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Schön sein | August 2014

Schwarz und Rot
von Hartmuth Malorny

Anabella saß eine geschlagene Stunde im Bad - auf dem Beckenrand der Wanne vor dem Spiegel, und bearbeitete ihr Äußeres. Die Batterie ihrer Schminkutensilien war enorm: ein halbes Dutzend Farbtöpfchen, Pinsel, Puder und Pinzetten, Eyeliner, Grundierung und Rostschutz, Scheren und Kämme, ein ganzes Dutzend Lippenstifte, Glasur, Festiger und Spray, sowie ein Waffeleisen, mit dem sie ihre Haare in Form brachte. Anschließend nahm sie den Fön, der alles wieder durcheinander wirbelte. Ihr Blick war kritisch, zuerst kniff sie die Augen zusammen, öffnete sie dann ganz weit bis die Pupillen fast den Spiegel berührten, probierte verschiedene mimische Ausdrücke und betrachtete ihr Profil. Als sie endlich zufrieden lächelte, entdeckte sie einen winzigen Schatten unter ihren grünen Augen. Das Lächeln verschwand, 184 Gesichtsmuskeln waren plötzlich betätigungslos. Anabella drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag und überlegte viele Sekunden, dann schaufelte sie sich das Wasser ins Gesicht wie es ein Bergarbeiter nach der Schicht tut, höchst brutal, und während sie das halbe Bad flutete, mit wilden, wütenden Bewegungen, dachte sie, so kann ich doch nicht rausgehen. Es folgte eine weitere Stunde intensiver Arbeit auf dem Beckenrand der Badewanne vor dem Spiegel.

Es gibt Menschen, die sich einfach nur mit Sachen, Klamotten oder Zeugs bedecken, denen es egal ist, ob Hemd, Bluse, Pullover, Hose und Schuhe farblich zusammenpassen. Und es gibt Menschen, die sich kleiden, wo jede Nuance der Garderobe aufeinander abgestimmt sein muss. Anabella stand nackt vor dem Kleiderschrank, im Gesicht endlich zum eigenen Gefallen hergerichtet, doch was sollte sie anziehen? Schon der Slip bereitete ihr Kopfzerbrechen, obwohl sie nicht vorhatte ihn beim Rendezvous zu zeigen, geschweige denn auszuziehen. Und welchen BH? Bluse oder T-Shirt? Hose oder Rock? Minirock oder Hot-Pants? Der Kleiderschrank sagte nichts, er maß fünf Meter in der Länge und war anderthalb Mal so hoch wie sie selbst, er reichte für die normalen Bedürfnisse einer vierköpfigen Familie, doch Anabella fand einfach nichts Ansprechendes. Dabei wusste sie gar nicht, wen sie ansprechen wollte, denn das Rendezvous, das sie in einer Stunde haben würde, war ein Blind Date. Gedankenverloren betrachtete sie ihre Fußnägel, gestern erst fischblutrot nachlackiert, völlig unpassend zu den hellrot bepinselten Lippen. Der monströse Schrank, vollgepresst mit dem Gegenwert von vielen Tausend Euro, der in seiner Summe jedes Problem lösen könnte, befand sich gerade in einer höchst oppositionellen Laune, keine Kanonenkugel hätte ihn bewegen können zu antworten, deshalb sank sie frustriert aufs Bett: Was soll man denn ausdrücken, wenn es das Nackte nicht mehr gibt, weil keiner mehr angezogen ist?

Natürlich, nach einer heftigen Phase der Zweifel hatte es Anabella auch diesmal geschafft, Stoffe und Materialien so zu kombinieren, dass sie ihrem Erscheinungsbild Genüge taten, und sie fragte noch den Flurspiegel, ob sie so rausgehen könne, und er antwortete auch nicht, aber für den Moment fand sie sich gut: schwarze, halboffene Schuhe, schwarze Hose, schwarzer BH unter einem weinroten Top, dazu eine schwarze Lederjacke ohne Ärmel. Berücksichtigte man ihr feuerrot gefärbtes und wild geföntes Haar, dominierten hier zwei Farben, Schwarz und Rot, wie beim Roulette. Sogar das Lächeln passte. Anabella war zufrieden. Nun müsste sie schnell den Schlüssel vom Brett nehmen, was sie auch tat, und ihre Hand lag bereits auf der Klinke, da ging sie kurz den weiteren Abend durch, also diese unbekannte Verabredung: Er hatte geschrieben, er sei 23 Jahre alt, 185 Zentimeter groß, schlank, und zu allem Überfluss gut aussehend. Er hatte romantische Vorstellungen und hörte Technomusik. Anabella mochte keine Blind Dates, trotzdem hatte sie dauernd welche, beinahe an jedem Wochenende, und alle waren nie über ein bloßes halbstündiges Zusammensitzen hinausgegangen, weil sie nicht viel redete und der Mann umso mehr, und Anabella mochte weder Technomusik noch den Umstand, dass andere Menschen gerne über sich selbst sprachen. Viel lieber wollte sie gefragt und bewundert werden und mit knappen Antworten die Blicke genießen, doch es waren immer junge Schönlinge gewesen, die ein kurzweiliges Vergnügen brauchten, die sich selbst interessant machten und bewundert werden wollten, die halbherzige Komplimente verteilten, um im Spiel zu bleiben. Diese Begegnungen hatten nicht mehr Tiefgang als ein Blatt Papier auf der Wasseroberfläche. Anabella müsste nach den weniger hübschen Exemplaren suchen, mehr jene Typen finden, die beim Rendezvous feuchte Hände bekommen, anfangen zu stottern und dabei eine hündische Huldigung an den Tag legen, weil ihnen das nötige Selbstbewusstsein fehlt, doch auch ihr fehlte es, und so war sie imstande fortwährend auf Blender reinzufallen.

Noch lag ihre Hand bewegungslos auf der Klinke. Anabellas Körper war bereit rauszugehen, hübsch gestylt und angemalt, raus in die warme Sommernacht zu einem Blind Date, da entdeckte sie ein winziges Hämatom am Oberarm, und schon brach alles zusammen, zuerst der Flurspiegel, den sie mit einem wütenden Ellbogen-Kick zerstörte, dann ihr Weltbild, zumindest für diesen Abend: Anabella war schön und dazu verdammt, dass niemand die Schönheit zu würdigen wusste. Am wenigsten sie selbst.


Hartmuth Malorny

Letzte Aktualisierung: 22.08.2014 - 19.59 Uhr
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