Diese Seite jetzt drucken!

Schön sein | August 2014

Angie?
von Helga Rougui

Angie wird sie genannt.
Blond ist sie, natĂŒrlich.
Haare bis zur HĂŒfte. Kurven, Atombusen, Wespentaille.
Ihr Unterleib hat keinen Platz fĂŒr Innereien – das ist gut so, denn Magen und GedĂ€rm wĂŒrden ihre DauerdiĂ€t empfindlich stören.
Wenn sie geht, geht sie auf Zehenspitzen. Ihre FĂŒĂŸe sind stets bereit fĂŒr das, was man fĂŒr Manolos halten soll.
Wenn sie liegt, blickt sie aus strahlend himmelblauen Augen an die Decke, der Lidstrich wird niemals abgeschminkt, auch jetzt noch lÀcheln ihre rosaglossglÀnzenden Lippen unentwegt.

Sternzeichen Fische. Sie ist geboren am 9. MĂ€rz.
Trotz ihres Alters ist sie faltenfrei und wird es bleiben.
Sie hat ein Haus. Ein Pferd. Ein Auto, das aussieht wie ein schneller Flitzer. Einen Freund, der, um sie anzuschauen, seinen ganzen Körper zu ihr drehen muß.
Sie hat einen Doktorgrad. Nein, mehrere.
Am Anfang war sie einmal Stewardess - so hießen die Flugbegleiterinnen – , dann Krankenschwester und UniversitĂ€tsdozentin.

In einem Badeanzug wurde sie geboren.
Sie hat Klamotten ohne Ende. Kleider, Schuhe, Stiefel, GĂŒrtel, Blusen, Röcke, Jeans, Abendroben, KostĂŒme, MĂ€ntel. Am Anfang war es Chanel, spĂ€ter H&M.
Sogar eine winzige UnterwĂ€schegarnitur aus rosa Spitze ist dabei. Und PerlonstrĂŒmpfe. Schwierig anzuziehen, obwohl ihre langen Beine makellos, fest und schlank sind. SpĂ€ter werden sie sogar Gelenke haben. Aber sie leisten, da ein wenig klebrig, Widerstand.
Ab und an, wenn sie schnell laufen muß, verliert sie einen Schuh oder auch beide. Es ist schwierig, sie wiederzufinden, denn sie sind sehr klein.

Den ganzen Tag, von frĂŒh bis spĂ€t, wechseln ihre Kleider. Anziehen, ausziehen, umziehen, anprobieren, ĂŒberstreifen, kombinieren, ausprobieren.
Dabei schaut sie stetig geradeaus, die Arme leicht angewinkelt.

An den Kleidern, die sie trÀgt, merkt sie, was sie gerade tut. Sie spielt Tennis, sie geht Reiten, sie fÀhrt Ski, sie sonnt sich am Strand, sie feiert in der Disco, einige Jahre spÀter im Club, sie surft, sie singt, sie tanzt Ballett, sie geht zum Rollerskaten.

Sie wird all dies bis in alle Ewigkeit tun.
Sie wird bis in die Unendlichkeit schön sein, unzerstörbar.
Solange man sie liebt.

Wie, sagte ich, heißt sie?
Ich habe mich geirrt.
Es fÀllt mir gleich wieder ein
Irgendetwas mit B ...

***

Angela V. gibt heute ihr Alter nicht preis. Der Journalist, der sie interviewt, denkt, daß es dem der echten Puppe wohl ziemlich nahekommt. Aber man sieht es ihr nicht an, denn sie hat alles getan, um in manipulierter Ähnlichkeit zu erstarren. UnzĂ€hlige Operationen und Botox haben aus ihr das Ebenbild ihres Idols gemacht. Als sie jĂŒnger war, hat sie von dem Bild, das sie darstellte, und seiner Performance gelebt. Heute, wo ihr reicher Gönner tot ist, ist es zu Ende mit dem Leben in Trash und Show und Saus und Braus.

Sie sitzt allein in ihrem abgedunkelten winzigen Appartment und gibt vor, daß sie das so will.

Sie hat Angst vor dem Moment, wo sich die Illusion nicht mehr aufrechterhalten lĂ€ĂŸt.
Was wird sie dann tun?

Aber noch ist es nicht so weit.
Im Moment hat sie nur einen Wunsch: den richtigen Mann, der sie auf HÀnden trÀgt und der ihr ein Leben als Prinzessin ermöglicht.
DafĂŒr wird sie alles tun. Die nĂ€chste Operation steht bevor.

Viel GlĂŒck, Angela.

Letzte Aktualisierung: 24.08.2014 - 22.32 Uhr
Dieser Text enthält 3238 Zeichen.


www.schreib-lust.de