lukas ging in sein Zimmer, nahm den Sammelordner aus dem Schrank und warf ihn aus dem Fenster.


© anne zeisig, august 2014, version ZWEI

Letzte Aktualisierung: 25.08.2014 - 20.06 Uhr
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